Montag, 23. Januar 2017

Pläne für danach.

Ein Glück habe ich mir nicht für's neue Jahr vorgenommen, "im Hier und Jetzt zu leben". Erstens ist das einer dieser typischen Bliblablo-Vorsätze. Zweitens hätte er genau so wenig mit mir zu tun wie der Plan, mich im nächsten Jahr auf 100 essentielle Besitztümer zu reduzieren, straight edge zu leben oder eine dieser megafunktionalen Garderoben zu haben, in der drei weiße Blusen und ein Bleistiftrock eine wichtige Rolle spielen. Und drittens würde ich dann ganz schön dahängen gerade, denn das Hier und Jetzt gestaltet sich gerade so, dass die hier-und-jetzt-Anhänger ziemliche Psychoklimmzüge vollführen müssten (oder ein sonnigeres Gemüt haben, als es mir zur Verfügung steht), um sich darin so richtig pudelwohl zu fühlen. Wohl wahr, ich darf gegen jede Wahrscheinlichkeit nun noch mal das Wunder erleben, als unfruchtbare Tante ein Kind zu bekommen. (Zählt das übrigens als Hier und Jetzt, wenn es noch zwei Monate entfernt ist? Wohl kaum?) Aber das Wunder tritt mir derzeit jede Nacht zwischen 12 und halb 5 durchgehend in die Blase, hat mir zu meinem schrottreifen Beckenboden und der Dauererkältung seit Mitte November jetzt auch zu hohen Blutdruck beschert, sorgt davon abgesehen öfter für Panikattacken-artige Zustände (dieses Gefühl, als würde ein dicker, haariger Troll auf mir sitzen und mir die Luft zum Atmen nehmen) und hält mich von zwar nicht allem ab, was Spaß macht, aber doch von einer ganzen Menge. Beispielsweise ist gerade das seit Menschengedenken erste Mal, dass ich ein dickes Konto habe und gleichzeitig Sale bei meinen Lieblingsläden ist. Aber kann ich mich deshalb endlich mal mit einem wirklich guten Mantel oder genug Jeans bis 2020 ausstatten (oder mit drei weißen Blusen und einem Bleistiftrock)? Nein, hat keinen Zweck, ich habe nämlich keine Ahnung, ob ich nach dem Baby eher dünn oder eher moppelig werde, und rührende Optimismuskäufe habe ich genug. Letzte Woche musste ich endlich die Hoffnung aufgeben, dass es doch noch irgendwie was wird mit dem lange geplanten Mädchenurlaub im Juli, an den ich mich jetzt seit vielen Monaten jedes Mal geklammert habe, wenn ich einen Rappel hatte. Samstag war L. allein in der Elbphilharmonie, um sich die guten alten Einstürzenden Neubauten anzuhören, und ich konnte nicht mit, weil Sturzgeburt durch Lärm gedroht hätte. Einzeln kommt Euch das vermutlich lächerlich vor, aber in Summe habe ich es gerade ein bisschen dicke. (Eine klare, gut sortierte Sicht auf Prioritäten war noch nie meine Stärke, und ich wollte ja 2017 zu meinen Schwächen stehen.)

Aber - und damit endlich zum Punkt - wer hat gesagt, ich würde im Hier und Jetzt leben wollen? Niemand! Und darum kann ich mich gerade wunderbar damit bei Laune halten, Pläne für die Zeit danach zu schmieden. Nach der Geburt, nach dem Wochenbett, nach der Stillzeit.

