Sonntag, 21. Februar 2016

Die große Eiertanz-Kochbuch-Challenge oder wie ich wieder mal einen großen Plan geschmiedet habe, an den ich mich wenig später so gar nicht mehr erinnern wollte. Teil 1: What Katie ate at the weekend.

Letztes Jahr hatte ich den Vorsatz, in 365 Tagen 100 mal nach Rezept zu kochen. Dabei war ausdrücklich nicht Bedingung, dass die Rezepte alle Premieren für mich sein müssen. Das hat die Sache einerseits erleichtert, denn auf diese Weise wurden auch "Wie ging noch mal der Rotweinkuchen von Mama"-Gelegenheiten Teil der 100 Rezepte. Andererseits war es so natürlich etwas weniger abenteuerlich. Dieses Jahr wird anders. Dieses Jahr gehen beide Kinder in die Kita, können laufen, demnächst vielleicht ja sogar beide sprechen und damit Sachen sagen wie "Mama, falls Du mich suchst, ich bin im Kinderzimmer und lese", darum schraube ich jetzt die Schwierigkeit und gleichzeitig den Spaßgrad für mich ein bisschen nach oben. Und zwar folgendermaßen: in meinem Kochbuchregal stehen ganz viele Kochbücher, die ich unbedingt mal haben wollte. Aufgeregt habe ich täglich auf die Sendungsverfolgung geklickt, mir Vorschauen und Kritiken online durchgelesen und das Paket dem DHL-Mann aus der Hand gerissen. Dann habe ich mich damit bei nächster Gelegenheit aufs Sofa gehauen und ein paar Eselsohren an besonders nette Rezepte gemacht. Und dann - nichts. Am Ende bin ich erstens ein Gewohnheitstier und zweitens ein viel zu großer Nigella-Fan; andere haben es wirklich schwer, da auch mal einen Fuß in die Tür zu bekommen.

Dieses Jahr wird das anders! Ich begebe mich auf große Fahrt durch mein Kochbuchregal, und ihr müsst mit. Meine Familie auch, ob sie will oder nicht. Wenn es gut läuft, knöpfe ich mir bis Jahresende zehn Kochbücher vor.

Den Anfang macht Katie Quinn Davies' "What Katie ate at the weekend".
So sieht das aus:



Wobei die Weichzeichner-Optik daher rührt, dass das von L. geliehene Handy den Geist jetzt wirklich langsam aufgibt. Und die rosa Zettelchen oben im Bild sind Post-Its, mit denen ich Rezepte markiert habe. Lasst euch übrigens vom Titel nicht täuschen, es handelt sich um die deutsche Ausgabe.

Dieses Buch habe ich mir zu meinem letzten Geburtstag von meinen Eltern gewünscht und bekommen. Es ist das zweite Buch der Autorin, die in Australien lebt und schon seit einigen Jahren den extrem erfolgreichen Kochblog "What Katie Ate" schreibt. Außerdem arbeitet sie für Magazine und als freiberufliche (vor allem Food-) Fotografin und -Stylistin. Ein ziemliches Schwergewicht also unter den Fressschreibern. Seit ich das Buch habe, habe ich schätzungsweise zehn Stunden damit zugebracht, darin zu blättern und Rezepte für irgendwann mal herauszusuchen, und eine Stunde damit, daraus zu kochen. Das Rezept - ein Blumenkohlgratin - war für etwas, was man normalerweise freestyle mal so eben aus ein paar Käseresten, Bechamel und natürlich Blumenkohl zusammenschmeißen würde, ziemlich aufwändig und dabei geschmacklich eher eine 3-. Warum koche ich dann jetzt trotzdem noch daraus? Weil ich noch nicht aufgeben will, ein paar Nieten hat jedes Kochbuch frei. Weil mich ein paar der Rezepte wirklich sehr anlachen. Und weil ich irgendwo schließlich anfangen muss.

