Dienstag, 19. Mai 2015

Sechs Dinge, die überhaupt nichts miteinander zu tun haben

Als ich heute morgen Kalles Windel geöffnet habe, kam mir eine dicke Fliege entgegen gebrummt und hat eilig das Weite gesucht. Wie auch immer meine Nacht war: ihre war jedenfalls schlechter.

Ich habe einen ganz tollen Mütter-Blog entdeckt, und jetzt gähnen vermutlich alle, weil sie ihn längst kennen: the ugly Volvo. Den hätte ich gerne selbst geschrieben, bin aber leider nicht lustig genug. Ich bin sehr glücklich, eine Mütterseite gefunden zu haben, auf der es nicht um diese ewigen angeblich magischen Momente und um Deko geht.

Politik für Kleinkinder scheint out zu sein. Kalle bekommt seit ein paar Wochen gerne vorgelesen. Er schleppt ein Buch nach dem anderen an. Die meisten handeln vom Einschlafen (Gute Nacht Gorilla, das Einschlafbuch, bei dem man immer das Licht ausmachen muss und dessen Titel ich vergessen habe, Gute Nacht Karlchen...), haben aber keine einschläfernde Wirkung, im Gegenteil: Kalle ist sehr aufgeregt, wenn er die einzelnen Tierarten findet und ihre Namen kräht. "PASCHE! ASCHE! PANT! HASE! PERD!!! DIEL!!! HYÄNE!!!!! LULLA!!!!! BOSCH!!!!!!!!!" usw. Jedenfalls ist mir aufgefallen: als ich klein war, ging es selten ab ohne eine wichtige, gesellschaftskritische Botschaft. Es gab z.B. den Maulwurf Grabowski, der handelt davon, dass die Bauarbeiter die schöne grüne Wiese des Maulwurfs kaputt machen und ihn aus seinem Zuhause vertreiben. Dann muss er fliehen - vor dem Bagger, über Straßen, es ist schrecklich - und am Ende findet er eine neue Wiese. Ich weiß noch, dass ich als Kind ganz bang dachte: schön, aber für wie lange? Wann kommen auch hier die Bauarbeiter und knallen da ein Hochhaus hin? Es gab dieses Buch, bei dem man erst ein schönes grünes Dorf sieht, und dann sieht man, wie im Lauf der Jahre eine pottenhässliche Betonwüste daraus wird. Ich hatte eine Schülerzeitschrift, die Flohkiste. Auf dem Titel waren z.B. durch sauren Regen zerstörte Bäume und darüber ein Zifferblatt, auf dem es fünf vor Zwölf war. Im Heft ging es auch um das Artensterben, um den Hunger in der dritten Welt, um die Bedrohung durch Atomkriege und Supergaus, um Müllberge oder darum, was alles schief gehen kann, wenn Kinder mit Plastiktüten oder Elektrogeräten spielen. Meine Kindercassetten waren von Christiane und Frederik, die sangen z.B. davon, wie die Leute sich an den Kastanienbaum ketten, damit der Baulöwe ihn nicht umhaut, oder gegen Ausländerfeindlichkeit und davon, dass wir die Gastarbeiter brauchen, oder davon, wie hart das Leben eines Landwirts ist, wenn er für seine Milch und sein Getreide zu wenig Geld bekommt. Meine Eltern waren bestimmt keine linken Aktivisten, aber so war das damals. In der Schule lasen wir dtv Junior-Bücher, in denen es um Drogen und Behinderung und den Holocaust ging. Heute gibt es das nicht mehr, oder irre ich mich? Ich habe das Gefühl, in Kinderbüchern geht es um Tierarten, um Spaß, um kleine lustige Abenteuer und darum, dass abends alle in ihrem Bettchen liegen und glücklich einschlafen. Im Froschteich schwimmt kein Müll, auf der Wiese rückt niemals ein Bagger an, und der Wald sieht so grün und saftig aus wie vor hundert Jahren. Was ist da los?