Ich träume zum Beispiel davon, diesen Sommer mit beiden Jungs im Garten des Heidehäuschens zu zelten. Taschenlampen, Schuhu-Schuhu und Kekskrümel im Schlafsack: herrlich wird das! Ich träume außerdem davon, einen Sport zu finden und mich vielleicht sogar (ich weiß. Aber wartet mal ab!) in einem Studio anzumelden. Ich habe sogar schon einen Plan, in welchem. Da dann mit Kleinchen im Gepäck hinzugehen und endlich etwas gegen diesen Monsterhintern zu tun, darauf freue ich mich. Ich freue mich drauf, wieder mehr zu schreiben. Vielleicht doch noch mal Schwung in mein Berufsleben zu bringen statt immer nur Pragma. Schön zu kochen für Freunde. Und ab und zu sogar meinen ausgelutschten Mutti-Körper durch das Nachtleben zu schleifen. Wieso denn nicht? L.s Samstag Abend endete früh um drei, und er durfte am nächsten Tag bis in den Nachmittag im Bett bleiben, warum denn nicht auch mal ich? Ich freue mich darauf, das Babythema endgültig und gründlich und ohne vielleicht-ja-dochs und wäre-es-nicht-schöns innerlich abzuschließen. Und darauf, den kleinen Pupsis beim Wachsen zuzusehen. Ich freue mich sogar, nennt mich bescheuert, auf Diäten. Darauf, wieder der Boss zu sein und mit meinem komischen Körper machen zu können, was ich will, so lange ich es will. Auf Pläne! So kurzsichtig und blauäugig und unnötig und oberflächlich und schlecht durchdacht sie auch sein mögen. Ich freu mich drauf.

Montag, 9. Januar 2017

Rolle Rückwärts

Gestern hatten wir spontanen Besuch von L.s Cousine, die in London lebt. Sie hat von einem Spieltreff für Kleinkinder erzählt. Statt die Kinder da abzugeben und dann fröhlich pfeifend ihrer Wege zu gehen, sollten die Mütter im Nachbarzimmer sitzen. Aber nicht etwa allein mit ihren Gedanken, mit dem Wirtschaftsteil oder mit einem guten Buch, sondern es gab Aufgaben. Beispielweise sollten sie der Reihe nach sagen, was das Allerallerbeste an ihrer Schwangerschaft gewesen war oder wie sie es in ihrer Partnerschaft jetzt mit der Hausarbeit hielten. In England, so scheint es, ist gerade die Hausarbeit ein Riesenthema. Babys schreien und brauchen viel Liebe und Zeit, und der Abwasch macht sich nicht von alleine. Papa geht arbeiten, und Mama kriegt es nicht immer alles so hin, wie sie gerne würde, was theoretisch in Ordnung ist, aber sie fühlt sich schlecht dabei. Kommt das Kind zu kurz? Sieht die Wohnung nicht gut genug aus? Wollen die Babypfunde einfach nicht verschwinden? Das alles sind Fragen, die englische Mütter um den Schlaf bringen. Während diese und andere Themen im Stuhlkreis besprochen wurden, sollten die Frauen (Männer waren nicht anwesend) parallel kleine Bastelarbeiten erledigen. In diesem Fall sollte mit Lavendel parfümierter Reis in kleine Säckchen genäht werden, die dann noch dekoriert werden sollten. Die Säckchen wiederum waren dazu gedacht, zuhause die Wäsche im Schrank zu beduften. L.s Cousine stellte sich quer. Wieso die paar kostbaren Stunden ohne Kind mit Hausfrauen-Angst und der Produktion von unnötigem Dekoschrott verschwenden? Die Reaktion der Gruppe auf ihren Protest war freundlich und verständnisvoll. Sie ist trotzdem nicht mehr hin gegangen.
Wir müssen wirklich aufpassen. Was heißt wir, ich spreche von mir. Ich war nie eine besonders eifrige Kämpferin für eine Rolle der Frau jenseits von Ideen mit Lavendel und Babyglück, aber auch ich kriege leicht Pickel, wenn ich spüre, wie auf tausend mehr oder weniger subtile Arten die Geburt eines Kindes ein eigentlich modernes, freies Mädchen Zack-Bumm zurück in die 50er katapultiert. Was heißt 50er, 40er. Jetzt ist das Baby da, jetzt machen wir es uns mal nett zuhause. Jetzt dekorieren wir die Bude und kochen uns was Schönes, jetzt entdecken wir ein Hobby wie Einkochen für uns, jetzt treffen wir uns in unserer Freizeit mit anderen Müttern und sprechen über unsere Kinder. Jetzt wird's gemütlich, und als Zerstreuung reicht es uns, abends noch ein paar mal ins Kinderzimmer zu schleichen und unser schlafendes kleines Wunder versonnen zu betrachten. Bleibt uns weg mit unserer Altersvorsorge oder unseren Jobchancen und bleibt uns vor allem weg mit Politik.