Abgesehen vom enttäuschenden Blumenkohl habe ich aber jetzt trotzdem schon mal ein paar Dinge zu meckern. Erstens finde ich die Food-Styling-Mode, die seit ein paar Jahren ziemlich um sich greift und die eine Art angehyptes "Wie bei Muttern"-Gefühl herzustellen versucht, nicht so schön. Was soll denn immer dieser Flohmarktkram im Bild? Diese rostigen alten Löffel, von denen doch niemals jemand ernsthaft essen wollen würde, schon allein deshalb, weil man sein Essen doch eher nicht mit Rostgeschmack haben möchte? Überhaupt ist mir vieles zu überstylt: das hier ist ein Kochbuch mit Rezepten für Freunde und Familie, die am Wochenende zu Besuch kommen, da kann ich verstehen, wieso es auch Bilder von großen Tafeln und lustiger Runde gibt. Aber müssen die wirklich allen Ernstes Strohhüte aufhaben, während sie da unter einem improvisierten Baldachin hocken und jetzt mal alle total spontan und glücklich aussehen? (Willkommen beim Kochbuch-Grinch, könnte man denken. Dabei mag ich Kochbücher! Und Gäste! Und Feiern! Und Baldachine meinetwegen auch! Aber irgendwas stimmt hier nicht.)
Dann mag ich den Schreibtstil nicht besonders. Fast alle Texte, die sich nicht unmittelbar um die eigenen Rezepte drehen, sind sturzlangweilig. Italien? "Die Menschen, die Landschaft, die Geschichte, die mittelalterlichen Städte, die Sprache - alles zieht mich in seinen Bann.", und das war nur eine x-beliebige Stelle, auf die mein Blick jetzt gerade gefallen ist.
Überhaupt verstehe ich nicht, was diese seitenlangen Foto- und- Textpassagen über Dublin, Italien, New York etc. sollen, wenn sie nicht ein Kapitel über irisches, italienisches oder amerikanisches Essen einleiten sollen. Aber jetzt sind sie eben da, und ich kann sie ja überblättern, wenn sie mich nicht interessieren.

Und jetzt höre ich auf zu maulen und fange an zu kochen. Auf der Liste stehen unter anderem: Super-Smoothies, Emmersalat mit Feta, Buffalo-Hähnchen, Chorizo-Tomaten-Tarte, Rippchen mit Chilis, eine Quiche mit Forelle, Auberginen-Mozzarella-Lasagne und Brownies mit Kirschen und Salzkaramell. Sollte sich die Blumenkohl-Erfahrung aber wiederholen, dann werfe ich irgendwann auf halber Strecke das Handtuch und gehe zum nächsten Kochbuch über.

Und nein, weil ich in heiligem Respekt vor dem Copyright lebe, kann ich leider nicht die Rezepte veröffentlichen. Aber weil es eine Blog-Autorin ist, die dieses Buch geschrieben hat, gehe ich fest davon aus, dass es viele der Rezepte auf ihrer Seite online gibt. Und natürlich wird mich nichts davon abhalten, ein paar stimmungsvoll verschwommene Fotos von dem Ergebnis meiner Bemühungen zu machen und hier einzustellen und meinen Gefühlen darüber freien Lauf zu lassen.

Freitag, 19. Februar 2016

Wir sind Mama.

In letzter Zeit beobachte ich an L. manchmal eine gewisse Vorsicht beim Betreten der Wohnung. Als würde er kurz Witterung aufnehmen, wie die Stimmung so ist und was ihn heute für eine Überraschung erwartet. Ich grusele mich, aber ich kann ihn verstehen. Denn die Persönlichkeitsspaltung, die ich an mir feststellen muss, seit ich zwei kleine Kinder habe, kennt man sonst nur von extrem klischeehaften Serienmördern.

