Freitag, 30. Mai 2014

16+3

Manchmal denke ich, der Hamburger Lokalpatriotismus ist Schuld, der alles umfasst, was sich in dieser Stadt befindet, die Restaurants eingeschlossen. Oder ich bin doch leider ein Snob. Oder es hat weder etwas mit Hamburg noch mit mir zu tun, sondern die Leute möchten einfach lieber das Gefühl haben, gut gegessen zu haben, als wirklich gut zu essen, und loben deshalb lieber jeden Mist, als vor sich und anderen zuzugeben, dass es heute mal danebengegangen ist. Oder es sind des Kaisers neue Kleider. Jedenfalls war das gestern der ungefähr siebenunddreißigste Abend, an dem ich in Hamburg in einem Restaurant saß und nicht fassen konnte, wieso das nicht besser gehen soll. Und immer sind alle begeistert! Die Bewertungsportale, das Stadtmagazin, die Blogger, alle alle alle finden es sensationell, nur ich wieder mal nicht. Da hilft es auch nicht, dass ich gerade erst zurück bin von meinen Eltern, wo man innerhalb von zehn Minuten in einer netten Wirtschaft im Grünen sitzt, in der es fabelhaftes Essen zu wirklich fairen, für Hamburger Verhältnisse niedlichen Preisen gibt. Sind aber keine Hamburger Verhältnisse, zum Glück. Ich liebe diese Stadt auch! Ganz bestimmt! Aber die Restaurantbesitzer und Köche würde ich gerne mal irgendwo auf einem großen Platz zusammentreiben und ihnen eine sehr tief empfundene Strafpredigt halten. (Was dachtet ihr denn, was ich mit ihnen machen würde?) Und erst, wenn mir wirklich nichts mehr zum Thema "Enttäuschungen mit Messer und Gabel in dieser Stadt" einfallen würde, dürften sie wieder gehen. Das würde dauern. Vor ein paar Wochen bin ich mit Huckleberry durch Eimsbüttel geschoben, als ich an der Alpenkantine in der Osterstraße vorbeikam. Von der Alpenkantine hatte ich in einem Fress-und-Deko-Blog gelesen, besonders von den sensationellen Spinat-Walnuss-Knödeln. Sogar das Rezept dazu gab es. Die Kommentatorinnen waren auch alle hin und weg. Ich liebe Knödel jeder Art, und weil Huckleberry gerade eingeschlafen war in seiner Karre, habe ich sie unbedingt probieren müssen. Sie waren alles, was Semmelknödel nicht sein sollten: steinhart, trocken und fade. Es tut mir so leid! Ich würde wirklich gerne etwas anderes schreiben können! Der Laden sah nett aus, und davon abgesehen fände ich es viel schöner, jetzt eine feste Adresse für Lieblingsknödel zu haben, als schon wieder nach dem ersten Bissen die Welt nicht mehr zu verstehen. Vielleicht versuche ich es demnächst mal selbst, ich glaube aber fast sicher, das kann ich besser, jedenfalls habe ich vor ein paar Jahren mal Strangolapreti gemacht (italienische Spinatknödelchen), die besser waren. Da ein paar Walnüsse untermischen, und dann wollen wir doch mal sehen.

Ja, spinnt denn die? Hier die angefressene Restaurantkritikerin zu spielen, wo es doch viel Wichtigeres zu berichten gibt? Vermutlich spinnt die allerdings. Gestern, als wir zurück waren von unserem Ausflug ins Note-3-Thai-Restaurant und die weltbeste Tante und Babysitterin abgelöst haben (die extrem wenig zu tun hatte gestern, Huckleberry ist ganz gegen seine Gewohnheit um kurz nach acht ohne viel Gemoser eingeschlafen und hat sich kaum noch gemuckst), und als wir dann irgendwann im Bett lagen, da war was. Es war nicht viel, und wenn ich das nicht schon kennen würde, dann hätte ich es wohl kaum bemerkt. Aber so war es auf einmal ganz still und ganz klar: Ndogo hat gestrampelt. Oder geboxt, so genau war es noch nicht zu erkennen. Dann war es vorbei, und ich habe keinen weiteren Gedanken mehr an unser dusseliges Abendessen verschwendet.

