Donnerstag, 30. Juni 2016

Rechts blinken, links abbiegen

Manchmal sitze ich mit meinen Freundinnen zusammen oder an einem Schreibtisch und hätte eigentlich echt was zu tun, aber starre stattdessen Fotos von den Kindern auf meinem Telefon an und mache dazu Geräusche.

Manchmal komme ich von der Arbeit nach Hause, schließe die Wohnungstür auf, im Kopf die Pläne für’s Abendessen und die Emails, die ich gleich noch beantworten muss, und sie kommen angerast und piepen “Mama! Mama!” und für einen Moment hatte ich völlig vergessen, dass es sie gibt, und zucke zusammen und denke für diese winzige Sekunde “Was zur Hölle!?!” oder etwas Ähnliches.

Manchmal gucke ich in den Spiegel und denke, eigentlich gar nicht mal so schlecht. Nicht schlecht für 43 und zwei Kinder!

Manchmal stehe ich in einer Umkleidekabine, sehe die merkwürdig verwohnte Partie zwischen den untersten Rippen und dem Bauchnabel (der in puncto Verwohntheit ganz eigene Maßstäbe setzt) und denke, es ist vorbei mit mir. Ich bin fertig, ausgelutscht, und könnte mir eigentlich jetzt statt dieses Partykleidchens hier genau so gut gleich ein Rentneroutfit in beige mit Elastikbündchen kaufen.

Manchmal streite ich mich so mit L., dass ich überhaupt nicht mehr weiß, wie ich auch nur eine einzige Stunde lang so weitermachen soll.

Manchmal sehe ich ihn mit den Kindern, und er merkt nicht, dass ich schon seit zehn Minuten nicht mehr in der Küche wurschtele, sondern einfach nur gucke, und dann weiß ich, das hier ist meine Familie. Dieser Schlackel und diese zwei kleinen Böhnchen.

Manchmal muckele ich so vor mich hin, höre dazu Musik, räume Sachen in Regale und wische Staub und falte Kinderbodys und hänge endlich mal die verdammten Bilder auf und besorge eine neue Sodastream-Kartusche und gehe auf dem Weg noch zum Altglas und zum Bäcker und stecke die Nase in die Luft und finde, das ist doch ein völlig okayes Leben, so könnte jeder Tag sein, und gleich hole ich die Kinder ab und wir gehen auf den Spieli, und dann Badewanne und Spaghetti und Bett. Wie schön!

Manchmal sitze ich in einem Kita-Elterntreffen und sehe diese Riege blonder, dünner und extrem gepflegter Damen, denen ich demnächst täglich in Kalles neuer Kita über den Weg laufen werde, und die stellen alle nur Fragen zum Thema Stunden - wie geht das, wenn ich mein Kind eine Stunde später abholen will? Kann ich das ausgleichen? Kann ich Stundengutscheine splitten? Und wenn ich morgens eine Stunde früher komme? Das mit den Stunden wollen sie ganz genau wissen, und keiner stellt solche Fragen wie “Und was machen die Kinder da eigentlich den Tag über in Ihrer Kita?”, und L. flüstert mir zu, das wäre hier ja jetzt was anderes, Mütter mit Jobs! Und ich weiß auf einmal genau, die haben keine Jobs. Die haben Pilates. Und dann kann ich nur noch denken, Danke, Danke, Danke lieber Gott, dass ich an einem Schreibtisch sitze und denke und nicht auf einem Gymnastikball und mein Powerhouse aktiviere. Die Hölle! Das muss die Hölle sein.

Manchmal sagt eine Omi in der Ubahn, Also sie an meiner Stelle würde den Kindern aber jetzt echt eine Mütze anziehen, und dann lächele ich ganz freundlich und sage, also der hier, der friert nie. Und dieser hier, der braucht genau zwei Zehntelsekunden, um sich die Mütze wieder abzusetzen und in irgendeine klebrige Pfütze zu werfen. Und dann lächeln wir uns an, und sie hat es verstanden.

Manchmal möchte Kalle in der Bäckerei eine Rumkugel, und ich weiß, der wird davon ungefähr zehn Gramm essen, der Rest ist für mich, und weil ich heute schon zweihundertmilliardenmal Nein gesagt habe, kriegt er jetzt eben seine Rumkugel, und der Bäckereifachverkäufer guckt mich von Kopf bis Fuß und von Fuß bis Kopf an und sagt, “Sie wissen aber schon, dass da Rum drin ist in der Rumkugel. Die kann ich Ihnen aber für den Kleinen nicht verkaufen”, und dann falte ich ihn Ice-Queen-mäßig so zusammen, dass es mir hinterher wirklich leid tut, aber irgendwie auch wieder gar nicht, und trotzdem gehe ich am nächsten Tag da vorbei und will mich entschuldigen, nur dass heute ein anderer Bäckereifachverkäufer hinter dem Suchtmitteltresen steht.

Manchmal bin ich eine von diesen dämlichen Ziegen, die Kinder gekriegt hat und gefälligst mal klar kommen sollte.

Manchmal bin ich doch eigentlich ganz in Ordnung. Eine von den vernünftigen, keine von den Blöden, die immer so nerven und die wir Muttibloggerinnen nicht leiden mögen.

Schizophrenie! Kriegt uns nie!
Harr.