Darf ich also die Rasselbande vorstellen:
1. Psycho-Mama.
Wer denkt an Psycho-Mama? Niemand. Wenn man nicht alles selber macht. Psycho-Mama kommt nämlich im großen Stil zu kurz, und sie hält das alles hier nicht länger aus. Was genau eigentlich? Na, alles. Dass jedes Kleidungsstück innerhalb von Minuten schmutzig wird. Dass ihr in dieser Wohnung kaum noch etwas allein gehört, und die paar Dinge, die noch übrig sind, haben Macken, Sprünge und Flecken. Dass es seit zweieinhalb Jahren so gut wie keine Nacht mit mehr als vier Stunden Schlaf mehr gibt. Dass sich das ganze Leben manchmal so anfühlt, als würde sie nie wieder auf einen grünen Zweig kommen. Auf all diese Dinge könnte man mit Zähne zusammenbeißen, einem doppelten Schnäpschen oder mit einer gewaltigen Ladung Galgenhumor reagieren. Psycho-Mama denkt aber nicht dran. Sie rastet aus. Sie faucht Anweisungen, und wehe, die werden nicht sofort befolgt, dann verfärbt sie sich tiefrot und macht ihrem Zweijährigen eine Szene. Oder ihrem Mann. Oder dem Hund. Auch Tränen fließen, und es sind immer die von Psycho-Mama, denn der Rest der Familie lacht sich tot über diese Dramen. Woraufhin Psycho-Mama Fluchtphantasien schmiedet. Ihr werdet schon sehen! Manchmal träumt sie davon, einfach in Jacke und Schuhe zu steigen, kurz mit einem feuchten Schwamm die Matschbanane von der Hose zu wischen, die Tasche umzuhängen, die Haustür hinter sich zuzuziehen und dann immer der Nase nach, kein Blick zurück. Ich fürchte, Psycho-Mama schaukelt mit dem Oberkörper vor und zurück, während sie mit einem dümmlichen und sentimentalen Serienkiller-Lächeln dieser Phantasie nachhängt. Wehe, jetzt kommt jemand an und erwähnt das ebenso Offensichtliche wie jetzt gerade überhaupt nicht Weiterhelfende: Dass sie selbst unbedingt Kinder wollte und niemand sie gezwungen hat, eher im Gegenteil. Dass sie ihre Kinder heiß und innig liebt. Dass sie so ein Riesenglück hat. Dass sie sich sowieso mit Kitaplatz für beide und Kindermädchen (!!!) an drei halben Tagen in der Woche nicht zu beschweren hat und einfach mal die Klappe halten sollte. Wie gesagt: Offensichtlich, und gerade jetzt überhaupt nicht Weiterhelfend. So isse! Die gute alte Psycho-Mama.

2. Effie-Mama.
Werbefüchse wissen: Effie steht für Effizienz. Zack-Zack! Effie-Mama hat statt einem Nervenzusammenbruch immer einen Plan, sie nimmt sich einen großen Plastikbottich und geht dreimal durch die Wohnung. Bei der ersten Runde sammelt sie achtzig kleine Socken und Pullis und Hosen und Halstücher ein und wirft sie in die Waschmaschine. Zweite Runde: Geschirr, Plastiklöffel, Fläschchen. Dritte Runde: Spielzeug, ab damit in die großen Schubladen im Esszimmer. Geht doch! Dann legt Effie-Mama Michel schlafen und schickt Kalle mit Papa zu Budni, neue stinkende und klebrige Bodylotion kaufen, und weil bei Effie-Mama keine drei Minuten ungenutzt bleiben, klappt sie sofort den Rechner auf, um ruckzuck die Steuererklärung zu machen. Bringt sie einen Stapel Bilderbücher ins Kinderzimmer, nimmt sie auf dem Rückweg gleich eine volle Windel mit und klemmt sich den Teddie unter den Arm, den Michel bestimmt gleich haben wollen wird. Sie segelt durchs Leben wie eine gut organisierte Oberkellnerin auf einer warmen Welle von Selbstzufriedenheit und Kontrollgefühl, was haben die alle nur, diese Mütter, die nicht zum Duschen kommen oder zum Schlafen? Man muss das nur alles richtig organisieren, dann läuft es doch. Wer kocht eine Portion Nudelsauce, wenn er genau so gut zwölf kochen und elf davon einfrieren kann? Applaudiert ihr nur, ich mach nur rasch den Abwasch! Ich freue mich immer, wenn Effie-Mama dran ist, weil hinterher die Wohnung besser aussieht und die Kinder auch gut mit ihr klar zu kommen scheinen. Aber gleichzeitig würde ich Effie-Mama wirklich gerne den Hals umdrehen, einfach dafür, dass sie wegen fünf Minuten Oberwasser immer sofort vergisst, dass auch diese Gelegenheiten zum Ordnung-Machen und Ausruhen und Sachen Erledigen im Moment reine Glückssache sind. Und ich werde das Gefühl nicht los, dass ich Effie-Mama diesen Bandscheibenvorfall zu verdanken habe.