Nach amerikanischer Zählung bin ich seit Dienstag im fünften Monat, und wer mich sieht, würde eher auf den sechsten tippen. Es bleibt ein Rätsel, auf der Waage sind und bleiben es drei Kilo mehr als vor Ndogo. Im Spiegel sind es ca. acht. Ich habe in zwei neue Schwangerschaftsjeans, eine Schwangerschaftsschlabberhose und eine Schwangerschaftsjogginghose investiert, die Hosen vom letzten Mal sind vollkommen durch, die Bauchbänder hängen in Fetzen. Es gibt jetzt abgesehen von meinem brettsteifen Dufflecoat und meinem kleinen Trenchcoatcape kein Outfit mehr, in dem mir nicht jeder Depp ansieht, dass ich schwanger bin. Die Reaktionen sind gemischt und reichen von "Ja guck mal, du kleiner Schnutziputzi, da hast du ja bald ein Geschwisterchen, kannst du dich aber freuen!" bis hin zu "Oha. Oha. Au Backe. Na dann..." Die Übelkeit ist größtenteils vorbei, jedenfalls die Hormonübelkeit. An ihre Stelle ist die Eisentablettenübelkeit getreten, die auch nicht zu verachten ist und außerdem begleitet wird von rostig schmeckendem Aufstoßen, das so widerlich ist, wie es sich liest, und Verdauungsphänomenen der dritten Art: eine schwer zu beschreibende Mischung aus Verstopfung und Durchfall. Trotzdem ist es das wert, denn seit der ersten Eisentablette sind die Schwindel- und Schwächeanfälle in Ubahnen und Supermärkten Geschichte. Und Rostbäuerchen kann ich immer noch besser ab, als regelmäßig die Fahrt zur Arbeit auf dem Boden des Waggons zu verbringen. (Wer jetzt denkt, ist die denn bekloppt, dann noch zur Arbeit zu fahren, hat das vermutlich noch nie erlebt: es ist wirklich fünf Minuten lang ganz schrecklich und fühlt sich an wie das Ende von überhaupt allem, und dann ist es weg, als wäre da nie was gewesen, und man sitzt wieder frisch und rosig an seinem Platz, zu allem bereit.) Abgesehen davon bin ich wirklich, wirklich entspannt. Genau wie eine Fehlgeburt einen für die nächste Schwangerschaft immer noch ständig auf 180 hält, färbt eine normale Schwangerschaft zum Glück genau so auf die nächste ab. In vier Wochen ist der nächste Termin, und ich mache mir nicht die allerkleinsten Gedanken. Wird es ein Junge? Hurra! Wird es ein Mädchen? Yippie! Dass es weiter gesund ist und wächst wie Knöterich, davon gehe ich fest aus. Hoffentlich nicht zu fest.

Oha. Knöterich 1, der bei Edeka eingeschlafen war und mir so diese kleine Postpause beschert hat, ist wach. Der Chef ruft, ich muss spuren. Bis bald, liebe Abkürzungsdamen! Übrigens auf neuem Rechner. Aber davon ein andermal.

Jaja, ist ja gut, ist ja gut!

Sonntag, 25. Mai 2014

Mach's gut, schmuddelweißer, brummender und manchmal etwas brenzlig riechender kleiner Freund.

Der Chat wäre also glücklich überstanden. Falls eine der mitchattenden Damen sich aufgeregt hat über meinen Gesichtsausdruck beim Vorlesen mancher Fragen: das war nicht böse gemeint, der Monitor war nur so weit weg und die Schrift so klein, ich musste das Gesicht so zusammenkneifen, um das lesen zu können. (Dazu kam noch, dass die Chat-Organisatoren gerne anfingen, wild herumzuscrollen, sobald ich eine Frage ins Auge gefasst hatte. Nicht leicht das alles!). Ich habe wieder mal festgestellt, dass ich schriftlich besser bin als mündlich und dass ein Platz im Scheinwerferlicht nichts ist, was mich glücklich macht.