In drei Wochen steigen L. und ich in zwei unterschiedliche Flugzeuge und fliegen nach New York. Die Kinder bleiben hier in der Obhut ihrer liebevollen Großeltern, ein Kindermädchen kommt jeden Tag und hilft für ein paar Stunden, und die Kita ist ja auch noch da. Zwei unterschiedliche Flugzeuge, weil meine Mutter das gerne so möchte; sollte ein Elternteil abstürzen, ist noch einer übrig. Damit beginnt dieser Urlaub für mich schon so, wie er besser kaum beginnen könnte: vom Start über den Zwischenstopp in Amsterdam bis zur Landung habe ich zehn Stunden Zeit zu lesen. Aber auch sonst bin ich hysterisch vor Tatendrang. Ich muss aufpassen, dass die Liste der Absichten nicht so lange wird, dass der Urlaub sich am Ende auf jeden Fall wie ein Reinfall anfühlt, weil ich nur zehn Prozent davon geschafft habe. Ich habe schon oft und sicherheitshalber noch öfter geschrieben, wie dankbar ich bin, Kinder zu haben. Aber gerade bin ich mindestens so dankbar, Eltern zu haben. Oma&Opa, Hip Hip Hurra!

Ich weiß nicht genau, wie viele Haare man als durchschnittliche Erwachsene hat, aber ein großer Teil davon hält sich gerade nicht auf meinem Kopf auf. Die Mauser nach der Geburt ist da, seit sechs Wochen, und macht keine Anzeichen, endlich zu Ende zu gehen. Während der Schwangerschaft habe ich so gut wie keine Haare verloren, jetzt dafür alle auf einmal. Damals habe ich alle drei Wochen mal die Haarbürste saubergemacht, jetzt dreimal am Tag. Ich muss täglich saugen, sonst werde ich verrückt. Wenn ich eine Jacke anhatte, kann ich anschließend zwischen zwölf und dreißig Haare aus der Kapuze klauben. Ich traue mich nicht mehr, für Gäste zu kochen, und wenn ich für die Familie koche, setze ich eine Mütze auf. Michel fiestere ich ständig Haare aus den Fäustchen, und jetzt höre ich auf darüber zu schreiben, denn es ist wirklich sehr, sehr widerlich alles. Mal ehrlich, sechs Wochen, das reicht doch jetzt?

Gestern war ich mit L. und Michel unterwegs und noch dreißig Meter von der Straße entfernt, als die Fußgängerampel grün wurde. Da sind wir dann rübergerannt auf die andere Seite. Und ich musste nicht nach Hause gehen, duschen und mich umziehen. Beckenboden, bald bist du reif. Ich fürchte, ich werde heulen, wenn es wirklich so weit ist, ich durch den Park trabe, und das Pipiproblem muss zuhause bleiben und darf nicht mit.


Mittwoch, 13. Mai 2015

Wir müssen leider draußen bleiben

Ich schreibe diesen Post nach einer Nacht, die ich vor allem auf Knien verbracht habe: kniend im Bett über Michel, der starkes Fieber hatte und ständig neue kalte Wickel brauchte, die ich dann in Position halten musste, während er sich hin und her gebogen hat wie eine Stahlfeder und einfach nicht zur Ruhe kam. Gestern war sein letzter Impftermin vor dem ersten Geburtstag, und obwohl wir bei allen anderen Impfterminen (auch bei Kalle) so weit ich mich erinnere ohne Nebenwirkungen davongekommen sind, hat es uns diesmal erwischt. Das erste Fieberzäpfchen hat er gestern abend um sechs bekommen, das zweite dann heute Nacht um zwei, und die Schwierigkeit bestand darin, dass ich dachte, ich hätte es richtig eingeführt, während es in Wahrheit nur in der Ritze klemmte und schon halb geschmolzen war, bis ich meinen Irrtum bemerkte, so dass ich keine Ahnung hatte, wie viel davon jetzt angekommen war bzw. wie viel ich im Notfall nachschieben können würde. Daher: kalte Wickel. Die haben dann auch geholfen. Jetzt sitze ich hier, kralle mich an meine Tasse extrastarken Tee wie selten, und schreibe immer noch voller Überzeugung: liebe Impfgegner, hier bitte nicht. So fusselhirnig ich sonst auch sein mag, und so sehr es mir gegen den Strich geht, hier Kommentatoren wegen ihrer gegenläufigen Meinung abzuwatschen - falls ihr eure Kinder nicht impfen lasst, will ich weder eure Gründe dafür hier lesen noch irgendwelche Versuche, denen Angst zu machen, die es tun.