3. Anti-Mama.
Obwohl ich (also, die Summe all dieser Mamas und die nicht Mama-bezogenen Persönlichkeitstrümmer drum herum) immer schon gesagt habe, ich hätte mir früher nie Gedanken ums Kinderkriegen gemacht, habe ich das scheinbar doch, heimlich und hinter meinem Rücken. Woher kämen sonst diese vielen Vorstellungen davon, wie Anti-Mama das alles NICHT machen will? Anti-Mama will nicht in Babysprache mit ihren Kindern sprechen. Sie will gleichzeitig aber auch auf keinen Fall eine dieser Mütter sein, die zu ihrem Zweijährigen sagen "Nein, Henrik, das hatten wir besprochen, jetzt musst du auch ipso facto die Konsequenzen tragen." (Wobei Anti-Mama so eine Mutter noch nie außerhalb einer Kolumne oder eines Blogposts gesehen hat, aber vorsichtshalber will sie klarstellen: SO EINE will sie auch nicht sein.) Sie will nicht tausende von Euro (die sie auch gar nicht hätte) bei petit bateau ausgeben, aber sie will auch nicht, dass ihre Kinder aussehen, als würde das Konzept Menschenwürde erst ab 18 gelten. Sie will kein antiautoritärer Schluffi sein, aber auch kein Dragoner. Das Problem ist, dass fast jede Handlung, jedes Wort, jede kleine Geste Anti-Mama in ihren eigenen Augen gefährlich nah an eins der feindlichen Lager bringt. Daher fällt es ihr schwer, überhaupt irgendwas zu tun oder zu sagen, und tut sie es doch, fühlt es sich sofort an wie ein Fehler. Passiert das zu häufig, lädt sich Psycho-Mama gerne mal bei Anti-Mama zum Tee ein, und dann wird's lustig.

4. Blogger-Mama.
Hihi, es ist 16 Uhr, ich bin noch im Schlafanzug! Aber hatte ich nicht immer gesagt, ich will mal einen Job, bei dem ich im Schlafanzug arbeiten kann? Haken dran, Bruharrharr! Nora Ephrons Mama hat immer gesagt, alles ist Copy, womit sie meinte, jeder Mist, der passiert, bietet Material für einen zukünftigen Lacher oder eine anderweitig tolle Geschichte. An meinem Pulli klebt Kinderkotze, gerade bin ich in Socken auf ein Holzkrokodil getreten, und das Krokodil hat gewonnen, auch heute machen Kalle und ich wieder ein gemütliches Pommes-Picknick auf einer Wolldecke im Wohnzimmer, weil ich zu kaputt zum Kochen bin und man den Küchentisch unter all dem ungespülten Kram kaum sieht, habt ihr meine Augenringe gesehen? Und meine Haare? Ist das hier ein Bad-Hair-Year oder was? Ach was, Year, mach Life draus! Blogger-Mama gerät von einem Missgeschick ins nächste und fühlt sich dabei, als würde sie in einem der witzigeren Mama-Blogs oder in der Brigitte Mom leben. Das ist vielleicht keine schlechte Strategie, um die ganz große Verzweiflung abzuwehren. Aber das Problem ist, so witzig und ein bisschen scheißegal, wie Blogger-Mama sich das gerne immer wieder sagt, ist es nicht, zumindest nicht für sie. Blogger-Mama bleibt auch nie für lange, die verschwindet wieder, wenn den restlichen Mamas hier klar wird: alles gut und schön mit der Copy und Material für zukünftige vorerst nur in meiner Phantasie existierende Drehbücher, aber irgendwer muss jetzt aufstehen und die Wäsche machen, das Krokodil und seine Kumpels wegräumen, Essen einkaufen und zubereiten und die Tupperdosen aus den Kitataschen holen und spülen und möglichst schmerzfrei die Rotzkrusten aus zwei Gesichtern entfernen. Und dann gucken wir mal, ob ich nachher um 20:00 noch wach genug bin, um das irgendwo aufzuschreiben für später.