Aber nun ist es wie gesagt überstanden und liegt hinter mir, genau wie die grünen Hügel rund ums Haus meiner Eltern, die Besuche im netten neuen Eiscafé in der Altstadt, wo es solche Sorten wie Pumpernickel und endlich wirklich saures Zitroneneis gibt, und Oma und Opa, die sich keine Gelegenheit entgehen lassen, Zeit mit ihrem Enkel zu verbringen. So dass Mutti endlich mal wieder ohne Kleinkindbegleitung duschen, Tee trinken, auf dem Balkon liegen oder einfach nur nichts tun konnte. Und das ist dringend, dringend nötig gewesen.

Ich schreibe diesen Post im Liegen auf dem Bett, während L. sich sonstwo herumtreibt und mein Kindchen einen seiner sehr, sehr, sehr, sehr, sehr, sehr, sehr, sehr seltenen Mittagsschläfe macht. Der Rechner hängt am Kabel, das auf eine komplizierte Weise um den Bildschirm herumgezwirbelt ist, und parallel hängt er an der externen Festplatte und kurbelt und kurbelt, um ein Backup herzustellen. Vermutlich das letzte. Und vielleicht ist das auch der letzte Post auf diesem Rechner. Es geht leider, leider zu Ende mit ihm. Nach über fünf Jahren, ein stolzes Alter für ein Macbook, das schon Flugreisen, Nächte im Freien und Misshandlungen durch Hunde und ein Baby verkraften musste. Ich habe mich lang gegen einen Nachfolger aus Alu gewehrt, aber jetzt sind die weißen Zeiten hier wohl wirklich vorbei. Es geht nicht mehr, und es will auch nicht mehr, das treue Maschinchen. Seit es L. vor einer Weile vom Bett gefallen ist, hat es einen Sprung, direkt neben der Stelle, in die das Ladekabel gehört, und jetzt lädt es nur noch an guten Tagen, und auch dann nur sehr zitterig. Die üblichen Altersschwächen, also lange Wartezeiten auf Dinge, die früher einen Sekundenbruchteil dauerten, Hänger und Würger und all die Dinge, die ein ungeduldiger Mensch wie ich gar nicht gut kann, die zeigen sich schon etwas länger und werden auch nicht besser. Das arme alte Schätzchen, in diese Tasten habe ich fast den kompletten Blog und das Buch gehackt, hier habe ich gearbeitet und Quatsch gemacht und Fotos vom Kindchen geladen und bearbeitet, kistenweise Rosé auf Eis getrunken und die Tasten mit Tomatensauce oder Schlimmerem bespritzt, hier habe ich Playlists gebastelt und ein Vermögen bei Amazon verjuxt, Nigellas DVDs sind Dutzende Male gelaufen (auch damit wird es jetzt vorbei sein, neue Rechner gibt es nur ohne DVD-Laufwerk), und einmal hatte ich das Ding sogar mit in New York und habe morgens mit meinen Kaffee auf der Hoteltreppe gesessen und geschrieben, während die berittenen Polizisten vorbeizockelten. Abschiede kann ich nicht gut. Aber jetzt wird es wohl Zeit.

Freitag, 16. Mai 2014

Ein Chat mit haufenweise Kinderwunschexperten. Und außerdem mit mir.

In den nächsten Tagen - wann, weiß ich noch nicht so genau - breche ich mit Kalle unterm Arm auf zu meinen Eltern. Erstens war Kalle noch nie bei ihnen, das wird so etwas wie ein kleiner Testlauf für den Sommer, wenn sie ihn wochenlang sitten, während ich mich im Schatten räkele. Zweitens habe ich Sehnsucht nach Kühen, Kochkäse, Bratwurst und Grillenzirpen. Und drittens habe ich gar nicht weit entfernt zu tun. Und ausnahmsweise könnt ihr mir bei der Arbeit zusehen!

