Dienstag, 30. September 2014

Uff! Fünf Minuten Durchzug in Buchform.

Ich lese gerade das Oster-Buch. Hat sonst noch jemand das Oster-Buch gelesen? Emily Oster, Wirtschaftswissenschaftlerin und Mutter, hat sich während ihrer Schwangerschaft oft gefragt, was eigentlich dran ist an vielen Warnungen, Ver- und Geboten für schwangere Frauen. Wieso darf man XY nicht essen? Was genau ist der Grund? Gibt es irgend einen Weg, diese Gefahr auszuschalten? Wie hoch genau ist diese Gefahr eigentlich? Gibt es Studien dazu, gute Studien mit ausreichend hoher Personenzahl und sauberen Methoden? Zwar ist sie keine Medizinerin, aber als Wirtschaftswissenschaftlerin kennt sie sich mit Studien aus. Wie man gute von schlechten unterscheidet, wie man Studien überhaupt findet, wie man sie liest, wie man die Ergebnisse richtig interpretiert, welche Schlussfolgerungen man aus den Forschungsergebnissen ziehen kann und - fast noch wichtiger - welche nicht. Ursprünglich wollte sie nur ein paar Informationen für sich selbst und für ihre Freundinnen finden. Genau diese Informationen von ihrem Frauenarzt zu bekommen, war nämlich schwerer als erwartet. Dann wurden es immer mehr Informationen, die sie zum Teil sehr überrascht haben, und am Ende ist das Buch daraus geworden: "Expecting Better".

Bin ich froh, dass es das gibt. Wäre ich froh gewesen, hätte ich das schon vor meiner ersten Schwangerschaft gelesen. Es gibt eine Menge Warnungen und Unkenrufe, die sie entkräften kann - oder zumindest etwas weiter differenzieren, als man das sonst so kennt. Ich habe mich z.B. unzählige Male darüber aufgeregt, dass es wirklich schwierig ist, verlässliche Information dazu zu finden, welche Lebensmittel wegen Toxoplasmose verboten sind und welche wegen Listerien. Gegen Toxoplasmose bin ich immun, gegen Listerien natürlich nicht, also ist das ein Unterschied, und ja, es gibt bestimmt Schlimmeres, als ein paar Monate auf dieses oder jenes Lebensmittel zu verzichten - aber wieso sollte ich, wenn es für mich und für mein Baby keinen Unterschied macht? Aus Spaß am Verzicht? Tut mir leid, den habe ich eher nicht. In ihrem Buch kümmert sie sich der Reihe nach um verschiedene Themen, mit denen jede Schwangere es zu tun bekommt: um Koffein, Alkohol, "Deli Meats" - also bestimmte Sorten Aufschnitt -, Sushi, Rohmilchkäse, Segen und Fluch von PDAs usw. Dabei ist es nicht ihre Mission, möglichst häufig Entwarnung zu geben. Es geht sowieso nicht darum, schwangere Frauen dazu zu bringen, risikofreudiger zu sein oder das ewige "sich zu entspannen". Es geht einfach nur um Hintergrundinformationen, die so ansonsten schwierig zu kriegen sind, und darum, auf Basis dieser Informationen dann vernünftige Entscheidungen zu treffen. Denn was man isst und trinkt und was nicht während dieser Zeit, sollte vor allem mit Medizin zu tun haben - nicht mit Moral, irrationalen Ängsten oder Angst vor der allgegenwärtigen Schwangerschaftspolizei.

Zigaretten z.B. sind bei ihr auch nach Sichtung der Daten tabu. Nein, auch nicht ab und zu, und nein, auch keine Ausnahme für die oft zitierte Frau, die immer so viel geraucht hat, und jetzt wäre der Entzug härter für's Baby als ab und zu noch ein Flüppchen in Ehren. Der Zusammenhang zwischen kleinerem Geburtsgewicht, erhöhtem Risiko für plötzlichen Kindstod nach der Geburt und Zigaretten ist eindeutig, und - anders als z.B. bei Alkohol - wenig oder sehr wenig rauchen oder jeden Tag eine Schachtel macht da so gut wie keinen Unterschied.

Kaffee dagegen - ein Thema, das ihr sehr am Herzen lag - war eine andere Geschichte. "What to expect when you're expecting", die amerikanische "Schwangerschaftsbibel", verfasst von einer Hebamme und einer Werbetexterin, schreibt dazu in etwa: Wenn nicht erwiesen ist, dass zwei Tassen täglich unschädlich sind, wieso verzichtest du dann nicht auch auf eine Tasse? Jetzt ist der richtige Moment, diese Abhängigkeit loszuwerden." Aha. Die vermutete Gefahr besteht in einem erhöhten Risiko für Fehlgeburten. Oster hat sich die Daten genau angesehen und dabei einige erstaunliche Entdeckungen gemacht: solche Studien laufen natürlich nicht so ab, dass zufällig ausgewählten 500 Schwangeren täglich vier Tassen Kaffee gegeben werden und 500 anderen keine. So eine Studie wäre unethisch und würde niemals genehmigt werden. Stattdessen werden eben Schwangere zu ihrem Kaffeekonsum befragt. Und es ist schwierig, den Kaffeekonsum von einer anderen Variable zu trennen: starker Übelkeit. Frauen, denen im ersten Trimester häufig schlecht ist, haben meist eine Abneigung gegen Kaffee, egal ob mit oder ohne Koffein. Gleichzeitig ist es aber so, dass die Übelkeit an sich ein gutes Zeichen für die stabile Schwangerschaft ist. Frauen, denen viel schlecht ist, haben ein geringeres Risiko für eine Fehlgeburt. Gleichzeitig trinken sie keinen Kaffee. Der Kaffee ist also nicht der Grund für die Fehlgeburt. Zumal es laut Daten keinen Unterschied machte, ob die Frauen Kaffee mit oder ohne Koffein tranken - und andere koffeinhaltige Getränke, die man trotz Übelkeit noch runterbekommt, wie Cola oder schwarzer oder grüner Tee, keinen Einfluss auf die Fehlgeburtsrate hatten. Nerve ich euch mit diesem Ausflug in die Welt der Empirie? Tut mir leid, mich fasziniert das, und ich habe lange kein Schwangerschaftsbuch mehr so verschlungen. Am Ende ist sie für sich zu dem Schluss gekommen, dass es völlig ok ist, jeden Tag zwei Tassen Kaffee zu trinken - mehr wären auch in Ordnung. Hierzulande gibt es genug Frauenärzte, die einem das auch sagen, aber in den USA ist der Verzicht-Kult für Schwangere um einiges präsenter, und die "Tu-was-wir-sagen-oder-Du-bist-eine-schlechte-Mutter"-Knute wird viel mehr geschwungen. Auch wenn mir manchmal scheint, dass wir da auf dem besten Weg in die gleiche Richtung sind.