5. Wenn-Kinder-Kinder-kriegen-Mama.
Erinnert sich jemand an den Film "Big", in dem ein Zehnjähriger sich wünscht, erwachsen zu sein, und plötzlich Tom Hanks ist? Aber innerlich noch zehn Jahre alt? So ungefähr. Man sollte meinen, dieser Typ Mama kommt nicht zum Zug, wenn man mit 39 und 40 seine zwei Kinder bekommt, aber Pustekuchen. Diese Mama kauert mit ihren Kindern auf dem Teppich und spielt Playmobil, liest sich an Bilderbüchern fest, bis Kalle drängelt, dass jetzt aber die nächste Seite dran ist, und steigt immer als letzte aus dem Karussell auf dem Spielplatz wieder aus. Bei der Ferienplanung lenkt diese Mama schon mal die Diskussion ein paar mal mehr oder weniger geschickt in Richtung Center Parks, und zwar nicht wegen der Kinderbetreuung, sondern wegen der Wasserrutschen. Das wäre alles gut und schön, wenn ihr nicht beim Playmobil schon mal ein Kind ausbüxen würde und sie es erst zehn Minuten später merkt und dann aus der offenen Spülmaschine ziehen muss. Kein Wunder, dass die Gören keinen Respekt vor den Ausrastern von Psycho-Mama haben. Diese Mama kann sich außerdem ziemlich genau daran erinnern, wie sich das alles angefühlt hat als Kind. Ja, auch als sehr kleines Kind. Und darum fällt es ihr manchmal schwer, Machtworte zu sprechen oder einfach mit Tunnelblick Zubettgehzeiten und dergleichen durchzudrücken, wie sinnvoll das auch immer sein mag. Ach je, ach je. Wer sagt, dass es den Peter Pan-Komplex nicht auch für große Mädchen gibt? Bzw. mehr oder weniger sauber abgespaltene Grpße-Mädchen-Persönlichkeits-Splitter?

So viel für heute. Und nächstes Mal stelle ich euch noch Hippie-Mama, Horror-Mama, Knetmännchen-Mama, Goldkanten-Mama und Groundhog-Day-Mama vor.

Freitag, 12. Februar 2016

Können wir aber froh sein, dass das Internet nicht von Budni ist.

Ich sitze in meiner neuen Küche, die Sonne scheint fast unverschämt grinsend durchs Fenster, und ich tue jetzt einfach mal so, als hätte ich nicht schon wieder seit Wochen nichts Gescheites mehr gepostet. Das endet dann nämlich wie schon oft beschrieben so wie mit Freunden, die man schon viel zu lange nicht mehr angerufen hat, und dann schämt man sich ein bisschen und wüsste auch nicht, wo man anfangen sollte, und dann lässt man es ganz oder vermurkst es. Und der Tag ist zu schön zum Vermurksen.

Also schön.