Trommelwirbel! Wunderkerzen! Kugelscheinwerfer! Europahymne! Am Dienstag Abend (20.5.2014, 19:00-21:00) werde ich dabei sein, wenn Merck-Serono einen Expertenchat zum Thema Kinderwunsch veranstaltet. Jeder, der sich auf dieser Seite kostenlos registriert, darf mitchatten. Diskutiert und beantwortet werden Fragen zur medizinischen und psychologischen Seite von Kinderwunschbehandlungen, aber auch - für mich komplettes Neuland - Finanzierungsmöglichkeiten. Dabei sind Dr. Olaf Naether, Reproduktionsmediziner am Fertility Center Hamburg, Holger Eberlein, Fachanwalt für Medizinrecht aus Berlin, und Christine Büchl aus Augsburg, die schon lange Kinderwunschpaare psychologisch berät. Und ich darf das ganze moderieren. Wie die auf die Idee gekommen sind, dass ich so was kann, weiß der Himmel, aber wir werden sehen. Es könnte auf jeden Fall interessant werden! Also, liebe Abkürzungsdamen und Ex-Abkürzungsdamen da draußen: chattet mit, und wenn ihr selbst einen Blog zum Thema schreibt, würde ich mich freuen, wenn ihr euren Leserinnen auch einen Tipp gebt. Mehr Informationen rund um den Abend gibt es hier.


Dienstag, 13. Mai 2014

Hach, weißt du noch?

Im Sommer 2001 bin ich nach Hamburg gezogen, um hier ein Praktikum zu machen. Schon die Zimmersuche ließ sich nicht gut an. Ich war gerade ziemlich abgebrannt (wie abgebrannt, ahnte ich zum Glück noch nicht), und eine Zugfahrt war zu teuer. Also fuhr ich mit der Mitfahrzentrale aus meinem süddeutschen Unistädtchen nach Hamburg. Liebe Mama, heute darfst du es erfahren, ich habe es ja auch überstanden. Mein Fahrer war ein dürrer Typ Anfang 20, das Auto war voller leerer Bierdosen und Kleingeld. Auf dem Weg machte er mehrmals Halt, um noch drei andere Mitfahrer einzuladen, es wurde eng und viel zu warm in der winzigen Kiste, und er konnte sich über den dreifachen Spritpreis freuen. Kaum hatten wir im Morgengrauen die Stadtgrenze passiert, "ließ" er uns raus, damals hatte ich noch keine Ahnung, heute glaube ich, das war irgendwo in der unwirtlichen, menschenverlassenen Gegend hinter dem Berliner Tor. So fing ein Wochenende der Zimmersuche an. Damals war das Internet zwar schon da, aber für viele Dinge nicht so richtig zu gebrauchen, die Hälfte der Zimmerannoncen habe ich Freitag früh von verschiedenen schwarzen Brettern der Uni abgeschrieben. Ich quartierte mich in meinem Hostel ein, kaufte mir ein Wochenendticket für die Ubahn und wollte Geld ziehen. Bei dieser Gelegenheit stellte ich dann fest, dass die Krankenkasse seit Monaten keinen Beitrag abgebucht hatte, just zu diesem Wochenende aber ihren Fehler bemerkt hatte und nun alles auf einmal eingezogen hatte. Mein Konto war völlig leer. Ich hatte das Hostel noch nicht bezahlt, und in meinem Portemonnaie waren noch ca. acht Mark. Ich biss die Zähne zusammen und ergab mich in mein Schicksal. An diesem Wochenende lebte ich von Leitungswasser und einem großen türkischen Fladenbrot und guckte mir ca. 25 Zimmer an, die überall in der Stadt verteilt waren, wo man wohnen konnte und wo nicht, wusste ich ja noch nicht. Teilweise saß ich zwischen zwei Besichtigungen fast anderthalb Stunden in verschiedenen Bussen und Bahnen. Viele Zimmer waren schrecklich, viele Mitbewohner auch, manche machten mich einfach nur beklommen. Ein Mann Mitte 40, frisch geschieden, wünschte sich eine Studentin Mitte 20 als Mitbewohnerin. Eine behinderte Frau um die 50 wollte für ihr Zimmer als Gegenleistung außer einer ziemlich beträchtlichen Miete rund um die Uhr gepflegt und unterhalten werden. In der Wohnung lebten außer ihr acht freilaufende Kaninchen. Ein sehr alter und sehr freundlicher Mann musste ein Zimmer vermieten, weil er sich seit dem Tod seiner Frau und dem Wegfall ihrer Rente die Wohnung sonst nicht mehr hätte leisten können. Die Wohnung stank ungelüftet und nach Urin, das Zimmer war möbliert mit hässlichen, schmuddeligen Sperrmüllmöbeln. Nichts davon war aus den Annoncen zu erkennen gewesen, und jedes dieser Treffen dauerte mindestens eine halbe Stunde, die Anfahrt nicht mitgerechnet. Ich hatte ordnetlich zu tun. Am Ende gab es vier Zimmer, in die ich eingezogen wäre, und die ersten drei wollten mich nicht. Ich hatte überall wahrheitsgemäß erzählt, ich würde ein Praktikum machen und vermutlich den ganzen Tag und auch am Wochenende arbeiten, das passte nicht zur Vorstellung von WG-Geselligkeit. Zimmer Nr. 4 war es dann endlich. Hier lebten eigentlich zwei Jungs, die schon als Kinder Freunde gewesen waren. Einer von ihnen wollte für ein Jahr nach Spanien zum studieren, sein Zimmer war also frei. Bei der Besichtigung waren sie unkompliziert und nett, sie haben mich sogar zum nächsten Termin gefahren, weil es regnete. Vier Wochen später fuhr ich mit dem bis unters Dach vollgepackten Twingo meiner Mutter nach Hamburg und zog ein.

