Freitag, 18. April 2014

Leben und Tod unter der Muttiglocke.

Es gibt ein paar Menschen, deren Tod mich wirklich, wirklich traurig machen würde, obwohl ich sie gar nicht kenne und auch nie kennen lernen werde. Woody Allen zum Beispiel: inzwischen zucke ich immer kurz zusammen, wenn ich sein Foto in der Zeitung sehe, weil ich denke, jetzt ist er tot. (Abgesehen von seinem Alter gibt es glücklicherweise keine Anzeichen dafür.) Die Queen ist auch so jemand. Wieso? Keine Ahnung. Sie war immer da mit ihren Handtaschen und ihren farblich aufeinander abgestimmten Mänteln und Hüten, ich wäre traurig, wenn sie es nicht mehr wäre. Maggie Smith! Hoffentlich wird sie hundert.
Heute morgen sagt L. im Bett a propos gar nichts zu mir, ich hätte aber schon mitbekommen, dass Sue Townsend tot ist. Mit ihr hatte ich nicht gerechnet. Sie hatte zwar schwere Diabetes, war aber erst 68. Gestern habe ich noch an sie gedacht, ich würde L.s Tante zum Geburtstag am Montag gerne ihr Buch "the woman who went to bed for a year" schenken und überlegte, wo ich das jetzt am besten herkriege. Wieso weiß L. das und ich nicht? Ich bin die, die jedes ihrer Bücher hat, zum Teil sogar doppelt: aus Papier und auf dem Kindle. Es fühlt sich an, als müsste da ein Fehler vorliegen. Und ich frage mich wieder mal, ob das nun der Muttinebel ist? Diese wattige, gegen äußeren Einflüssen weitgehend abgeschottete Welt, in der Muttis leben und plötzlich Dinge fragen wie "Putin? Krim? Wieso?" oder auch "Hä? Sue Townsend? Warte mal...". Jetzt bin ich nicht nur traurig, dass Sue Townsend tot ist, sondern auch, dass ich es noch nicht mal merke. Die Adrian-Mole-Tagebücher lese ich bestimmt alle drei Jahre. Das Buch von der Frau, die ein Jahr lang ins Bett geht, ist - so weit ich mich erinnern kann - das einzige Buch, bei dem ich jemals wirklich zu Tränen gerührt war. Ihre Kolumnen sind so ehrlich, lustig, uneitel und von allen Kolumnistenmarotten unbeleckt, dass ich zwischendurch überlegt hatte, allein dafür ein ziemlich teures Online-Abo einer britischen Zeitung abzuschließen, die mich ansonsten nicht die Bohne interessiert. (Ich hab es gelassen, es gibt sie als Buch.)
Sie war überhaupt kein Fan der britischen Monarchie, und jetzt hat die Queen sie überlebt.

Ich glaube inzwischen, ein großer Teil der Mutti-Glasglocke entsteht nicht aus Ignoranz oder daraus, dass man sich jetzt plötzlich nur noch für zuckersüßen Babykram interessiert, sondern aus Müdigkeit. Denn müde bin ich, und zwar gerade mehr als in den ersten Wochen mit Willi, als er nachts noch alle paar Stunden Hunger hatte oder Kummer oder was auch immer.

Montags, Dienstags und Mittwochs hängt es daran, dass er abends nicht einschlafen will. Lange hatte ich das Kindermädchen in Verdacht, ich dachte, die macht sich einen schönen Lenz: packt ihn in den Wagen und schiebt mit ihm stundenlang durch die Gegend, trinkt Kaffee, isst Eis oder wühlt sich durch die Geschäfte, während er im Wagen seine zwei-drei Stunden ratzt. Zwei-drei Stunden, die er abends dann länger wach ist, wenn die vom Arbeitsleben gebeutelte Mutti gähnend und mit knurrendem Magen sehnsüchtig nach der Uhr schielt (und von einem großen Gin Tonic oder einem riesigen Glas Rotwein träumt, verdammt, wieso ist dieser Wunsch bei dieser Schwangerschaft nicht genau so nett ausgeblendet wie bei der ersten?). Inzwischen bin ich zu der zwar irgendwie schmeichelhaften, aber auch wenig hilfreichen Erkenntnis gekommen, dass Willi an diesen Tagen einfach mehr von mir haben will, weil ich den ganzen Tag nicht da war. Er ist gar nicht so wach, er will nur mich nicht verpassen. Dagegen kann ich nicht an. Auf mich gestellt, würde ich wegen der Schwangerschaftsmüdigkeit auch an diesen Tagen um neun abgeschminkt und mit geputzten Zähnen im Bett liegen, jetzt wird es gerne mal elf, halb zwölf. Und egal, wie oft Willi sich nachts noch meldet, ich nehme die paar müden Stunden mit in den Schlaf und kann dann gerade nicht richtig schlafen, versteh das einer. So viel zu Montag, Dienstag, Mittwoch. An den anderen Tagen gibt es folgende Möglichkeiten:
Willi:
a) er schläft um halb acht ein, dreht sich gegen zwei noch ein mal um und ratzt bis sieben Uhr weiter.
b) er schläft zwar ein, wird aber nachts drei-vier mal wach und will von alleine nicht wieder einschlafen.
c) er schläft irgendwie gar nicht. Die Erschöpfung übermannt ihn zwischendurch mal für ein halbes Stündchen, aber dann ist er voll da.