Für mich ist bisher bei der Lektüre herausgekommen, dass ich Sushi essen darf. Hier ist weniger Listeriose das Problem als Toxoplasmose, die mir Wumpe sein kann. Überhaupt hat es mich gewundert, aber dann auch wieder nicht, dass vor allem eher neue und nicht jedem verlockende Lebensmittel schnell auf der schwarzen Liste landen, während Altvertrautes eher davonkommt. Schlechte Nachrichten für Sushi, stinkigen, ausländischen Käse, scharfes Essen und Fisch. Ich habe schon viel mehr Warnungen vor Maki gehört als z.B. vor Rosenkohl oder Melonen, dabei waren beide verantwortlich für jeweils eine Listeriose-Welle in den USA.

Jedenfalls: ich kann das Buch empfehlen, nicht als Absolution, ab jetzt richtig reinzuhauen, aber als - wie schon gesagt - einen Hauch frischer Luft in dieser ganzen, leicht dumpfigen Ratgeberwelt, in der im Zweifel erst mal jede Menge verboten und gefährlich ist, nur weil es irgendwo steht, jetzt frag nicht so blöd wieso, ist dir denn dein Baby gar nicht wichtig?

Und als Kontrastprogramm öffne ich heute nacht in einer kurzen schlaflosen Phase meine "What to Expect"-App und bekomme als Blogeintrag des Tages einen Beitrag von einem Amerikaner, der ganz glücklich darüber ist, dass seine Frau sich entschieden hat, diesmal bei Baby Nr.2 die Placenta zu essen. Voodoo! Alle durchgeknallt! Völlig und drei Sterne meschugge! Jedenfalls alle außer mir und Emily.

Sonntag, 28. September 2014

Auf einfachen Wunsch

Das Schweinebratenrezept gibt es hier, und es stimmt, man kann ihn nicht vermurksen. Ich habe eine Weile hin- und hergegoogelt, denn bei Tierteilen ist die einfachste Übersetzung für Kochbücher nicht immer die richtige: wenn ich hier Schweinelende verlange, bekomme ich meistens einfach nur Filet. Das Gegoogel hat ergeben, dass ich mit Filet-Kotelett am Stück besser beraten bin, also habe ich das genommen, die Knochen herauslösen und mir separat mitgeben lassen. Die habe ich dann einfach mit in den Topf gesteckt, für eine noch kräftigere Sauce, und am Ende nach Fleischresten für den Hund abgesucht, während das Fleisch geruht und die Kartoffeln gekocht haben. Außerdem habe ich kein Wasser an die Sauce gegossen, denn ich war zu faul und zu schwanger, um noch mal zurück zum Reformhaus zu gehen, um echten, reinen Granatapfelsaft zu kaufen, stattdessen habe ich das 30%-Supermarkt-Zeug genommen, in dem auch Wasser und Zucker ist. Zucker, habe ich mir überlegt, hat noch keinem Stück vom Schwein geschadet. Der Wein war außerdem zwar Bio, aber wie Biowein leider so oft extrem sauer, darum - noch ein Daumen hoch für Zucker. Kohl hätte mehr sein können, nächstes Mal nehme ich statt der angegebenen zwei Hände voll vier und denke darüber nach, Rotkohl statt Weißkohl zu nehmen und noch ein paar Apfelstückchen mitzugaren. Aber davon abgesehen hat das Schweinchen alles getan, was es sollte: das Haus mit häuslichem Duft erfüllt und mich und mein Kind glücklich gemacht. Dazu gab es bei uns keine gerösteten Kartoffeln, die mir aus irgend einem Grund immer zu stressig sind (jeder hat so ein Ding. Meine Küchengöttin Nigella z.B. wehrt sich wo sie kann dagegen, Béchamel zu kochen. Ich finde Béchamel easy-popeasy und kann es nicht verstehen, aber andererseits wieder doch, denn wie gesagt - irgend so etwas haben wir alle in der Küche), stattdessen gab es Kartoffelpüree, was sich als goldrichtig erwiesen hat, denn die Saucenaufsaugequalitäten von Püree sind viel besser als die von goldbraunen, knusprigen Kartoffeln.
Das Püree wollte ich heute eigentlich zu Plätzchen aufbacken, aber es ist irgendwie in meinem teilzeitveganen Ehemann verschwunden, obwohl es ziemliche Portionen Butter und Milch enthält. Darum gibt es heute eine Portion Schweinchen als Ragout mit Nudeln. Dazu werde ich das Fleisch mit zwei Gabeln zerfasern, in der Sauce erwärmen, noch einen Schuss vom sauren Rotwein dazu, außerdem Tomatenmark und noch ein paar Kräuter. Dazu koche ich Pasta, und dann wollen wir mal sehen, was Kalle sagt.
Und Reste sind auch noch da, vier Mama-plus-Kleinkind-Portionen schlummern in der Tiefkühle und warten auf die Wochen nach der Geburt. Letztes Mal habe ich mich vor allem mit Special K's am Leben erhalten, diesmal wird das besser. Schweinebraten mit Knödeln, irgendwer?

Samstag, 27. September 2014

Flora an den Herd

Da war er, dieser Moment, von dem alle immer erzählen: nachts um zwei stehe ich bitterlich heulend am Wickeltisch, vor mir mein brüllendes Kind, das ich gerade erst frisch gewickelt und gebepanthent und in einen frischen Schlafanzug gesteckt hatte, dann hat es “Bröööööp” gemacht, und alles, wirklich alles - Schlafanzug, letzter Schlafsack, der einen Meter weit weg auf der Fensterbank liegt, Boden, Mama von Kopf bis Fuß, frisch gestrichene Wand, von der Windel, der Wickelkommode und dem Kind wollen wir gar nicht reden - war vollgeschissen. Und zwar nicht einfach nur vollgeschissen, sondern mit besonders stinkiger, flüssiger und völlig verkeimter Scheiße überzogen. Da kann man wirklich nur noch heulen. Clint Eastwood hätte auch geheult.