Das Fieber ist weg, die kleinen Pflaster mit den Marienkäfern drauf habe ich ihm gerade von den Beinchen geknibbelt, jetzt liegt er in seinem Stubenwagen und kräht und lacht. Was auch immer die Welt noch an Ärger und Gefahren für ihn bereit hält: Masern, Kinderlähmung und Tetanus gehören nicht dazu, und das ist ein sehr gutes Gefühl.

Dienstag, 12. Mai 2015

Überraschungsmenü

Als meine Geschwister und ich Kinder waren, hatte meine Mutter es bei Tisch ziemlich schwer mit uns. Sie wollte, dass wir vernünftig essen. Sie tat eine ganze Menge, damit das passiert. Es kam so gut wie nie vor, dass wir einfach Nudeln mit Tomato al Gusto bekamen oder eine Tiefkühlpizza - sie kochte richtig, mit Mühe, Abwechslung, und jede Menge Hirnschmalz wanderte vermutlich auch in die Planung und Zubereitung dieser Mahlzeiten. Meine Mutter war keine Hausfrau, sie arbeitete als Lehrerin, und die Zeit, die ihr von Feierabend bis Mittagessen blieb, war kurz - trotzdem stand fast immer ein drei-Komponenten-Gericht auf dem Tisch. Kohlrabi mit Kartoffelpüree (selbstverständlich selbstgemacht und nicht aus der Tüte) und Frikadellen. Bratkartoffeln, Rotkohl und Bratwurst. So etwas erfordert Planung und Sorgfalt, vor allem, wenn man wie wir ein gutes Stück weit weg wohnt vom nächsten Supermarkt. Und das war der Dank: Es war fast egal, was sie kochte, es gab Stunk. Selbst wenn das Essen uns schmeckte (sprich: wenn wir es ohne Murren in uns reinstopften und danach ohne ein nettes Wort in unsere Zimmer verschwanden), denn mein Bruder und ich nutzten das Mittagessen als willkommene Gelegenheit, uns zwanzig Minuten lang zu streiten. Vor diesem Hintergrund kann ich mehr als verstehen, dass wir an vielen Tagen nach den Hausaufgaben nach draußen geschickt wurden mit der mehr oder weniger deutlichen Anweisung, vor 18 Uhr nicht wieder nach Hause zu kommen.
Es gab eine Riesenliste von Dingen, die ich nicht aß. Wirsing stand darauf, Kohlrabi, gekochte Möhren, Milchreis oder auch Tiefkühlerbsen. Dann gab es eine noch größere Liste von Dingen, die ich notgedrungen aß, aber dabei gingen die Mundwinkel keinen Milimeter nach oben, und ich war mit einer Spatzenportion zufrieden. Zu voller Mähdrescherleistung lief ich nur in den seltenen Sternstunden auf, wenn es eins meiner Lieblingsessen gab, dann aber richtig. Ich habe mehrere Weihnachtsfeste deutlich vor Augen, bei denen mein Vater wirklich wütend wurde, weil seine Tochter eine so ungehörige Menge Fondue verdrückte. Darüber hinaus gab es Marotten. Ich weigerte mich, von Silberbesteck zu essen. Ich musste das alte Plastiktischset mit der Zitrone haben. Fleisch und Beilagen durften sich nicht berühren, es durfte keine Sauce auf den Nudeln sein etc. Ich war eine echte Pest. Aber meine Mutter gab nicht auf, sie kochte weiter, jeden Tag, und was sie heute denkt, wenn ihre endlich erwachsene Tochter stundenlang über italienische Küche schwadroniert und eine Gewürzschublade, eine Gewürzkiste und dann im Keller noch einen Gewürzumzugskarton hat, bleibt ihr Geheimnis.