Bei mir gibt es folgende zwei Möglichkeiten:
d) es ist eine normale, Schwangerschaftshormonzerspukte Nacht. Ich schlafe zwar ein wie ein Stein, aber spätestens gegen zwei bin ich wieder wach, ob mit oder ohne Willis Zutun, und schlafe bis halb sechs nicht wieder ein.
e) Liefen die letzten drei-vier Nächte nach Schema d, dann bin ich in dieser Nacht so kaputt, dass ich auf Hormone pfeife und trotzdem schlafe.

Mit viel, viel Glück fallen a und e auf die gleiche Nacht: Willi schläft allen Babygesetzen zum Trotz, und ich schlafe allen Schwangerschaftsgesetzen zum Trotz.

Das kommt so ungefähr einmal in zwei Wochen vor. An allen anderen Morgen wache ich auf und fühle mich für den Rest des Tages, als müsste ich durch langsam trocknenden Uhu schwimmen.

Heute Nacht war eine Kombination aus b und d. Gibt es sonst noch irgendwelche weltbewegenden Neuigkeiten, von denen ich wissen müsste?

Ok, ich fasse einen Entschluss. Ab sofort will ich mal etwas anderes für mich tun als Pasta, poshe Gesichtsreinigungsprodukte und Raumbeduftung mittels Muji-Ultraschall-Dings. Der Entschluss lautet: Willi schläft ein, und statt mich eine halbe Stunde lang an den Herd zu stellen, mache ich mir eine Schüssel Cornflakes und lese Zeitung. Ich will nicht eines Tages erfahren, dass Woody Allen seit drei Wochen tot ist. Ich will es überhaupt nicht erfahren, aber wenn, dann nicht erst nach drei Wochen. Und sollte diesem gruseligen Putin mit den toten Augen etwas zustoßen, möchte ich es bitte auch sofort wissen.

3 Kommentare:

  1. Ja, ja, ja! Unzensiertes Schwangerschafts-Baby-Schlaf-Gejammer!!! Wie schön!
    Liebe Grüße und Daumen für eine a/e Nacht
    K.

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  2. Oje, sue towensend... wir mochten sie auch gerne. Und dirnp natuerlich alles GUTE!!!

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  3. Hallo liebe Flora! Vielleicht sind die unruhigen Nächte Hunger-/Milchkonsum-bedingt?! Bei uns war es nämlich ebenfalls so, dass tagsüber eher schlecht gegessen wurde (iiihhhh, Brei...) und dafür nachts ständig getrunken. Was zur Folge hatte, dass zwischen diversen Still-Stopps auch noch sehr viel Wühlerei wegen geschluckter Luft oder anderer Verdauungsprobleme dazu kam. Und gerne auch mal die Nacht gegen 5.00 Uhr zuende war, wenn der Hunger zu groß wurde (wahlweise 1h wach sein mitten in der Nacht). Seit wir abgestillt haben und mein Knirps nur noch 1 Flasche nachts trinkt, kann er plötzlich wunderbar schlafen (Und ich erst - juhu! Nach 11,5 Monaten im 2h-Takt stillen!) und vor allem tagsüber essen, wie ein Großer (plötzlich schmeckt Brei nämlich echt gut)! Dazu hat er viel bessere Laune, weil ausgeschlafen UND satt... :-) Vielleicht wäre das bei euch ja auch einen Versuch wert, ich habe jedenfalls schon von vielen Fällen gelesen, bei denen es ähnlich ablief. Liebe Grüße und bald wieder erholsamere Nächte!

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