Als erstes habe ich zu meckern, und zwar über Budni. Dieses Thema ist für alle Nicht-Hamburger sturzlangweilig, aber da müsst ihr jetzt durch, ansonsten empfehle ich euch, den Absatz auszulassen. Ich war immer ein Fan von Budni. In den ersten zwei Jahren, als ich frisch nach Hamburg gezogen war, habe ich grundsätzlich nur "Budni" an Stelle von "Drogerie" gesagt, auch gegenüber Frankfurtern und Berlinern und Heidelbergern, peinlicherweise ein bisschen mit Absicht, um zu zeigen, dass mir Hamburg und sein Budni so dermaßen in Fleisch und Blut übergegangen waren. Triste Flora! Aber so war es. Und auch später war ich den immer aufgeräumten, freundlichen, blau-weißen Läden sehr verbunden. In den letzten Jahren haben wir vielleicht 400 Meter von einem Rossmann entfernt gewohnt und 800 Meter von einem Budni. Keine Frage, dass ich eigentlich immer den weiteren Weg zu Budni gemacht habe, ob Hagel, Regen oder Sturm. Selbst im achten Monat habe ich mich noch die paar Meter weiter geschleppt. Dann passierte Folgendes: L. und ich hatten beide eine Budni-Spendenkarte. Das ist eine Karte, die man an der Kasse vorzeigt, und das, was andere Leute als "Punkte" wasweißichwofür sammeln, wird dann eben "für gute Zwecke" gespendet. Bei jedem Bezahlen hatte ich ein gutes Gefühl, nicht umsonst ist Budnis Claim "Jeden Tag Gutes tun". Irgendwann hat L. in der Zeitung gelesen, im vorangegangenen Jahr hätte Budni über die Spendenkarten insgesamt XY Euro gesammelt und gespendet. Ich erinnere mich nicht an den genauen Betrag, es war ein zweistelliger Tausender. L. hat dann mal kurz durchgerechnet: Soundsoviel Tage offen im Jahr, soundsoviele Filialen, soundsoviel Spende pro Tag und Filiale - und kam auf einen wirklich, wirklich lächerlich winzigen Betrag. Ich habe dumm geguckt und meine Spendenkarte in den Müll geschmissen. Fragt mich jetzt die Kassiererin bei Budni, ob ich eine Karte habe und wenn nicht, ob ich eine haben möchte, dann gucke ich sie mit hochgezogenen Augenbrauen sehr vielsagend an. So! Dann hat dm seine Eigenprodukte bei Budni aus dem Sortiment genommen, und Budni war gezwungen, selbst günstige Wimperntusche, Badeschaum und Spülmittel produzieren zu lassen. Seitdem ist einige Zeit vergangen, und inzwischen fange ich an, Umwege zu machen, um nicht zu Budni zu müssen. Ich habe eine Budni-Zahnbürste gekauft. Nach zwei mal Putzen hatte sie einen Scheitel, und ich habe sie weggeworfen. Ich habe eine Packung Feuchttücher gekauft, und Michel bekam einen derartigen Ausschlag am Hintern, dass die Kita ihn für zwei Tage nach Hause geschickt hat. Ich habe Waschmittel gekauft, und auf einmal juckten die Schlafanzüge und die Bettwäsche. Ich habe eine Haarbüste gekauft - das ist noch gar nicht lange her, wir waren schon umgezogen. Es ist eine ganz normale Holzhaarbürste mit Drahtborsten. Meine Haare wellen sich zwar ein bisschen, aber es kann keine Rede davon sein, ich hätte eine irgendwie widerspenstige Lockenmähne, schon gar nicht nach zwei Kindern. Mein Pferdeschwanz hat einen Durchmesser von vielleicht einem Zentimeter. Und diese kleine Drahthaarbürste verliert bei jedem Bürsten ihre Borsten. Es macht "Pling! Pling!" und dann krieche ich durchs Bad und sammele die Borsten aus der Badewanne und vom Boden. Die Bürste hat inzwischen eine Zweidrittelglatze. Was kommt als Nächstes? Die Einweg-Nagelschere? Das zwei-Minuten-Deo? Ätzender Babybadeschaum? Explodierende Teelichter? Wenn es so weiter geht, werde ich es jedenfalls nicht herausfinden, ich bin dann nämlich gerade auf dem weiten Weg zu dm. Ich wünsche mir, dass meine Lieblingsdrogerie die Kurve kriegt. Aber gerade... nee, nee, nee.