Ziemlich unfair, dass ausgerechnet ich zumindest ein Kind habe, das mir bisher solchen Ärger nicht macht. Nicht nur, dass die Jungs sich bisher sehr gut verstehen und hoffentlich dabei bleiben, Kalle ist bei Tisch weiterhin das Kind zum Angeben. Seine Tischsitten sind immer noch vor allem von Gier bestimmt, aber das kommt später. Bis dahin erzähle ich jedem, der es hören will, von dem Kind, das Knoblauch und Meeresfrüchte isst, gerne alkoholfreies Bier trinkt und in die Küche getrabt kommt, um ein Stück Mate (Tomate) und ein Stück Tiebel (Zwiebel) abzustauben. Jeden Morgen frage ich ihn, was er auf sein Kita-Brot will. Und jeden Morgen entscheidet er sich gegen Nutella und für Käse, und vielleicht fordere ich mein Glück heraus, aber aus reiner Hybris biete ich ihm weiter Nutella an. Ist das geklärt, darf er auf den Käse zeigen, den er will. Weichkäse mag er nicht so, aber mindestens genau so oft wie Kinderkäse (wie z.B. Gouda) möchte er Appenzeller oder Morbier oder was auch immer. Lachs mag er auch. Lachs mit Ziegenstreichkäse drunter. Und er hätte auch immer gerne noch ein paar Chiliflöckchen auf seine Pasta und einen Spritzer Zitrone in sein Wasser. Letzte Woche hatte ich Nigellas Dragon Wings gemacht, Chicken Wings mit fünf frischen Chilischoten, eigentlich nur für mich. Aber dann kam Kalle und wollte einen abhaben, und wie so oft dachte ich ein bisschen heimtückisch "hähä, auf den Gesichtsausdruck bin ich gespannt" und habe dann fassungslos zugesehen, wie er das Ding mit viel Genuss bis auf den letzten Fetzen von den Knochen genagt hat.

Um diese himmelschreiende Ungerechtigkeit auszugleichen, haben die Götter mir L. geschickt. L. ist der Ehemann einer Frau, die früher (als sie noch Sonntagmorgen hatte) jeden Sonntagmorgen mit einem Stapel Kochbücher im Bett lag und sabbernd ihre nächsten Mahlzeiten plante, mit Vorliebe solche aus Schweinefleisch. L. hat entschieden, kein Schweinefleisch mehr zu essen. Rind auch sehr, sehr ungern und selten, aber wenn, dann Bio. Bio ist in unserem Vorort nicht zu kriegen, ich habe es versucht. Für Geflügel gilt das Gleiche. Lamm an sich schon, wenn da nicht sein Grundsatz wäre, keine Babytiere zu essen - aus dem gleichen Grund ist Kalbfleisch vom Speiseplan. Der Killer wäre eine Spanferkel. Fisch ist ok, mit Ausnahme von Hummer, was ich nicht schlimm finde, denn Hummer mag ich auch nicht so gerne und kann ihn außerdem von meinem Elterngeld nicht bezahlen. Wild würde er theoretisch essen, aber im Zweifel dann lieber doch Gemüse. Gemüse und - zartbesaitete lieber jetzt aussteigen - Tofu. Ich könnte sagen, da pfeif ich drauf, soll er sich seine Mahlzeiten doch selbst organisieren, ich lege jetzt erst mal einen Schweinebauch ein. Manchmal mache ich das auch, aber meist siegt die Kinderstube, in der es nun mal so angelegt war, dass die Familie sich gefälligst an einen Tisch setzt und zusammen isst, und zwar das Gleiche. So kommt es, dass in den letzten Monaten solche Dinge wie Quinoa, Einkorn, Rollgerste oder Hirse ihren Einzug in mein vorher schon proppenvolles Vorratsregal gefunden haben. Auch Mandelmus als Käse"ersatz" hatten wir schon. Aber noch schätze ich mich glücklich, denn ich habe das dumpfe Gefühl, wenn es einen Menschen in meinem Umkreis gibt, der irgendwann mit Paleo anfängt, dann ist das der Mann an meiner Seite.

Bin ich gespannt, wie es mit Kalle wird.