Inzwischen sind einige Tage ins Land gegangen. Von Montag bis Donnerstag hatte das Kind Durchfall. Seit gestern sind Fieber und Halsweh und Schnupfen dazugekommen. “Der Infekt kann auch mal wandern”, hat die Kinderärztin gesagt. Die einmal eroberten Gebiete lässt er deshalb nicht zurück, der Durchfall bleibt. L. hat Halsweh, und weil das Halsweh nicht weggeht, spricht er inzwischen schon von seinem Tumor und davon, was er mit den verbleibenden zwei Jahren anfangen will, die ihm hoffentlich noch bleiben. “Ab und zu würde ich auch noch nach Hause kommen, keine Sorge”, sagt er. Ich hatte Mittwoch und Donnerstag Magen-Darm und durchgängig Halsweh, aber nichts, was nicht mit ein bisschen Bettruhe und viel Kräutertee hinzukriegen wäre. Wenn es hier nur Bettruhe gäbe und die Zeit, Kräutertee zu kochen, meine ich.

Und dann wache ich heute morgen auf - um viertel vor neun, kein Scherz - nach einer weiteren Nacht voller Gequengel und Fieber und Knalldurchfall - und die Sonne scheint, das Kind strahlt mich an, die Stirn ist kühl, die Nase frei, und mein erster Gedanke ist “Schweinelende. Diese Schweinelende in Granatapfelsaft mit Spitzkohl aus diesem Blog.”

Das Leben hat uns wieder, gleich packe ich mein Kind in eine Jacke und in seinen Wagen, dann schiebe ich auf den Markt und kaufe die paar Sachen, die ich brauche, und dann wird hier gekocht, so richtig alte Schule: ich werde das le creuset-Dings aus dem Schrank wuchten und das Haus mit Bratenduft erfüllen. Und auf meinen eigenen Gesundheitsplan und L.s zweiten veganen Schub ist geschissen.

Sonntag, 21. September 2014

Mma Mppa da! Da!

Als ich klein war, gab es bei uns zuhause die Regel, dass an Kindergeburtstagen das Kind, das eigentlich nicht Geburtstag hatte, trotzdem ein Geschenk bekam. Nichts Großes, ein Buch oder ein Peanuts-Mäppchen oder Briefpapier (haltet mich jetzt nicht für 70, aber als ich klein war, habe ich mich über Briefpapier gefreut, sogar über das lilane mit Veilchen von meiner Oma). So kam erst gar kein Neid auf den Geburtstagstisch des anderen Kindes auf. An Weihnachten hat meine Mutter darauf bestanden, allein den Baum zu schmücken, wir kauerten hinter den gelben Butzenscheiben der Durchreiche und versuchten, irgend etwas zu erkennen, und bis wir dann endlich rein durften, waren wir auf 180 vor lauter Weihnachtsvorfreude. Wir hatten eine große Korbtruhe voller alter Gardinen, Schnurrbärte, Bettlaken, Krönchen, Plastiksäbel und ausgemusterter Halstücher, damit konnten wir uns verkleiden. Mein Vater baute uns Baumhäuser. Ich hatte ein Bett, in dem ich hinter Vorhängen in einer Art Höhle schlief, darüber war noch ein großer Schrank, man konnte ganz oben sitzen (es gab eine Strickleiter) oder im Schrank in der Mitte. Man konnte sich auch unters Bett in den Bettzeugkasten legen, Möglichkeiten über Möglichkeiten. Im Winter saßen wir auf Schlitten, die von unseren schweißgebadeten Eltern in ihren Moonboots durch den ziemlich bergigen Wald gezerrt wurden. Wir hatten Kindergeburtstage, auf denen mein Vater sich durchs Unterholz schlug, um Schnitzeljagden vorzubereiten, und meine Mutter für jedes Kind eine Süßigkeitentüte packte. Dass es natürlich selbstgebackenen Kuchen gab, und zwar längst nicht nur zum Geburtstag, muss ich glaube ich gar nicht erst schreiben.

Ich sollte mich also nicht wundern, dass aus meinen Eltern jetzt 1a Großeltern geworden sind. Gerade sind sie zu Besuch, und meinetwegen können sie hier einziehen. Gestern waren sie mit meinem Sohn über vier Stunden unterwegs, im Zoo. L. war beim Fußball, ich war allein zuhause. Ich! Allein! Ohne Jobpflichten, mit vier Stunden freier Zeit! Ich habe Kuchen gebacken, aber ohne Kind im Hintergrund ist auch das die reinste Entspannung und eine Sache von zehn Minuten. Auch dieser Post wird gesponsert von meinen Eltern, heute Morgen um halb acht hat das Kind den ersten Piep gemacht, und keine zehn Minuten später stand meine Mutter in der Tür, um ihn mit nach oben ins Gästezimmer unterm Dach zu nehmen. Von dort höre ich ihn jetzt kichern und krähen, und ich lungere hier unten im Schlafanzug auf der Couch herum, eine heiße Tasse Tee neben mir, die ich tatsächlich ungestört austrinken werde, und den Rechner auf dem Schoß. Natürlich wechselt meine Mutter Windeln, und natürlich merkt sie sich, wo alles liegt. Klar! Fläschchen machen sie auch. Mein Vater hat eine ganz eigene Technik, den Kleinen zu tragen, die ihm niemand nachmachen kann und bei der er wie auf einer Kombination aus Sofa und Ausguck sitzt.
Sollte ich jetzt Frühstück machen? Mit Eiern und Obst und allem? Ich finde, das haben sie sich redlich verdient.

