Montag, 12. Juni 2017

Captain Sharky würde sagen, Wortschwall voraus

Wäre in den letzten Wochen eine gute Fee gekommen und hätte mir einen Wunsch erfüllen wollen, dann hätte ich nicht lange überlegen müssen. Weltfrieden und Weltentspackung mal außen vor: dieses Mal wäre es nichts mit Ausschlafen gewesen. Oder mit Urlaub. Oder mit Spareribs. Dieses Mal hätte ich mir Zeit zum Schreiben gewünscht. Denn wieder mehr zu schreiben, ist seit ziemlich langer Zeit meine große Sehnsucht (wie man an den vielen zweckoptimistischen Posts merkt, die davon handeln, dass ich ab sofort wieder irre fleißig und vor allem regelmäßig posten werde). Dabei geht es gar nicht nur um den Blog, sondern ich habe ein inzwischen vermutlich fast zehn Jahre altes Schreibprojekt, das schon zu kinderlosen Zeiten nicht so richtig in die Gänge kam und jetzt natürlich erst recht nicht. Dabei würde ich wirklich gerne, und zum ersten Mal seit langer Zeit denke ich viel darüber nach - so viel, dass es sich fast wie ein Job anfühlt. Sonntag habe ich einen Podcast gehört, in dem es um ein extrem verwandtes Thema ging, und nachdem das Thema mit viel Bombast angekündigt wurde, habe ich zwanzig Minuten Nägel kauend und kreidebleich zugehört, weil ich dachte, jetzt kommt’s, jetzt nehmen diese Podcast-Heinis mir gleich mein großes Buchtraumthema weg, und das war es dann. (Als Werberin ist man daran leider auch beim hundertsten Mal nicht gewöhnt: da hast Du eine gute Idee, zur Abwechslung mal eine, von der Du einfach genau WEISST, dass sie wirklich, wirklich gut ist, und dann gehst Du damit Klinken putzen, und alle so “ooooch… weiß nicht… mal sehen…” und ein halbes Jahr erfolglosen Klinkenputzens später siehst Du Deine Idee plötzlich von jemand anderem umgesetzt im Fernsehen (im schlimmsten Fall von jemandem, der mal mit im Meeting saß, als davon die Rede war) und alle so “supiiii! SO macht man das! Wieso hast Du nie solche Ideen?”

Und dann ging der Podcast vorüber, und die Idee war eine ganz andere, und ich bin nochmal davongekommen, aber jetzt will ich wirklich mal ran da.
Am Ende ist es doch nur eine Frage der Prioritäten, oder? Was ist mir wichtiger: endlich mal was sinnvolles mit meiner Zeit anfangen oder die Wohnung putzen/Netflix glotzen/irgendwas mit Bärlauch kochen, weil das all die Blogger machen, obwohl ich keinen Bärlauch mag/sticken lernen/100 Rezepte für Eis ausprobieren/Persönlichkeitsverbesserung/mir die Beine und Füße hübsch machen/Gala lesen?

(Ganz so ist es nicht, im Moment schreibe ich z.B. im Stehen, während ich das Baby in der Manduca umgeschnallt habe und von einem Fuß auf den anderen wippe wie der Bi-Ba-Butzemann.)

Jetzt muss ich aber, so lange der Frieden vor meinem Bauch anhält, noch schnell erzählen, was hier so passiert. Nein, ich bin nicht schon wieder schwanger! Das passiert mir nicht noch mal, denn ich möchte mit meiner nächsten Schwangerschaft weder in der Zeitung noch in der Psychiatrie landen. Lasst mich kurz rekapitulieren, wann ich überhaupt zuletzt geschrieben habe… Moment…