Was kam, war ein schreckliches und schönes Jahr. Schön war es, weil ich mich innerhalb von ein paar Wochen völlig zuhause fühlte im Job und in der Stadt, und das, obwohl ich wenig mehr zu sehen bekam als die Wände meines Büros. Nach einem Jahr hatte ich die besten Freundinnen der Welt, wusste endlich, was ich mit mir anfangen will, und es machte unfassbar viel Spaß, sich nach all dem Uni-Phlegma achtzig Stunden pro Woche und mehr in die Arbeit zu stürzen. In richtige, ernsthafte Erwachsenenarbeit. Schrecklich war es vor allem wegen der Wohnung. Sie lag im Souterrain, direkt vor meinem Fenster fuhren Autos und liefen neugierig glotzende Fußgänger vorbei. Mindestens einmal pro Woche verirrte sich eine riesige Spinne ins Zimmer. Die Möbel waren hässliche, lieblos ausgesuchte Jungsmöbel. Mitbewohner Nr.2 war entgegen seiner Absicht so gut wie nie in Spanien, sondern praktisch immer da. Zusammen mit Mitbewohner Nr.1 zog er sich fast allabendlich dicht, und wenn ich irgendwann nach Mitternacht aus der Agentur kam, lag er oft genug schnarchend und hackenstramm in meinem Bett, während auf dem Fernseher noch ein Porno lief. Einmal kam ich vier Tage nach Silvester zurück nach Hamburg, und das festliche Buffet der Jungs aus hartgekochten Eiern, Grillsaucen und Leberkäse war immer noch in der Küche aufgebaut. Ein anderes Mal trat Mitbewohner Nr.2 in einen Hundehaufen, bemerkte das Malheur erst zuhause und streifte den Haufen an den Fußleisten im Flur ab. Ich versuchte, mir kleine Inseln zu bauen. Ich fuhr mit dem Bus zu Ikea und schleppte so viel Mädchenkram nach Hause, wie ich nur tragen konnte: Weingläser, eine Wolldecke, Kissen, Kerzenständer, damit machte ich es mir ein bisschen gemütlich. Mehr als halbherzige Versuche waren kaum möglich oder nötig, ich kam normalerweise nach Hause, kochte mir Miracoli, trank ein Glas Rotwein und kippte schnarchend ins Bett (wenn es frei war).