Freitag, 19. September 2014

Der erste, aber bestimmt nicht der letzte Fluchtversuch

Vor ein paar Tagen schickte L. mir eine Nachricht ins Büro. Er hatte bei Immonet eine Wohnung gefunden, zum Verkauf, in Ottensen, sieben Zimmer, über 200 Quadratmeter, Jugendstil, in einer hübschen Straße. Mir wurde klamm. Das will nichts heißen, mir wird immer klamm, wenn dicke Veränderungen anstehen, so bin ich. Das heißt nicht, dass ich mir keine Veränderung wünsche, und ich habe auch gelernt, dass die Klammheit keinen Aufschluss gibt über Segen oder Fluch einer Veränderung. Bei der nächsten Gelegenheit - ich hatte meinen Kram schon ausgedruckt, musste aber noch eine Viertelstunde darauf warten, dass auch die anderen Meetingteilnehmer so weit waren - habe ich mir die Wohnung angesehen. Es gab nur ein Foto vom Badezimmer und eins von der großen Küche, außerdem Fotos aus den Fenstern heraus. Anhand der Aussicht und der Sprossen in den Fenstern konnte man auf google Street View ziemlich gut sehen, um welches Haus es sich handelte. Es war ein sehr schönes Haus. Die Straße ist lang, zwischen Anfang und Ende liegen mehrere Kilometer, wo ein Haus steht, macht eine Menge aus. Dieses Haus hätte nicht besser stehen können. Es war wirklich nur wenige Gehminuten entfernt von schönen Restaurants, einer Eisdiele, einem Park, noch einem Park, die nächste Bushaltestelle einer für mich wichtigen Linie war direkt gegenüber. Die Klammheit fing an, sich zu legen. Ich fand heraus, wie lange ich in diesem Bus sitzen müsste, um z.B. zu einer meiner besten Freundinnen zu kommen, wo der Bus ebenfalls direkt vor der Tür hält. Es waren kaum zwanzig. Ich googelte Bewertungen der Restaurants. Ich sah mir den Grundriss an und verteilte Zimmer. Wohnzimmer, Esszimmer, Arbeitszimmer, Kinderzimmer, Kinderzimmer, Gästezimmer, und das kleine Zimmer mit dem großen Seitenraum als Schlafzimmer mit begehbarem Kleiderschrank für L. und mich. Bis zum Abend hatte ich mir die Fotos ungefähr achtmal angesehen. Es gab außer den vielen Zimmern auch zwei Balkone, eine große Veranda und einen Garten, den man mitbenutzen kann. Was heißt man, wir! Einen großen eigenen Keller und mehrere Kellergemeinschaftsräume gab es auch. Ich erzählte meiner Juniortexterin von der Wohnung, den Mädchen, meinen Eltern. Noch hatten wir sie nicht gesehen, und ich stellte mir alles schon fix und fertig vor. Unser Leben dort, wie schön es wäre, abends mit Kindern und Hund noch mal auf ein Feierabendbierchen an die Strandperle an der Elbe, das Kino um die Ecke, überhaupt alles um die Ecke. Hier sitzen wir in einem Haus, das immer schöner wird und uns immer mehr ans Herz wächst, aber hier ist nichts um die Ecke. Mein wöchentlicher Höhepunkt ist der Bummel mit Baby über den Wochenmarkt. Der Wochenmarkt wird von der höchsten Konzentration mieser Geschäfte in ganz Hamburg gesäumt. Hier gibt es einen Gold-Ankauf-Juwelier, einen miesen China-Imbiss, einen miesen Dönerladen, eine miese Eisdiele, mehrere Läden, deren Konzept mir nie klar geworden ist, unsägliche Kleidung zu unsäglichen Preisen, eine Parfümerie, die Reklametaschen aus Plastik zum Supersommerschlussverkauf für 30 Euro verkaufen will, einen Buchhandlung mit leeren Regalen und einem geistesgestörten Chef und zig “Wir bauen hier für sie um”-Leerstände, die wohl auch für immer leer bleiben werden. Wenn ich in der Stadt in die Ubahn steige und plötzlich feststelle, dass in meiner Nähe Menschen sitzen, die mir unangenehm sind - Leute, die irgend welchen Irrsinn vor sich hinbrabbeln, die sehr betrunken oder aggressiv oder beides sind - dann schließe ich jedes Mal eine kleine Wette mit mir ab, die ich immer gewinne: die fahren bis zur gleichen Haltestelle wie ich. Wie alle Hundebesitzer mache ich manchmal die Bekanntschaft anderer Hundebesitzer, und in diesem Stadtteil läuft das in 50% der Fälle so, dass man spätestens bei der dritten Unterhaltung feststellt, dass der andere leider ein Nazi ist, und dann hab ich den Salat, dass ich jetzt im Park von einem Nazi wie ein alter Freund und Gesinnungsgenosse begrüßt werde. Ottensen dagegen: nicht nur Parks und Feierabendbierchen und Restaurants und Kinos, sondern nette, leicht angeökte Nachbarn, die im Zweifel ihren etwas bullig wirkenden Hund nicht haben, um die Leute in Angst und Schrecken zu versetzen oder aus der Sehnsucht nach Macht heraus, sondern aus Mitleid, weil sie ihn aus irgend einer Tötungsstation retten wollten. Wie herrlich das wäre, irgendwo zu leben, wo man nicht erst eine längere Bahnfahrt hinter sich bringen muss, um wo zu sein! Wo man gleichzeitig zuhause UND wo sein kann! Ich dachte, sicher wird dieses Haus mir fehlen, aber das wäre es wert. Direkt um die Ecke wäre das Krankenhaus Altona, wohin wir für die nächsten Jahre ständig mit Würmchen II fahren müssen, um seinen Fuß zu therapieren! L. hat dem Besitzer der Wohnung geschrieben, dass wir sie uns sehr gerne mal ansehen würden.
Der Besitzer hat geantwortet, sie wäre schon so gut wie verkauft.
Jetzt fühle ich mich, als wären die Sommerferien abgesagt.

Samstag, 13. September 2014

Eine Reihe von Vorsätzen, einfach so, mitten im Jahr.

1. Wenn das nächste Mal jemand zu mir sagt, ich wüsste aber schon, dass alkoholfreies Bier AUCH Alkohol enthält, dann werde ich kein freundliches Interesse heucheln und so etwas sagen wie "Ach, wirklich? Danke!". Was genau ich stattdessen tun oder sagen werde, weiß ich noch nicht, da lasse ich mich dann vom Moment inspirieren.

2. Ich werde weiterhin versuchen, lieber zwanzig Minuten entspannt mit meinem Kind am Tisch zu sitzen und ihm beim genüsslichen Essen zuzusehen, als wegen 30 Sekunden Wegputzen hinterher in Panik zu verfallen, wenn er kleckert. (Wobei "kleckert" ein Euphemismus ist, muss ich zugeben.)

3. Ich werde die Babyfotoflut der letzten Monate bearbeiten, zu Pixum schicken und die Fotos dann in ein Album einkleben oder an die Wand hängen.

4. Ich werde auch bei diesem neuen Rechner herausfinden, wie man die verdammte Autokorrektur ausschaltet. Ja, das gilt auch für Dich, Blogeingabefenster, und für Dich, Email.

5. Sollte meine Agentur anrufen, während ich im Mutterschutz bin, und mir was von einer akuten Notlage vorquengeln, deretwegen ich jetzt bittebittebitte irgendwas dringend machen soll, dann werde ich sagen "Akut? Ha!". Am 31. März habe ich ihnen Bescheid gesagt. Noch ist kein Ersatz für mich da. Von akut kann keine Rede sein. Ich mach mir große Sorgen, aber ich werde ... hart bleiben. Genau. Verdammt.