Also. Da war ein Haus, auf das wir geboten haben und das wir nicht bekommen haben. Ich war erst skeptisch - beim ersten Mal angucken kam es mir wirklich ziemlich klein und puppenstubig vor, ich finde es hier, wo wir gerade wohnen, einfach großartig, mir graute vor einem Umzug, der Garten war winzig, und alles war so neu und in so tollem Zustand, dass es überhaupt nicht vertretbar gewesen wäre, all das jetzt anders zu machen, nämlich so, wie wir es machen würden. Ich weiß, dass ich mich anhöre wie die dämlichste Zicke weit und breit, aber ich war wirklich nicht so begeistert von den Badezimmerfliesen mit Barbieschimmereffekt oder von der Granit-Grabstein-Arbeitsplatte in der taupe-farbenen Küche, von dem dunkelgrauen Parkett oder von den Bambuswaschbecken. Dann habe ich drüber nachgedacht, habe es mir noch mal angesehen, und dann war ich plötzlich verliebt. In das Viertel, das früher auch mal mein Viertel war, das aber seitdem noch viel schöner geworden ist als damals - mit mehr Bars, Cafés, Spielplätzen, hach - in die Wohnanlage, die Autofreie Zone ist und in der es eine große Wiese gibt, auf der sich jeden Tag alle kleinen Kinder aus der Gegend zum Spielen treffen, einfach so, ohne Verabreden, bis die Eltern aus dem Fenster rufen “Essen kommen!”. In den wenn auch kleinen Garten, der rundum geschützt ist und in den man im Sommer ein Plantschbecken stellen könnte, und fertig ist das Freizeitprogramm. In das winzige Wohnzimmer, in dem die Familie sich zwangsläufig gemütlich auf die Pelle rückt. In die Idee, in einer Wohnung zu leben, in der man jedes Zimmer abschließen kann. In einen Keller mit ausreichend Platz für zweiten Kühlschrank, Waschkram, Papierkram und Wintersachen und auch endlich einen abschließbaren Ort für all das, was die Kinder nicht in die Finger kriegen sollen, von Methyldopa bis Elektromesser. In einfach alles, sogar in die Bambuswaschbecken und Barbiekacheln! Um die mögliche Enttäuschung noch größer zu machen, bin ich von da an fast jeden Tag mit Baby da längsgebummelt - ein bequemer fünfzehnminütiger Spaziergang von hier aus, durch lauter schöne Straßen. Und dann kam die Absage, und seitdem habe ich Immobilienliebeskummer. Ja, ich weiß, eine Runde Mitleid, aber ich will auch kein Mitleid, mir geht’s gut - ich wollte nur eben davon erzählen.

Dann sind da die Jungs, die jeden Tag ein bisschen größer und verständiger und jungs-mäßiger sind. Im Schlaf sehen sie immer noch aus wie Babys, aber wach hören sie Captain Sharky-Hörspiele, lesen Bilderbücher, lassen sich vorlesen und haben seit diesem Sommer auch wirklich Spaß an dem Heidehäuschen meiner Schwiegermutter. Jetzt fängt es nämlich an, all das Schöne, das ich mir zwischen Spritzen und Punktion immer ausgemalt habe: die Jungs, die zwei kleine Koffer voller Triceratopse und Archäopterixe packen - was man halt so braucht. Die sich eine Hütte aus Ästen am Waldrand bauen. Die mit Schwimmflügeln und Wasserpistolen rund um das kleine Schwimmbad fegen. Die Fußball spielen wollen und noch nicht so richtig können, aber nicht aufgeben. Die eigentlich immer draußen sind und nur zwischendurch nass und dreckig angerannt kommen, nur schnell ein paar Kekse mit Milch in den Mund stopfen und wieder verschwinden. Da soll sentimental und traurig werden, dass sie jetzt groß werden, wer will: ich find’s toll.

Dann das Baby, das so dermaßen lieb und freundlich und fröhlich und prima ist - ich dachte früher, das ist Genderquatsch, dass Mädchen pflegeleichter sind. Wir Mütter sollen ihnen einfach von vornherein einprogrammieren, dass von ihnen erwartet wird, im Leben die Erwartungen anderer zu erfüllen und nicht aufzumucken. Jetzt habe ich Klara, mit der ich alles genau so mache wie mit Kalle und Michel, und sie ist nicht halb so laut, nicht halb so anspruchsvoll, nicht halb so schwer zu trösten und nicht halb so… ach, einfach alles. Sie ist tatsächlich ein Baby, das man wach und aufmerksam in sein Bettchen legen kann, und wenn ich fünf Minuten später gucke, ob sie noch atmet, weil ich so gar nichts höre, schläft sie. Ich gehe in einen Rückbildungskurs mit Baby, und wenn ich heimlich (ist ja Yoga, macht man ja nicht) im Spiegel gucke, ob die anderen das vielleicht alle besser können als ich, habe ich leider keine Chance auf ein imaginäres Rückbildungsbattle, denn die anderen turnen nicht mit. Die müssen sich nämlich alle um ihre Babys kümmern, und ich bin der einzige herabschauende Hund.

AUAAAAA, Schreibkrampf! Ok, Blogpause. Ich geh jetzt wohl mal los und kaufe ein bisschen Bärlauch oder so.