Sonntag, 28. Dezember 2014

p.s.

Wir stellen uns vor, eine Frau hat zwei kleine Kinder, eins davon sogar noch klitzeklein. Jetzt geschieht das Wunder, dass das eine Kind durchfallfrei in der Kita ist, das andere schläft. Und zwar weiß sie es noch nicht, aber es wird zwei Stunden lang schlafen, ohne einen Piep. Was macht sie jetzt? Vielleicht sagt sie: Hurra, endlich rufe ich meine Freundin Irmi an, das will ich schon seit Wochen. Oder sie springt wie der Blitz in ihren Schlafanzug und schläft zwei Stunden, bitter nötig wäre es. Oder sie kocht sich ihr Lieblingsessen (in der Hoffnung, dass das Baby nicht in dem Moment losbrüllt, wenn es auf dem Teller liegt). Oder sie starrt ein riesiges Loch in die Luft. Was auch immer sie tut, sie hat natürlich zu wenig Zeit dafür, aber immerhin: die Zeit, die sie hatte, war ihre, und sie hat endlich etwas tun können, was sie schon lange wollte.

Mir passiert das manchmal, dass die Kinder mich kurz nicht brauchen, und ich habe dann oft keine Ahnung, was ich machen will. Ich fange also erst mal an, die Dinge zu machen, die ich machen muss. Wäsche waschen, Abwasch, die Treppe wischen, sowas. Und auf einmal ist das Baby wieder wach, und ich gucke auf die Uhr und denke: das waren jetzt zwei Stunden. Vielleicht komme ich auch mit der Pflicht ruckzuck durch und bin trotzdem überfordert von der Kür. Vielleicht mache ich erst mal panisch zehn Sachen gleichzeitig am Rechner, lese ein paar Blogs, keinen davon richtig, rase durch ein paar Nachrichtenseiten und Onlineshops, ohne irgend etwas von dem zu kapieren, was vor meinen Augen vorbeiscrollt, und dann ist die Zeit vorbei.

So geht es mir gerade mit vielen Dingen. Ich habe sogar das Gefühl, so geht es mir fast immer. Mein Leben hat mich in Geiselhaft genommen, ich entscheide hier gar nichts mehr. Das ist in Wahrheit bestimmt nicht so, fühlt sich aber so an. Und darum mein Wunsch nach Kontrollgewinn. Es geht nicht darum, dass meine T-Shirts auf Kante im Schrank liegen sollen oder im Gäste-WC wie im Hotel zusammengerollte Handtücher liegen. Es geht auch nicht darum, dass ich jeden Abend ein selbstgekochtes Essen für Mann und größeres Kind auf den Tisch bringe und dabei möglichst auch noch die Frisur sitzt, es sei denn, ich will genau das. Ich will nicht zwanghaft Doris Day sein. Es geht darum, dass ich wieder mehr am Ruder bin, und vor allem geht es darum, zu erkennen, was ich will, und es dann zu tun oder mich ihm wenigstens anzunähern. An einem der Weihnachtsabende sagte meine kluge kleine Schwester, sie hätte eigentlich nie Angst, etwas zu verpassen. Das hätte ich auch gerne, vor lauter Angst, an anderer Stelle zu kurz zu kommen, flutscht mir gerade alles durch die Finger. Im Moment weiß ich manchmal nicht: hab ich Hunger? Wenn ja, worauf? Will ich schlafen? Muss ich hier mal raus oder mich im Gegenteil mal zwei-drei Tage einigeln und keine SMS mehr beantworten? Will ich arbeiten oder auf dem Fußboden bei meinen Kindern leben? Therapeuten nennen das Achtsamkeit, und sie fehlt mir, und wenn ich sie Kontrollgewinn nenne, dann ist das vielleicht missverständlich, aber für mich trifft es das besser. Dann habe ich auch nicht mehr so sehr das Gefühl, mein Leben schwemmt mich mit wie ein Stück Treibholz oder eine ertrunkene Kuh. Im Moment überfordert mich die Bestellung einer Pizza vor lauter Sollte-ich-nicht-eher und Was-wenn-ich-es-mir-gleich-anders-überlege. Ich will wieder der Boss meiner eigenen Pizzabestellung sein. Versteht ihr das? Auch wenn ihr nicht solche Fusselhirne seid wie ich?

Schopenhauer hat gesagt, der Mensch kann wohl tun, was er will, aber nicht wollen, was er will. Ich mag Schopenhauer nicht besonders, und ich würde mir gerne im nächsten Jahr beweisen, dass er Unrecht hatte.

5 Kommentare:

  1. ja, ich verstehe das. und jetzt auf jeden fall noch besser und genauer. danke für deine ausführliche schilderung.
    ein satz, den ich sehr mag - gerade im hinblick auf ambivalenzen, entscheidungen und "zuviel": 'was ist zu tun, mein herz? was ist zu lassen?' (das käthchen von heilbronn/heinrich von kleist)
    ein lieber gruß durch die nacht,
    eva

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  2. Ich verstehe das so SO gut. Du sprichst mir direkt aus der Seele.

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  3. Mir auch. Aber sowas von. Leider ist diese Planlosigkeit so kräftezehrend, daß man noch planloser wird. Ich hoffe, daß bald wieder ausreichend Synapsen feuern und das schnellstmöglich aufhört!!!

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  4. Hallo Flora,
    ich kenne diesen Zustand nur zu gut. Unsere zwei Zwerge sind 13 Monate auseinander. Das erste entstand bei der 7. ICSI und Nummer zwei kam dann einfach so (wer denkt auch nach 10 Jahren Kinderwunsch an Verhütung...;-). Nachdem Nr. zwei geboren wurde, war ich nach 7 Monaten so fix und fertig, dass ich manchmal nicht mehr wusste wie ich heiße (gefühlt). Unsere Lösung hieß: Kinderfrau. An zwei Vormittagen kam eine Kinderfrau. Sie kümmerte sich um Haushalt oder Kinder. Und ich mich um mich. Meistens habe ich mich um den Haushalt gekümmert und habe mich einfach gefreut, mal drei Stunden am Stück was zu tun. Vielleicht wäre das für euch auch eine Möglichkeit?

    Liebe Grüße
    Konni

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  5. Den Zustand , den du schilderst, ist mit 2 kleinen Kindern plus dem Rest des Lebens (Haus, Freunde, Familie, eigene Intressen) ganz normal. Mich wundert, dass du so damit haderst. Hast du es anders erwartet? Ich glaube, du tust dir keinen Gefallen damit gegen Dinge anzukämpfen, die man im Moment nicht ändern kann. Mehr Gelassenheit gepaart mit der Zuversicht, dass es spätestens dann besser wird, wenn Jakob in die Kita kommt, hilft dir wahrscheinlich mehr als sich jetzt selbstkritisch damit auseinanderzusetzten, was du im Moment alles nicht `auf die Reihe`bekommst. Auch eine Kinderfrau oder Haushaltshilfe (wie Konni schon vorgeschlagen hat) scheint mir eine gute Lösung. Sei nachsichtig zu dir selbst, versuche nicht alles sofort und jetzt zu wollen, es liegen noch soviele Jahre vor dir. Sonst befürchte ich endet es mit einem Mama-Burnout, den ich in meinem Freundeskreis jetzt schon 3 mal erlebt habe.

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