6. Ich werde das Angebot meines poshen Fitnessclubs (den ich schon so lange nicht mehr von Innen gesehen habe, dass ich gar nicht sicher bin, ob er überhaupt noch steht und mich vermutlich auf dem Weg dorthin verfahren werde) nutzen: Rückbildungskurse mit Baby. Wobei man größere Babies gleichzeitig im Kinderparadies lassen kann. Und genau das werde ich machen. Zusätzlich werde ich zum Power-Dingens-Kurs meiner neuen Hebamme gehen. Diesmal mache ich das Pipiproblem fertig statt umgekehrt.

7. Ich werde zurück in einen Rhythmus finden, bei dem ich ein mal in der Woche ohne Babyanhang meine Mädchen sehen kann. Egal was.

8. Ich werde mich nicht vom Geraune und Geunke der Vorsorge-Hebamme kirre machen lassen, ich wüsste aber schon, dass der Klumpfuß gut ein Zeichen für ein ganzes Syndrom sein könnte, also nur die Spitze des Eisberges. Dankeschön, ich habe es nun mehrfach von ihr gehört, was soll das nützen? Sollte mein Kind tatsächlich schwere Behinderungen haben, werde ich sicher heilfroh sein, mich jetzt seit drei Monaten deshalb zu gruseln. Also: Danke für die Information, aber nein Danke.

9. Ich werde mich nicht von Familienweihnachten bei uns ins Bockshorn jagen lassen. Meine Mutter und meine Schwester sind die Weltbesten Weihnachtswichtel, die werden hier mit Keksen anrücken und sich eine Schürze umbinden und mir helfen, damit das alles irgendwie wird.

10. Ich werde erst wieder über die acht tiefgefrorenen Embryonen irgendwo in Altona nachdenken, wenn ich nach der Geburt nicht mehr beim Pinkeln fauche. Ehrlich, hab ich sie noch alle? Ich denke nein.

11. Ich werde zum Elternabend der Kita gehen.

12. Mehr kannst Du nicht von mir verlangen, Vorsatzliste! Aber hingehen werde ich.

13. Ich werde die freie Zeit bis zur Geburt genießen, so gut ich kann. Diesmal sind keine Handwerker im Haus, es liegt kein Geröll herum, im Babyzimmer sind keine leeren Fensterhöhlen von Folie notdürftig verdeckt, niemand kommt morgens um sechs rein, wenn ich auf Toilette sitze, das müsste also klappen. Ich werde mich in eine Wolke aus behaglicher Häuslichkeit hüllen. Es wird nach Kuchen riechen. Vielleicht fange ich sogar passend zum Herbst zum ungefähr achten Mal das Stricken an? Naja, wir wollen nicht übertreiben. Aber genießen werde ich die Zeit. Ich bringe morgens meinen Sohn in die Kita, und dann mache ich genau das, worauf ich Lust habe. Sechs Wochen lang, wenn Würmchen zwei nicht zu früh kommt. Noch sieben Arbeitstage trennen mich von diesem glückseligen Zustand. Gibt es eigentlich Kinovorstellungen am Vormittag? Genau solche Dinge werde ich herausfinden.

14. Ich werde aufhören, mich zu grämen, dass ich keinen Alkohol trinken und nicht rauchen darf. Ehrlich, geht's noch? Nach all den Spritzen und all den Enttäuschungen und all den Bauchspiegelungen und angesichts von tausenden Abkürzungsdamen, die nicht mein Glück hatten? Und überhaupt? Lächerlich, Albarelli. Einfach nur lächerlich.

15. Sport ist ja gerade nicht so, aber ich kann mich anderen Herausforderungen stellen: Im Moment habe ich einen echten Lauf, was die-Meinung-sagen betrifft. Anfangs fiel es mir schwer, harmoniesüchtig wie ich bin. Aber ich hole auf, und ich habe das Gefühl, es tut mir mindestens so gut wie ein durchdachtes Laufprogramm: ausgezeichnet für Teint und Blutdruck und für erholsamen Schlaf.