Sechs Monate

Manchmal habe ich den üblen Verdacht, ich hätte mir in den letzten Monaten mein bisschen Humor einfach weggestillt. Mit der Muttermilch ausgesaugt und futschi. Das wäre eine Erklärung dafür, wieso ich mit diesem Streiflicht zum Thema Muttertag so gar nichts anfangen kann und das dumpfe Gefühl hatte, hier hatte jemand die unangenehme Aufgabe zu erfüllen, über Mütter zu schreiben, hatte weder Zeit noch Bock und irgendwie auch keine Ahnung, was er schreiben soll, und herausgekommen ist dann so ein verschraubter Quark. Aber gut. Wäre ich seine (oder ihre?) Mutter, würde der nächste Geburtstagskuchen deutlich trockener ausfallen als gewohnt. Vielleicht sogar ein bisschen angekokelt, wer weiß? Wir Mütter haben da so unsere Methoden, unsere giftigen, seelenzerstörerischen Kniffe.

Und sonst? Gerade gäbe es eine Menge über Krankheit zu schreiben, aber das macht keinen Spaß, darum lasse ich es einfach. Stattdessen habe ich zu berichten, dass Michel sechs Monate alt ist, was mir merkwürdig vorkommt, denn es fühlt sich an, als wäre er schon Jahre hier. (Und das könnte daran liegen, dass gerade jeder Tag statt 16 so ungefähr 21 wache Stunden hat, das streckt die Zeit ganz schön...) Und es tut sich was. L. sagt, ich spinne, und außerdem, dass ich nun schon seit Monaten behaupte, JETZT würde aber wirklich gerade was passieren, was aber offensichtlich nur für mich sichtbar wäre - ich bestehe drauf, es tut sich was. Ich weiß, eines Tages wird der Altersunterschied zwischen den beiden - gerade mal fünfzehneinhalb Monate - praktisch nichts mehr ausmachen und komplett verschwinden. Noch liegen Welten dazwischen: der Unterschied zwischen sechs und einundzwanzig Monaten ist der Unterschied zwischen sieben mal täglich "Gute Nacht Gorilla" vorlesen und Augenringen bis Meppen, zwischen Fläschchen und noch mehr Fläschchen und einer schönen Portion Muscheln mit Chili, zwischen zwanzig Minuten Nickerchen-Freiheit - wenn auch immer mit einem Ohr im Kinderzimmer - und sechs Stunden Kita, zwischen Schleppen bis der Rücken ächzt und mit einer Tasse Tee gemächlich hinterher schlendern, während Kalle den Garten erkundet. Aber trotzdem finde ich, Michel ist schon heute näher dran an seinem Bruder als an dem knallroten brüllenden Wesen, das sie mir damals um zwei vor vier im Kreißsaal Nr.3 in die Arme gelegt haben. Er fasst sich anders an, und wenn ich ihn trage, kann er auf meiner Hüfte sitzen und guckt sich wissbegierig um. Lege ich ihn auf den Boden, dann dreht er sich fast sofort auf den Bauch, zieht die Beine an, Hintern in die Höhe, und dann fängt er an, vor und zurück zu schunkeln. Nach ein paar Sekunden fängt er an zu meckern, weil das zwei Meter entfernte Spielzeug immer noch nicht näher gekommen ist, aber diesen Trick hat er bestimmt bald raus. Selbst L., der sonst nicht zu seinen frenetischsten Cheerleadern gehört, glaubt daran, dass er früher laufen können wird als Kalle. Er lächelt und hat schon so etwas wie Vorlieben: wenn es mich überkommt und ich ihm zwanzig Knallküsschen aufs Gesicht drücke, dann guckt er mich nachsichtig lächelnd an, als wäre das ein echt lahmer Scherz, aber irgendwie immer noch ok. Er liegt gerne auf seiner Wickelkommode und verehrt die Wärmelampe, die zwar nicht mehr nötig wäre, aber ihm zuliebe mache ich sie trotzdem noch an. Er liebt es, Papier zu vernichten, und inzwischen kann ich nicht mehr essen, während ich ihn auf dem Arm habe, denn er wirft sich mit seiner ganzen ziemlich beträchtlichen Kraft in Richtung des Tellers. Man muss nicht Freud sein, um drauf zu kommen, dass das wohl heißt, er hätte jetzt langsam gerne etwas anderes als Premilch - aber blöderweise verträgt er die Versuche, seinen Speiseplan zu bereichern, bisher nicht besonders gut. Fruchtgläschen waren alle eine Katastrophe, Gemüsegläschen gehen ein bisschen besser. Babyratgeber sprechen immer davon, man sollte seinem Kind Brotrinden zum Lutschen geben, auch um einer Glutenunverträglichkeit vorzubeugen - aber ehrlich, dazu bin ich zu ängstlich. Bekommt er meinen Finger zu fassen, dann erlebe ich täglich mehrmals hautnah, wie viel Kraft so eine kleine Wurst im Kiefer hat. Der kriegt doch ohne weiteres eine Brotrinde klein, und dann? (Das übrigens aus den gleichen Ratgebern, die sonst vor eine Nummer zu großen Schlafsäcken, Kuscheltieren oder Todes-Kunststoff in Kinderwagen warnen...) Vielleicht lerne ich zur Abwechslung mal rechtzeitig dazu, vergesse die Gläschen und gehe direkt zu vorsichtig Selbstgekochtem über. Irgendwo in meinem Vorratsschrank müssen noch die Vorräte an italienischer Babypasta sein, die ich für Kalle mal angelegt hatte, bevor mir irgendwann klar wurde, dass der einfach essen will, was wir essen, und bis dahin gerne bei Milch bleibt.
Wir bewegen uns also langsam raus aus dem Baby- hinein ins Jungsterritorium. Zumindest tagsüber, nachts ist immer noch alles ungefähr so wie damals auf der Neugeborenenstation, nur dass nicht alle drei Stunden gewickelt wird. Er brüllt, ich schmeichle und beruhige und versuche, mich langweilig und neutral zu verhalten, ich mache Fläschchen und trage sie morgens so gut wie unangerührt wieder nach unten in die Küche, ich massiere seinen Bauch mit Kümmelsalbe und fluche, ich googele auf dem Telefon nachts um drei nach Babyschlaftipps und würde den neunmalklugen Ratgebern abwechselnd gerne den Hals umdrehen* und das sofort ausprobieren, manchmal auch beides gleichzeitig. Und wenn ich doch mal träume, träume ich von besseren Zeiten, wenn auch viel zu kurz. Und trotzdem - keiner weiß warum - bilde ich mir immer noch jeden Tag ein, heute wäre die Nacht, in der er zum ersten Mal nur einmal aufwacht. Heute kriegt Mutti sechs Stunden, vielleicht sogar mehr! Heute ist der Tag, an dem wir das Tal der Augenringe hinter uns lassen. Und statt sich abzunutzen, wird diese Hoffnung jeden Tag ein bisschen stärker. Vielleicht ist das das sicherste Zeichen, dass mein Baby langsam groß wird. Wie ich mich darauf freue! (Wisst ihr noch, die endlosen Posts über das Stilldrama mit Kalle? Wie glücklich wäre ich, mal wieder über was anderes schreiben zu können als über Nachtruhe.)