Gut, das hatte jetzt so gar keinen Kinder- oder IVF-Bezug. Dafür habe ich zu erzählen, dass Michel läuft. Zwei Monate früher ist er dran als sein mit geraden Füßen geborener Bruder. Vor drei Wochen fing es damit an, dass er einen Meter zwischen L. und mir mehr gekippt als gelaufen ist. Inzwischen schafft er problemlos zehn Meter und mehr, klatscht dabei in die Hände, hebt Sachen vom Boden auf und legt sie wieder hin, wechselt schwungvoll und präzise die Richtung und geht Hindernissen aus dem Weg. Und ich könnte heulen vor Stolz, wenn ich daran denke, wie seine Füße aussahen, als er damals im UKE in seiner Klarsicht-Babywanne neben mir lag und mir ganz anders war beim Gedanken daran, wie das alles werden soll. Und das Allertollste daran ist, wie viel Spaß er dabei hat. Ich habe immer gewusst (eigentlich mehr gehofft, wenn ich ehrlich bin), dass er sich wohler fühlen würde auf der Welt, wenn er sich erst so bewegen kann, wie er will. Jetzt kann er, und er strahlt und lacht und kichert, während er sich die Antirutschsocken durchläuft. Und das jetzt auch noch in einer Wohnung, in der nicht überall steile Holztreppen auf kleine Lemminge in Latzhosen lauern und wo ich ihn einfach mal laufen lassen kann, weil in jeder Tür ein Klemmschutz steckt und in jeder Steckdose ein Steckdosenschutz. Und Kalle ist im Geschichten-Alter. Ungefähr zwanzig Mal am Tag muss ich mir eine Geschichte für ihn ausdenken, und zwar am liebsten eine, in der er selbst vorkommt. Man sollte meinen, das kriege ich hin, immerhin ist es seit 15 Jahren mein Job, mir Geschichten über Hühneraugenpflaster, Autos, Kekse oder Bier auszudenken, aber es ist schwerer als gedacht, und ich merke, dass Mamas Gene in mir durchkommen, weil komischerweise viele der Geschichten so einen Drall ins Pädagogische bekommen. "Da siehst du, was passiert, wenn man zu viele Süßigkeiten isst!" So in dem Stil. Ich versuche, das zu ändern, aber wenn es nachts um zwei ist, der Rücken zwickt und Kalle mir seine Fußnägel in den Bauch bohrt, ist das nicht immer ganz einfach. "Und das ist die Geschichte von dem Jungen, der nie in seinem eigenen Bett schlafen wollte!" (Die überhaupt nicht angebracht wäre, denn neun von zehn Nächten schläft er in seinem eigenen Bett.)

Was ist sonst noch los? Das mit den Vorsätzen läuft ziemlich gut, wenn man bedenkt, dass schon Mitte Februar ist. Die Bandscheibe allerdings nervt weiter wie Hulle, in den letzten Tagen mit neuem Schwung, denn jetzt musste ich mein Wunderschmerzmittel - Diclofenac - absetzen, weil mein Magen plötzlich und spektakulär verrückt spielte. Die Ferien von den Schmerzen sind also vorbei und waren viel zu kurz, und jetzt lege ich wieder weite Strecken des Tages im rechten Winkel zurück und schlafe mit meinen Füßen auf einem dicken, knisternden und nach Schlauchboot müffelnden Pusteklotz und kriege trotzdem fast kein Auge zu, weil es einfach keine Lage gibt, in der meine Hüfte nicht weh tut. Um eine OP versuche ich trotzdem weiter, herumzukommen, denn mit zwei Kleinkindern könnte ich die Wochen danach einfach am besten in einer anderen Stadt verbringen. Die würden das nie verstehen, dass ich sie jetzt nicht in den Arm nehmen kann, und ich würde es vermutlich auch nicht verstehen, und das Ergebnis wäre wohl leider, dass ich mir den Rücken endgültig ruinieren würde, egal zu welchen Hochleistungen mein Arzt im OP auflaufen würde. Ich ballere mich also Vormittags mit Koffein wach, turne jeden Tag zwischen 30 und 60 Minuten mein Rückentraining vor dem Fernseher, fluche und hoffe auf morgen oder nächste Woche (aber das sind Mütter von Kleinstkindern ja gewohnt) und glaube weiter zweckoptimistisch daran, dass die Übungen irgendwann dem Rücken zeigen werden, wo es langgeht.