Sonntag, 7. September 2014

A change of appetite

Es ist kurz nach sieben an einem Sonntag Abend, und die Blogtante hat babyfrei. Das kommt daher, dass L. heute morgen um kurz vor zehn das Haus in Richtung seiner Nerdsportart verlassen hat und erst so gegen 17 Uhr zurück war. In der Zwischenzeit war ich mit meinem Sohn zum ersten Mal bei Hagenbeck. Die Hits waren die Elefanten (er hat sie selbst mit Rohkost gefüttert), die kleinen friedlichen Tiere, die überall auf den Wiesen frei laufen, die Braunbären und die Paviane, bei denen ich ihn nur mit Mühe davon abhalten konnte, sich über die Mauer in den Graben zu stürzen. Endlich mal etwas, was er nicht von mir hat, Paviane können mich schon immer mal. (Gestern Abend kam er angekrabbelt wie der Blitz, als ich gerade auf dem Sofa selbstgerollte Sommerrollen gegessen habe, und hat sich nacheinander und mit Genuss die roten Chilistückchen aus der vietnamesischen Sauce gefischt, die ansonsten aus Knoblauch, Limette und viel Fischsauce bestand. Manchmal macht er mir Angst. Demnächst fängt er an, sich Hormonspritzen in den Bauch zu rammen und gründet einen Blog.) Der einzige Shit war, dass ich die Zeichen nicht richtig gedeutet habe und mit ihm in den langen dunklen Tunnel der Arktiswelt gegangen bin. Als wir auf der anderen Seite wieder ans Tageslicht kamen, war er tief und fest eingeschlafen. So tief und fest, dass mir irgendwann nichts anderes übrig blieb, als mit ihm zurückzufahren. Nächstes Mal andersherum, ich hätte ihm so gerne noch die Löwen gezeigt, denn der Löwe ist sein Liebling in “Gute Nacht, Gorilla” und in “Die kleine Maus sucht einen Freund”. Jedenfalls waren wir beide danach total erledigt, was sich bei meinem Sohn so äußert, dass er quengelt und im Sekundentakt auf den Arm und wieder runter will, und bei mir so, dass ich total erledigt bin. L. kam also nach Hause, ich habe ihm die müde Wurst in den Arm gedrückt, und jetzt habe ich frei. Das Beste ist, heute Nacht auch! Heute ist nämlich Papanacht, wir schlafen getrennt, und er bekommt das Baby. Manche fragen sich jetzt vielleicht, warum ich da überhaupt noch ein zweites Kind will. Doch, manche fragen sich das! Aber eine Papanacht kommt so ca. alle drei Wochen mal vor, der Rest sind Mamanächte.
Was mache ich jetzt mit meiner Freiheit? Ich mache mir Gedanken über Ernährung.
Die Sache ist die, ich würde wirklich manchmal gerne gesünder essen. Nicht nur für die Wampe, sondern auch, um mich fitter und seltener im Fresskoma zu fühlen. Folgende Faktoren stehen mir bisher im Weg:
Wenn ich in einem Kochbuch mit Mission lese, dass ich bald überhaupt keine Lust mehr auf Pasta, Kuchen und Schweinereien haben würde, werde ich unwirsch. Ich werde IMMER Lust auf Pasta, Kuchen und Schweinereien haben. Ich suche nach einem schönen Kochbuch mit gesunden Rezepten, die sich eins nach dem anderen in mein Repertoire schmuggeln und dort NEBEN Pasta, Schweinereien und Kuchen friedlich koexistieren. Ich habe nicht die Absicht, in einem Jahr Weißmehlmäßig clean zu sein. Die sollen mich in Ruhe lassen. Können wir jetzt bitte weiterblättern und wenigstens ein einziges Rezept finden, auf das ich tatsächlich Lust habe?
Ich lebe in einem Vorort, in dem gesunde Ernährung keinen guten Stand hat. Ein Blick in die Einkaufswagen meiner Nachbarn zeigt vor allem mit Glutamat gewürzte Schlemmer-Grill-Pfannen für 1,99, anderes Billigfleisch, Tiefkühlpizza und Schnaps. Zwischendurch gab es in unserem Supermarkt mal Biofleisch, das haben sie schleunigst wieder aus dem Programm genommen, nachdem ihnen der ganze schöne Kram vergammelt ist. Jetzt gibt es nur noch vier Sorten Biowurst, die hält sich etwas länger. Ich kaufe ja schon gegen ihr Verschwinden an, auch wenn ich sonst nicht so der Wursttyp bin! Trotzdem ist es abgesehen von Fleisch auch schwer, hier z.B. Topinambur, Bio-Orangen, Quinoa und solchen Kram zu kriegen.
Ich bin im Moment immer müde. Und wenn ich müde bin, dann leidet die Experimentierfreude in der Küche. Dann habe ich Lust auf Geschmack, den ich einschätzen kann und schon kenne, und auf Rezepte, für die ich im Schlaf einkaufe und die ich im Koma kochen kann. Keine gute Zeit für eine Umstellung, auch wenn vielleicht genau die Umstellung dafür sorgen würde, dass ich weniger müde wäre. Trotzdem ist die Schwelle gerade vergleichbar mit der von jemandem, der sich so fürchterlich unfit fühlt und jetzt aber trotzdem mit dem Laufen anfangen will. Eigentlich. Morgen. Vielleicht.

All das werde ich aber erst mal ignorieren und habe mir vorgenommen, in den nächsten vier Wochen zehn neue Rezepte auszuprobieren, die gesund sind oder mir wenigstens so vorkommen. Als erstes Kochbuch suche ich mir dazu “A change of appetite” von Diana Henry aus. Sollte das gut laufen, dann gibt es im Oktober wieder zehn und ein neues Kochbuch.
Die Sommerrollen waren übrigens aus “A change of appetite”. Zählt das schon? Die waren gut. Fotos gibt es keine. Der Knoblauchkater hält allerdings bis heute an und hat mich die ganze letzte Nacht in eine schwitzige, schwüle zähe Wolke gehüllt wie in ein mit Fanta Knoblauch getränktes Laken. Nächstes Mal einfach ein bisschen langsamer mit dem Dip, meint ihr? Ich werde es auch meinem Sohn ausrichten.










Samstag, 6. September 2014

Themen 1 bis 11, einfach zusammengetrieben und in einen einzigen engen und schlecht belüfteten Post gepfercht.

1. will ich Euch im Namen einer NDR-Journalistin um etwas bitten: wir haben uns alle (oder fast alle) schon oft am Kopf gekratzt, was das eigentlich soll, dass Abkürzungsbehandlungen aus Sicht der Krankenkassen nur verheirateten Paaren vorbehalten bleiben. Übrigens als einzige Kassenleistung weit und breit. Genau zu diesem Thema möchte die Journalistin einen kritischen Beitrag machen und sucht dafür betroffene Paare, am liebsten aus Norddeutschland. Ich find’s toll, dass das Thema inzwischen so weit in den anfangs so fremdelnden Medien angekommen ist, dass auch mal so ein ganz sachliches Thema diskutiert wird statt der üblichen Tränendrüsen-Schicksals-Berichterstattung, und würde mich freuen, wenn sich die eine oder andere von Euch findet. Falls Ihr dabei sein wollt, schreibt mir bitte an die Email-Adresse flora.albarelli@yahoo.com. (Ja, die Adresse verwende ich nur für solche Zwecke, nein, abseits solcher Aufrufe gucke ich da nicht rein, und nein, deshalb ist es auch keine böse Absicht, wenn mir eine von euch dorthin geschrieben haben sollte und ich auf ihre lange nette Email gar nicht geantwortet habe. Wer schnell gelesen und im Zweifel beantwortet werden will, bitte weiter per Kommentar.)