Ich hab das ja auch: ein erhöhtes Wärme- und Kuschelbedürfnis, manchmal schiebe ich es auf die Schwangerschaft, manchmal auf den Winter. Ich bin fürchterlich müde und will einfach nur meine Ruhe. Ein Bilderbuch, zwei kleine Schlafanzüge und ein großer und dann Bett. Ich guck mir auch gerne Wohnblogs an, auch wenn ich in letzter Zeit - genauer gesagt seit ca. acht Jahren - finde, es reicht jetzt mal mit dänischem Teak, Lammfellen, Buchstaben als Deko und Subway Tiles. Gott weiß, dass ich gerne koche (und schon wieder hinter meinem Rücken eine Liste mit Vorsatz-Rezepten für 2017 angelegt habe), das kommt einfach so, wenn man ein Fresssack ist. Aber gleichzeitig denke ich, das kann und darf nicht passieren, nicht mit mir und nicht mit uns. Da draußen ist der Teufel los, und ich rede nicht von neuen Wohntrends. Wir können nicht nur kochen und klitzekleine Popos abputzen und Bücher vorlesen und kuscheln, wir können auch denken und sprechen und arbeiten. Wir können sogar höllisch aktiv außerhalb unserer mehr oder weniger dekorierten Wohnung werden, wenn uns etwas wichtig genug ist. Nur wird uns irgendwann niemand mehr danach fragen, wenn wir das alles lang genug nicht getan haben.

"Was hat sie denn jetzt schon wieder?"
"Keine Ahnung. Hormone."

Ach, ich weiß es doch auch nicht.

Sonntag, 1. Januar 2017

Selten waren zu Silvester so wenige Zigaretten und so viel Gehuste.

Frohes neues Jahr, liebe Abkürzungs- und Ex-Abkürzungsdamen!

Bestimmt gilt es als extrem schlechte Form, einen Neujahrspost mit einem langwierigen Gemecker über die eigene Gesundheit zu beginnen, aber dies ist mein Blog, und hier herrsche ich mit eiserner Knute. Mitte November hatte ich mit Kalle als Stargast ein sehr schönes Wochenende in Berlin. Wir haben bei einer Freundin herumgemuckelt, vietnamesisches Essen gegessen, teils Champagner, teils Mineralwasser getrunken, Hochzeitsfotos angesehen und hatten es rundum gut. Einziger unerfreulicher Teil dieses Wochenendes war eine längere Odyssee mit der Berliner S-Bahn, als ich nämlich mit Kalle von einem Kurzbesuch bei meinem Bruder in Kreuzberg zu der Freundin wollte und mangels Kindersitz nicht einfach ein Car2Go nehmen konnte. Die Fahrt, die eigentlich zwanzig Minuten hätte dauern können, dauerte fast zwei Stunden. Unterwegs wurden mir einige der größten Unterschiede zwischen Berlin und Hamburg mit plumper Deutlichkeit vor Augen geführt, und Hamburg hat gewonnen. “Hölle nochmal” fauchte ich innerlich. “Nie wieder ohne Kindersitz”. Und “Wenn ich mir hier von einem von euch jetzt auch noch eine Erkältung einfange, dann rrrrraste ich aus.”