* jemand hat vor ein paar Wochen zu mir gesagt, ich sollte mich nicht so anstellen, das wüsste man doch vorher, dass Babys zu Schlafentzug führen. Kann sein, aber bitte stellt euch mal folgendes vor: beim nächsten Marathon lauern wir so ungefähr bei Kilometer 32 auf jemanden, dem man ansieht, dass er gerade gegen die innere Wand rennt. Nichts geht mehr, alles tut weh, und jetzt kommen wir, schwingen uns über die Absperrung, traben locker ein paar Meter nebenher und sagen ihm, wir wüssten gar nicht, was er hat, das wüsste man doch vorher, dass so ein Marathon anstrengend wird. Ich glaube, mancher wäre erstaunt, wie viel Kraft für eine entsprechende Reaktion doch noch in dem Wrack steckt.





Montag, 11. Mai 2015

Der erste von hoffentlich zwei Posts, zu denen ich heute Gelegenheit bekomme

Zur Sicherheit schon mal der hier: die Dame von Merck hat mich nett gebeten, auf die dritte Folge des Online-Chats übermorgen zum Thema IVF hinzuweisen. Was ich hiermit tue. Wieder sind einige Experten versammelt, die Fragen beantworten zu den unterschiedlichsten Aspekten rund um Kinderwunschbehandlungen. Wer mitchatten oder einfach nur das Spektakel verfolgen will, kann das hier tun. Da gibt es auch alle Informationen rund um dieses Tipptopp-Abkürzungs-Event.