2. sind einige Klischees rund ums Kinderhaben und Kinderkriegen doch nicht so doof. Das Kitaviren-Klischee z.B. Mein Sohn geht jetzt seit Anfang August dort hin und musste bisher fünf mal zuhause bleiben, teilweise für mehrere Tage, weil er in der Kita Durchfall hatte. Zuhause ist ihm von all diesen gefährlichen Infektionskrankheiten nie etwas anzumerken. Zuletzt hat er sich Dienstag (nachdem ich ihn morgens quietschlebendig und unkrank wie nur was abgeliefert hatte) übergeben, daraufhin musste ich aus der Stadt angerast kommen (L. kam gerade vom Flug und hatte das Telefon aus) und ihn abholen. Woraufhin er den weiteren und die beiden folgenden Tage knallgesund war - nur eben zuhause. Gestern morgen habe ich ihn wieder hingebracht, mal schauen, für wie lange. In Südamerika, erzählt L., ruft eine Frau, deren Kind krank wird, alle anderen Frauen mit Kindern in der Umgebung an, die kommen dann alle rum und gönnen ihren Kleinen ein hübsches Virenbad - damit sie es hinter sich haben. Da bekommen wir also das Rundum-Paket! Nette Gesellschaft, anregende Umgebung, liebevolle Betreuung und das Deluxe-Paket Abhärtung XXL. Die Kindergärtnerin sagte, ja, das geht allen so, und ja, das dauert vermutlich das komplette erste Jahr. Wir seufzen und wappnen uns. Und schicken eine Voodoo-Extradosis Zahngebrüll an die Eltern, die es einfach nicht raffen und ihre Kinder morgens trotz sieben Meter gegen den Wind stinkendem Durchfall und Fieber dort abliefern. Warum es unserer Zuckerwurst zuhause immer gut geht, dazu habe ich mehrere Theorien. Theorie a: auch dank der Hunde ist sein Immunsystem schon relativ fit. Das heißt, er fängt sich zwar etwas ein - genug, um einmal die Windel vollzustinken z.B. - aber dann ist er auch fast sofort durch damit. Theorie b: Kinder haben eben ab und zu mal eine Flüssigwindel, ohne dass das gleich das Norovirus oder Ähnliches bedeuten muss. Nur hat die Kita eben ihre Vorschriften, also muss er nach Hause und darf 48 Stunden nicht wiederkommen. Theorie c, an die glaube ich selbst überhaupt nicht: Nur zuhause fühlt er sich wohl, der arme Schatz! Und darum sagt er ganz deutlich, dass er lieber zuhause sein möchte, in der einzigen Sprache, die er bisher beherrscht: Durchfall. Theorie d: die Kitadamen sind überlastet und dezimieren die Gruppe, indem sie ständig gesunde Kinder nach Hause schicken. Auch daran will ich nicht glauben.

3. Andere kriegen das gut hin mit Babyfotos, auf denen das Gesicht gerade so abgewendet oder unscharf ist, ich eben nicht. Hätte ich eins, würde ich es posten. Würmchen ist so niedlich, dass ich vermutlich demnächst aus sämtlichen What’s-App-Gruppen fliege wegen meiner Babyfotos, ich will, dass ihn alle sehen. Und es ist nicht nur die Zuckerschnute, sondern alles: wie er “hmmm” macht und den Kopf in den Nacken legt, wenn er etwas besonders Leckeres isst. Wie er den Löwen nachmacht. “hrrmmm.” Wie er sich die Ohren zuhält, wenn ein Flugzeug über unsere Köpfe fliegt. Wie er mir von allem, was er isst, den ersten Bissen abgeben will. Wie er beim Einschlafen immer erst tobig ist und beißen will und sich dann resigniert aufs Kuscheln verlegt. Wie er dem Hund um den Hals fällt. Wie er “chrp, chrp” kleine Fressgeräusche nachmacht, wenn wir zusammen die kleine Raupe Nimmersatt lesen. Ich kann nicht fassen, dass L. und ich (und Frau Doktor) zusammen so etwas Niedliches hinbekommen haben sollen.

4. waren wir zusammen auf der Hochzeit meiner Schwester, die erste Flugreise als ganze Familie. Und es ging gut, sehr gut sogar. Vor die Wahl gestellt, ob ich mit einem Haufen willkürlich ausgewählter Fremder und Würmchens willkürlich ausgewählter Laune lieber fünf Stunden in einem ICE stecken will oder 45 Minuten in einem Flugzeug, nehme ich das Flugzeug, auch wenn es noch etwas enger ist. Ich hätte mir aber gar keine Gedanken machen müssen. Der Druckausgleich-Trick mit dem Fläschchen funktioniert, wir haben ihm einfach eine große Flasche Wasser beim Start und der Landung zum Saugen gegeben, dann tun ihm die Ohren nicht weh. Wir haben außerdem für den kurzen Flug unsererseits auf Getränke verzichtet, das wäre nicht gut gegangen mit Klapptablett und Baby. Kurz vor Abflug gab es noch mal eine Windel und unterwegs die Raupe Nimmersatt, und dann waren wir auch schon da. Taxi mit altersgemäßem Kindersitz kann man vorbestellen, alles kein Problem.

5. Und dann die Hochzeit! Die war toll. In Hamburg ist es Konsens, dass man in München nicht leben könnte. Ich finde aber, man könnte das sehr gut. Ich finde in München an jeder Ecke irgend etwas, was mir die Aussicht sogar ziemlich verlockend erscheinen lässt. Das meiste davon ist essbar. Ich kann wenig auszusetzen finden an einer Stadt, wo man innerhalb von hundert Quadratmetern 1a griechische Vorspeisen, Schweinsbraten mit Kruste unter Kastanien und eine Riesenauswahl von Bio-Sorbet essen kann. Und direkt um die Ecke ist der englische Garten, wo man sich die ganzen Schweinereien wieder runterspazieren oder runterrennen kann, wenn man irgendwann über sein blödsinniges Pipiproblem hinweg… aber lassen wir das. Hmmm! hat Kalle gemacht. Das Tollste an der Hochzeit war aber, zu sehen, in was für eine nette, herzliche, fröhliche und rundum gute Familie meine Schwester da eingeheiratet hat. Die kannte ich nämlich alle noch gar nicht. Jetzt freue ich mich wie Bolle auf die kirchliche Hochzeit nächstes Jahr Anfang Juli. (Nicht zuletzt auch deshalb, weil es jetzt mit den schwangeren Hochzeiten mal reicht. Über Jahre habe ich mich beschwert, dass in meinem Umkreis niemand heiratet. Jetzt heiraten alle, und immer bin ich zur großen Sause schwanger. Nächste Woche sind wir wieder auf einer Hochzeit, und ich werde da stehen mit meinem Orangensaft und in meinem Zeltkleid, in vernünftiger- und tristerweise flachen Schuhen, tapfer die köstlichen Fischhäppchen ablehnen und gegen zehn ins Bett verschwinden.)