Gerade denke ich manchmal an dieses Jahr und habe das dumpfe Gefühl, so ähnlich werde ich mich auch mal an das erste Jahr als Mutter erinnern: grauenvoll anstrengend, man kommt ständig zu kurz, ist manchmal so müde und ausgelaugt, dass man kaum noch weiß, wie man heißt, aber trotzdem ist es irgendwie gut. Wie, "irgendwie"? Weiß ich auch nicht. Ich hab doch auch keine Ahnung. Ich wurstel mich doch auch nur durch.

Montag, 12. Mai 2014

13+6

Mein Bauch ist klar zu sehen, normale Jeans gehen nicht mehr zu, und selbst Kleider mit hoher Taille bekommen diesen Leberwurst-Appeal. Trotzdem behaupten sowohl meine Waage als auch die bei meiner Ärztin steif und fest, ich hätte bisher nicht mehr (eher weniger) als ein Kilo zugenommen. Das ist wirklich doppelt seltsam, denn weil mir diesmal so schlecht ist und Essen das beste Mittel dagegen zu sein scheint, nehme ich an manchen Tagen bis zu acht komplette Mahlzeiten zu mir.

Die dollen Schwangerschaftshaare, dick, glänzend und lockig, lassen auf sich warten. Im Moment sind sie strohig, spärlich, voller Wirbel, die da noch nie waren, und liegen im Krieg mit ihrer Besitzerin. Jeden Morgen stehe ich vor dem Spiegel und kann es nicht fassen. Es ist eine Frechheit. Kuren, über Nacht einwirkende Öle und Apothekenshampoos helfen rein gar nichts. Wann geht es denn jetzt mal los hier? Oder täuscht mich meine Erinnerung, und letztes Mal waren es auch nur die letzten paar Wochen? (Ich weiß noch, wie ich vollkommen fertig, nach Blut stinkend, verschwitzt, ungeduscht und ekelig nach der Geburt da lag und Freundin R., die wie eine eins assistiert hatte, beruhigend zu mir sagte "Aber deine Haare sehen toll aus.")

Meine Haut ist im Moment leider nicht zu beurteilen, denn Rasputin hat sich angewöhnt, mir seine Liebe mit Beißen, Kratzen und Zerren zu zeigen. Er strahlt mich an, sagt "Mamamama dä", holt mit seiner kleinen dicken Faust aus und zack, hat er ein Stück meines Nasenflügels in der Hand. Da kann ich noch so teure und ausgebuffte Kosmetikprodukte verwenden, im Moment ist ein solides, zementartig deckendes Make-Up mein bester Freund.

Die Übelkeit begleitet mich immer noch jeden Tag, aber fast noch nerviger sind die Kreislauf-Haschmichs. Der Blutdruck scheint normal zu sein oder benimmt sich immer gerade dann, wenn ich ihn messen will, aber trotzdem sacke ich immer noch regelmäßig in der Ubahn in mich zusammen, auch Supermärkte sind gefährliches Gelände. Obwohl ich mich inzwischen daran gewöhnt haben müsste, bin ich immer noch jedes Mal überrascht, wie hilfsbereit und freundlich fremde Menschen sind, und das, obwohl man bei im Moment 11 Grad in Hamburg und der dicken Jacke, die ich deshalb trage, den Bauch noch nicht auf den ersten Blick sieht. Manchmal wird es mir fast zu viel, wenn ich auf einer Sitzbank an der Ubahn-Station Klosterstern oder sonstwo liege und versuche, wieder zu Puste zu kommen und mich nicht vollzuspucken, wenn schon wieder jemand kommt und wissen will, ob er einen Arzt rufen soll, ob ich vielleicht einen Schluck Wasser brauche oder ob er mich irgendwohin begleiten kann. Danke, Hamburger, ihr seid toll! Nur sprechen ist gerade nicht so gut. Mund zulassen ist besser. Viel besser.