Auf der Heimfahrt nach Hamburg fing der Hals an zu kribbeln, und sechs Wochen später stellt sich die Situation folgendermaßen dar: Ich habe (jetzt zum zweiten Mal) verstopfte Nebenhöhlen, dementsprechend Kopfschmerzen, ich habe einen Husten wie ein Feldlazarett, der hält mich jetzt seit drei Wochen in Schwung und hat im Lauf dieser drei Wochen meinen mühsam wieder zusammentrainierten Beckenboden wieder komplett zerschossen. Vor der Schwangerschaft konnte ich schon wieder laufen gehen, und zwar nur mit einer Slipeinlage - und die nur zur Sicherheit. Jetzt verbrauche ich täglich ca. 10 dieser Super-Maxi-Pipi-Binden, die so groß sind wie ein Weltatlas und acht Tropfen auf der Packung haben, und seit gestern läuft es auch gerne mal wieder, wenn ich nicht huste, sondern nur einen Wasserhahn betätige oder auch gar nichts tue. Es ist mir unendlich peinlich, ich bin wütend wie eine Hornisse, und die nächste Geburt steht mir erst noch bevor - wobei, schlimmer kann sie es eigentlich nicht machen. Und dann geht das alles wieder los: elektrische Hose, Physio, Balancierball und die dicksten Binden der Stadt. Während meine Jungs langsam trocken werden. Damit bin ich aber noch nicht am Ende mit meinem Gesundheitsreport: Weihnachten habe ich mit bis heute rätselhaften, aber seeeehr konkreten und nicht-psychosomatischen Magenschmerzen in einem Münchner Krankenhaus verbracht, während der Rest der Familie das von meiner Schwester liebevoll und umsichtig organisierte Fest genießen konnte und meine Kinder ca. alle drei Minuten gefragt haben, wo eigentlich Mama ist. Und seit zwei Tagen meldet sich die dusselige Bandscheibe wieder, was nicht nur sehr, sehr schade ist, sondern sich auch mit dem Husten zu einem symbiotischen Gesamtkonzept verbindet: wenn ich huste, tut der Rücken weh, und lege ich die Beine hoch und mache meine Rückenübungen, dann steigern sich Husten und Inkontinenz augenblicklich zu einer Hochform, die selbst mich erstaunt.

Während ich so dalag in meinem Krankenhausbett, habe ich eine Menge Zeit darauf verwendet, mir über Neujahrsvorsätze Gedanken zu machen. Gelassener werden! Mehr auf mich achten! Mich weniger nach den Wünschen anderer richten! Mir mehr Gutes tun! Flora 2017, yay!

Jetzt bin ich wieder zuhause, und während ich so dalag, die Nachbarschaftspartys und den bunten Krieg da draußen im Ohr, bin ich zu folgendem Schluss gekommen: Bullshit. Ich habe es nicht nachgeschlagen, aber ich glaube, in den letzten Jahren habe ich fast jedes Jahr genau diese Entschlüsse gefasst und keinen davon jemals umgesetzt. Dieses Jahr habe ich eigentlich nur einen Vorsatz:

Ich lasse Flora 1973-2016 gefälligst in Ruhe. Es zeigt sich nämlich, dass ich im Grunde ziemlich vorsatz-resistent bin. Trotz allerbester Absichten bin ich immer noch fusselhirnig, neige zu panischen Reaktionen, mache mir viel zu viele Gedanken über jeden Mist, vor allem darüber, was andere so denken, denke immer, während ich A tue, ich müsste aber eigentlich B oder F oder Z tun, fühle mich ständig gleichzeitig egoistisch und zu kurz gekommen, kann mich niemals entscheiden, und jede Form von Gelassenheit ist mir ziemlich fremd. Leider. Ich finde auch, es wäre schön, etwas lässiger zu sein. Mich weniger stressen zu lassen, nicht alles so schwer zu nehmen, schöne Dinge mehr zu genießen usw. usw., aber ich kann das offensichtlich nicht immer so wie gewünscht, und genau das ist seit Jahren eine der stinkigsten Quellen von Stress in meinem Leben: wieso kann ich das nicht? Wieso bin ich nicht so wie die anderen offensichtlich sind? Wieso bin ich so eine hysterische Ziege? Und die einzige Form der Gelassenheit, die ich mir vielleicht dieses Jahr abkämpfen kann, ist die gegenüber mir selbst. Schluss mit Optimierungsprogrammen und idiotischen Fünf-Jahres-Plänen. Wer weiß? Vielleicht kommen ja andere Formen automatisch hinterher, irgendwann Richtung August, September, ungefähr um den Dreh, wenn ich von den Acht-Tropfen-Binden auf die Sieben-Tropfen-Binden runter bin. Und wenn nicht, dann nicht.

Ende der Vorsatzliste.

Andererseits habe ich es immer geliebt, Vorsatzlisten zu schreiben, es weht für einen Moment so ein Optimismus, so eine Aufbruchstimmung um mich und meinen Rechner - darum erzählt mir doch, was habt ihr so für Vorsätze?