Dann bastele ich noch an meiner Homepage. Jaaaa, verrückt! Seit 2009 bin ich nun selbständig, und nun dachte ich, der frühe Vogel fängt den Wurm, jetzt könnte ich doch mal. (Ganz so ist es auch nicht, ich hatte einen Arbeitsblog, in dem man auch ein paar meiner Arbeiten angucken und mir Emails schreiben konnte und so... theoretisch.) (Also, genau genommen ist es doch genau so. Hier sitzt eine, die ihr berufliches Schicksal voller Gottvertrauen von Mundpropaganda abhängig gemacht hat. In welchem Job arbeite ich noch mal? Ach ja, Werbung! So.) Und das Tolle ist, sie ist so gut wie fertig. Und dann geht das hier aber mal los mit den Aufträgen und dem Koks und dem Gejammer über den ganzen Stress und den Nervenzusammenbrüchen und dem dringenden Vorsatz, dem ganzen Werbescheiß den Rücken zu kehren und als Drehbuchautorin ganz groß und trotzdem stressfrei rauszukommen!

(Fällt euch auch auf, dass das jetzt doch irgendwie so klingt wie ein Telefonat mit einem Freund, den man seit zwei Jahren nicht gesprochen hat?)

Und dann zum Stammtisch. Wie wär's mal wieder? Sagt doch mal.

Freitag, 5. Februar 2016

Immer einen Schritt nach dem anderen.

Wenn etwas funktioniert, denke ich nicht lange drüber nach. Das gilt auch für meinen Beckenboden. Heute morgen habe ich den Wasserbehälter des Trockners in die Dusche ausgeleert und erst bei den letzten Tropfen gedacht: das ging vor einem halben Jahr noch nicht. Jedenfalls nicht ohne Slipeinlage. Ich bin leider extrem ungeduldig, und bis ich endlich wieder um den Park rennen darf, werde ich nicht zufrieden sein. Aber es ist gut, sich von Zeit zu Zeit daran zu erinnern, dass es viel schlimmer sein könnte - und vor noch gar nicht allzu langer Zeit auch schlimmer war.
In den letzten Wochen musste ich mit dem Femifree eine Zwangspause einlegen, Schuld war mein dusseliger Bandscheibenvorfall. Der beschäftigt mich immer noch, aber inzwischen darf ich beides parallel: Krankengymnastik für Bauchmuskeln und unteren Rücken und Training mit dem Femifree. Heute geht es wieder los, und ich kann es kaum abwarten, nachher erst in die Manschetten und dann in meine weiteste Jogginghose zu steigen und loszulegen. Und wenn mir das vor lauter Vorfreude auf den Park und den Schweiß und die Lauf-App und dieses unschlagbare Gefühl, morgens nach einem Lauf durch den Platzregen unter der Dusche zu stehen, wieder mal alles viel zu lange dauert, dann befehle ich mir hiermit, immer dran zu denken, dass Laufen zwar noch ein bisschen dauert - immer noch ein bisschen und noch ein bisschen, schon seit über zwei Jahren - aber dass vor ein paar Wochen Husten, Lachen, Erschrecken, Stolpern, Niesen und einfach nichtsahnend die Straße entlang Spazieren noch ein Problem waren. Zumindest manchmal. Und den Trocknerbehälter ausleeren, das auch.

Davon abgesehen, dass er mich näher an den Park bringt, hat das Femifree noch einen Bombenvorteil, den man als Mutter von Kleinkindern nicht genug loben kann: er ist (ähnlich wie die Stillsitzungen früher) eine 1A Ausrede für eine Auszeit. Ich schnalle mir die Manschetten um und muss jetzt leider, leider, so leid es mir tut, eine halbe Stunde unbehelligt stillstehen. Zum Beispiel vor dem Fernseher oder mit einem Buch oder einem Kochlöffel in der Hand, während ich seelenruhig ein Risotto rühre. Waaas, Kalle sucht seinen Teddy? L. will wissen, wo sein Schlüssel ist? Wie schade, jetzt muss ich leider noch einen Moment hier stehen, ihr Süßen! Sorry, Sorry, Sorry, hier geht’s um ein gesundheitliches Problem, das werdet ihr wohl verstehen. Und fünf Minuten später haben sie den Teddy und den Schlüssel auch ohne meine Hilfe gefunden, und ich bin insgesamt hochzufrieden, wie das hier so läuft mit mir und dem Femifree.