Ich überlege mir jetzt schon, was ich diesmal anders machen will als bei Rasputin. Zum Beispiel erwäge ich den Kauf eines dieser Dinger, in die man oben kochendes Wasser reingießt, woraufhin es unten auf 50 Grad abgekühlt herausfließt. Ich weiß noch, wie mich in der ersten Zeit dieser ganze Tanz um die richtige Wassertemperatur auf Trab gehalten hat. Ich werde mir außerdem in den nächsten Tagen eine Hebamme suchen. Zwar dachte ich erst, diesmal lasse ich das komplett, weil ich mich im Nachhinein ziemlich über manche Aspekte des Verhaltens meiner alten Hebamme aufgeregt habe. Aber die müssen ja nicht alle so sein, vielleicht lande ich diesmal einen Glücksgriff, nur etwas beeilen muss ich mich wohl. Stillen werde ich auch diesmal wieder versuchen, aber ich werde mir die Sperenzchen mit Medela-Saugern sparen. Rumpelige Strecken auf dem Weg zum Vollstillen werde ich versuchen, mit der Pumpe zu überbrücken, und wenn das nicht reicht, dann eben nicht. Rasputin ist rundum proper, hat Bärenkräfte, zeigt bisher keine Anzeichen von Schnäkigkeit bei normalem Essen (d.h., normalem Menschenessen - keine Gläschen) und scheint es insgesamt gut verkraftet zu haben, dass es für ihn immer auch Fläschchen und ab dem vierten Monat keine Muttermilch mehr gab. Ich werde also versuchen, mich diesmal nicht so stressen zu lassen. Und was das Stressen betrifft: sobald ich merken werde, dass mir etwas das Leben erleichtert, werde ich es mit offenen Armen willkommen heißen. Ich werde nie vergessen, wie Hebamme 1 mich vorwurfsvoll ansah, als ich ihr erzählte, ich würde ruhiger schlafen und mich weniger gehetzt fühlen, wenn ich so viele Fläschchen hätte, dass ich im Lauf der Nacht nicht spülen und sterilisieren muss. "Wieso. Ist doch schnell gemacht, so ein-zwei Fläschchen zu spülen?" bockte sie. "Kann sein, aber mich stresst es nun mal und macht mich nervös", antwortete ich. "Versteh ich nicht, spül sie doch einfach" beharrte sie. "Ich finde eben, wenn so eine Kleinigkeit wie zwei Fläschchen mehr für pro Stück 5 Euro irgendwas mich weniger nervös und entspannter machen, dann sind sie jeden Cent wert" sagte ich. "Meine Güte, ist doch kein Ding, nachts zu spülen" sagte sie, und mir lag kurz auf der Zunge, dass sie bei ihrem gewaltigen Umfang doch eigentlich keine Fremde gegenüber dem Konzept Arbeitsersparnis sein kann, und hielt dann zum Glück doch die Klappe, aber war in diesem Moment leider ein für allemal innerlich fertig mit ihr. "Nee nee, wir zwei werden keine Freundinnen", dachte ich. Und genau so war es!

So in etwa sieht es hier aus in Woche 13 +6.



Mittwoch, 7. Mai 2014

Eine gute Nachricht und eine schlechte Nachricht, die aber irgendwie auch gut ist.