6. ist die Brille endlich fertig, bezahlt und abgeholt. Kontaktlinsen kann ich immer noch nur einseitig tragen, was bei minus acht Dioptrien dazu führt, dass ich innerhalb kürzester Zeit einen Hornissenschwarm im Kopf habe und anfange zu schielen. Mein rechtes Auge hat - laut Augenärztin schwangerschaftsbedingt - sich so sehr verändert, dass Kontaktlinsen dazu jetzt gerade nicht so gut passen, und eine Weile Pause muss ich ihm noch gönnen. Also sehe ich gerade folgendermaßen aus: unten der Bauch, so weit klar. Dann ein ziemlich rotes Gesicht. Das als “Strahlen” zu bezeichnen, würde den Begriff sehr dehnen. Darüber die Landfrisur: der Puschel durch die von Kalle ausgerissenen Haare steht in vollem Saft, ich habe praktisch keine Stirn mehr, es sei denn, ich trage eins dieser breiten Kopfbänder, die aber bei meiner Kopfform leider immer im Lauf einer Viertelstunde so verrutschen, dass es auch wieder nichts ist. Hinter dem Kopfband sind einige Wirbel, die auch von der Schwangerschaft zu profitieren scheinen. Mit dicken, glänzenden Locken ist es diesmal nichts, jeden Morgen im Spiegel erwartet mich eine neue Überraschung. Und mitten im Gesicht meine Brille, Modell Politbüro, die wirklich extrem robust wirkt, aber es nicht ist: die letzte Reparatur war schon die dritte, weil Kalle sie mir immer wieder von der Nase reißt und ein Glas auf dem Boden zerknallt. Jedes Mal kostet es so um die 180 Euro, denn weil ich so dermaßen blind bin, müssen die Gläser irgendwie speziell sein, damit die Brille nicht im Schneckentempo meine Ohren amputiert vor lauter Glasbaustein. Aber reden wir nicht über Geld, reden wir über Schönheit und Ausstrahlung. Frisur, Figur, Brille, uffjedunsenes Gesicht mit kleinen, von Kontaktlinsenunverträglichkeit geröteten Schweinsäuglein: Tadaaa! Fertig ist der bei der Geburt getrennte Zwilling von Roncalli-Direktor Bernhard Paul. (Vermutlich frage inzwischen nicht nur ich mich, wie eine wie ich zu so einem niedlichen Kind kommt. Passanten schütteln die Köpfe.)

7. Obwohl sie es nicht verdienen, habe ich meinen Haaren zwei neue Shampoos gekauft und habe das Gefühl, wenigstens beim Duft bin ich angekommen: Asfera von Furterer und Harmonic von Intelligent Nutrients riechen beide schön frisch nach Minze, hinterlassen eine kühle, aber nicht trockene Kopfhaut, machen quietschsauber, ohne zu vertrocknen, und dürfen für’s Erste bleiben. Ich hoffe, wenn nach der Geburt die Frisur irgendwann wieder normal ist, dann kann ich auch beurteilen, ob meine Haare genau so begeistert sind wie ich. Außerdem bin ich dazu übergegangen, nach jeder Wäsche die immer trockene Freaksträhne an meinem Hinterkopf mit Klettenwurzelöl einzureiben: es lag da noch rum, kostet fast nichts und bekommt jetzt seine Chance, wo stinketeure Superkuren versagt haben.

8. L. hat es tatsächlich durchgezogen: er hat 30 Tage lang vegan gelebt und ungefähr sieben Kilo abgenommen. Was heißt, dass er mit kleinen Auflockerungen weiter machen will. Und nicht nur das ist die Überraschung: wir haben uns auch nicht die Köpfe eingeschlagen. Was vermutlich auch daran lag, dass er seine Kocherei weitgehend für sich behalten hat und sich extrem am Riemen gerissen hat, mir meine Schweinebraten und meinen Speck madig zu machen. Manchmal sah die Küche schlimm aus. Vor die Wahl gestellt, ob ich das in zehn Minuten schnell wegmache oder mir den Abend versaue, indem ich deshalb Krach anfange, muss ich sagen, hab ich mich meistens für erst wegmachen und später die eine oder andere spitze Bemerkung entschieden, den weiblichen Klassiker. Und nicht nur L.s Figur, auch mein Budget profitiert, denn während L. früher gerne mal ein halbes Kilo Käse als kleinen Snack zwischendurch gegessen hat, habe ich jetzt meine Schätze im Kühlschrank ganz für mich allein und muss nur mit Kalle teilen, während er sich mit Pastinaken und Mandelmus vergnügt.

9. Der letzte Tag auf der Arbeit rückt näher, und noch ist kein Ersatz für mich in Sicht. Ich habe noch mal recherchiert, und dem SMS-Verkehr mit meinen Mädchen ist zu entnehmen, dass ich am 31. März meine Chefs über die Schwangerschaft informiert habe, genau wie über den Termin, zu dem ich in den Mutterschutz gehe. Nachdem ich von Würmchens Klumpfuß erfahren hatte, war ich erst mal im Urlaub, aber gleich am ersten Tag zurück am Schreibtisch habe ich ihnen auch das gesagt und dass es bedeutet, dass ich diesmal nicht nach drei Monaten, sondern wohl erst nach sechs oder vielleicht sogar noch später zurück komme, weil hier dann eben andere Aufgaben auf mich warten. (Darauf haben sie übrigens wie aus dem Lehrbuch für den Chef des Jahres reagiert.) Seitdem… 21. 22. 23. Immer noch ist unklar, wer in meiner Abwesenheit meine Jobs übernimmt. Es sollte mich nicht beschäftigen, tut es aber. Ich würde gerne mit einem guten Gefühl und einem sauberen Schreibtisch in die Pause gehen. Hrrrrrr. Währenddessen fällt es mir jedes Mal schwerer, mich in die Bahn zu wuchten und dann acht Stunden aufrecht und konzentriert an meinem Rechner zu verbringen. Das Augenproblem kam noch dazu, besonders in unserem Konferenzraum zu Abstimmungen liefen mir dicke Tränen über das Gesicht, und ich konnte kaum die Hand vor Augen sehen. Auf der Treppe aus der Ubahn halte ich mich am Geländer fest und schnaufe, und als neulich der Fahrstuhl gewartet wurde, habe ich kurz überlegt, diesen Arbeitstag zu knicken und einfach wieder nach Hause zu gehen, denn zu Fuß in den sechsten Stock? Entschuldigung. Nachmittags lege ich mich mit Rechner immer schon eine Stunde aufs Sofa in den Pausenraum, aber auch das ist nur Kosmetik. Ich zähle die Tage: neun sind es noch. Und gleichzeitig treibt es mich wirklich um, dass ich nicht weiß, wie das ab dann werden soll mit meinen Job-Babies.

10. Zu dem kleinen Kommentarkrieg von letzter Woche sage ich jetzt mal nichts mehr. Ich habe das Gefühl, da ist alles gesagt, und zwar mehrfach und von allen Beteiligten.

11. Wie wäre mal wieder Stammtisch? Zur Abwechslung Brunch? Tut mir leid, ich will euch nicht mein Alkohol- und Kippenverbot aufzwingen, aber abends gehen bei mir leider zu früh die Lichter aus, das lohnt sich kaum, dafür das Haus zu verlassen. Ein schicker Sonntag also? Irgendwann demnächst, Ende September, Anfang Oktober? Hebt doch mal vorsichtig die Kommentarhand, wer grundsätzlich Lust hätte.