Entgegen der Tradition die gute zuerst: das Baby ist fast schon beschämend gesund, strampelt pausenlos, weicht dem Ultraschall geschickt aus und dreht uns ein langes Nasenbein. Nach dem Scan liegen meine Chancen auf ein heiles, rundum properes Baby zwanzig mal so hoch wie davor, wenn man einfach nur mein Alter, die IVF und so weiter als Berechnungsbasis nehmen würde. Besser geht nicht, bei zwanzigfacher Chance ist Schluss, da kann Würmchen uns noch so stolz seine Nackenfalte, seinen Kopfumfang oder seine Oberschenkelknochen präsentieren.
Und obwohl ich das doch alles jetzt schon kenne, ist es trotzdem gestern erst richtig angekommen: wir bekommen noch ein Kind. Rainer Maria bekommt einen Bruder. Oder eine Schwester, das war noch nicht zu sehen. Diesen November werde ich wieder laut fluchend in einen Kreißsaal wackeln und ganz still wieder herauskommen. (Rainer Maria habe ich es jetzt schon ungefähr achtzig mal erzählt, aber er scheint es auch noch nicht zu kapieren. Vielleicht hätten wir ihn gestern zum Scan mitnehmen sollen?)

Jetzt die schlechte. Die Drehbuchwerkstatt will mich nicht. Ich kann kaum beschreiben, wie erleichtert ich darüber bin. In den letzten Monaten habe ich ca. 278 Stunden meines ohnehin knappen Schlafes an Grübeleien und Panik verloren, wie das alles klappen soll. Es wäre ja nicht damit getan gewesen, öfter nach München zu fliegen, um mich dort in Workshops und Seminare zu setzen. Irgendwann hätte ich das Biest auch schreiben müssen. Ich komme ja kaum dazu, meine schnell-schnell hingeschluderten Blogposts zu schreiben! Es wäre wie die Hausaufgaben aus der Hölle geworden. (Aber wieso wollten die mich nicht? Wieso?) Nächstes Jahr sieht es viel besser aus, nächstes Jahr wäre großartig. Dann hätte ich nur die August, September und Oktober irgendwie runterzureißen, und ab November ist Ndogo II schon in der Kita, dann habe ich Zeit, an meinem Rechner zu sitzen, ohne ständig zu brüllen "L.! Das Baby! Fläschchen! Jetzt!" (Bin ich zu schlecht? War die Bewerbung zu schnuddelig? Hätte ich doch die dritte Idee einreichen sollen, die, aus der ich eigentlich was ganz anderes machen will als ein Drehbuch und die mir deshalb zu schade war?) Die Ideen, die ich eingereicht habe, kamen mir damals gut vor, aber wenn ich ehrlich bin, habe ich seit Abschicken der Bewerbung keinen Gedanken mehr an sie verwendet, das ist ja wohl kein gutes Zeichen? Ich müsste besessener sein davon. Und sowieso, wäre eine freie Form des Schreibens für mich nicht besser als ein Drehbuch? (George R.R. Martin hat früher Drehbücher geschrieben, bis er entnervt war davon, dass es immer hieß "Du kannst Pferde reinschreiben oder Stonehenge, aber nicht Pferde und Stonehenge", weil das sonst zu teuer wird. Dann hat er Bücher geschrieben, und es läuft nach allem was man hört nicht schlecht.) (Jaja. Sagt die Tante, die es vor der Geburt ihres Kindes und mit reichlich freier Zeit und Gelegenheit auf gerade mal ein dünnes Buch gebracht hat, und das auch noch ein Sachbuch. Hätte ich das ernsthaft in mir, hätte ich es dann nicht längst mal getan?)

Also gut. Ich beschließe jetzt, es zum nächsten Mal wieder zu versuchen, außerdem Thema drei, das nicht eingereichte, nach besten Kräften voranzutreiben, und zwar spätestens dann, wenn Rainer Maria in die Kita kommt. (August, September, Oktober, der halbe November. Dreieinhalb kostbare Monate. Daraus muss doch was zu machen sein?) Und ich bin froh, jetzt doch nicht irgendwo in den Wolken über dem Harz auf dem Weg nach München einen Nervenzusammenbruch zu erleiden. Es sind die kleinen Dinge, für die man dankbar sein muss! (7,8 cm misst Ndogo jetzt vom Scheitel zum Steiß. Kleine, feine Wurst.)