Mittwoch, 25. September 2013

Ich mach hier nur meinen verdammten Job, Mister.

Ich hätte ehrlich gesagt nicht damit gerechnet. Ich hätte gedacht, mein dickster Auftraggeber hustet mir was, wenn ich ihm mit meinen Vorstellungen von Tagessatz-Erhöhung komme. Ich dachte, der denkt sich: die kommt als Mutter zurück, leistet vor lauter Baby-Entzug und unvorhergesehenen Zwischenfällen von Krankheit bis verschollenem Kindermädchen in Zukunft nur noch ungefähr zwei Drittel von dem, was sie vor der Schwangerschaft gebracht hat, will größtenteils zuhause arbeiten, und jetzt will sie mehr Geld? Pah!

Genau das wollte sie. Denn aus meiner Sicht stellte sich das so dar: ich gehe wieder arbeiten, auch deshalb, weil wir das so abgesprochen hatten und ich mein Wort halten wollte. Ich weiß jetzt schon, ich werde mich streckenweise schäbig fühlen dabei. Ich werde mich als Werberin außerdem öfter als bisher schwer tun, einen echten, wirklichen und lebendigen Sinn in dem zu sehen, was wir da so austüfteln. Ich werde vermutlich täglich einen Krach mit L. haben, wessen Termine nun wichtiger sind, wer sich nach wem zu richten hat, wer wohin zu spät kommt und wessen Schuld das ist usw.. Und weil ich zur Verhinderung schlimmeren Übels wenigstens vier Stunden am Tag eine Kinderfrau oder einen Kindermann bezahlen will, würde ich also die gleiche Arbeit wie bisher tun, nur mit einem riesigen ranzigen Sahnehäubchen aus Stress und Streit und Schuldgefühlen obendrauf, und dank Kinderfrau (oder Mann, jaja) für ca. 500 Euro netto weniger? Auch Pah!

Mit gezücktem Klappmesser wollte ich nicht ins Gespräch gehen, deshalb habe ich nicht gesagt: wenn ihr das nicht macht, dann gehe ich in Elternzeit, und ihr könnt sehen, wer in Zukunft meine Arbeit tut. Ich hätte ihnen angeboten, noch vier Wochen zu arbeiten, damit sie nicht ganz nackig dastehen, und dann wäre ich weg gewesen. Jetzt bin ich ganz froh, dass ich das nicht gesagt habe, denn nach kurzer Bedenkzeit haben sie mich angerufen und mir gesagt, dass sie mir die Erhöhung zahlen. Gerne sogar! Haben sie gesagt.

Und jetzt sieht der Plan so aus: am 21. Oktober gehe ich wieder arbeiten. Wie bisher dreimal die Woche, Montag, Dienstag und Mittwoch, es sei denn, ich oder die Agentur hat einen triftigen Grund, einen der Tage zu verschieben. Vormittags übernimmt L. Thorsten. Wobei ich ihn sicher auch mal auf dem Schoß und auf dem Arm haben werde, eine Windel wechsele oder was auch immer. In dieser Zeit werde ich vor allem nachdenken und versuchen, mir etwas einfallen zu lassen. Dabei wird das beim iphone eingebaute Diktiergerät wohl mein bester Freund werden. Und nachmittags kommt die Kinderfrau, und dann kann ich bei Bedarf in die Agentur fahren. Oder ich bleibe auch dann zuhause, hacke konzentriert die Einfälle vom Vormittag in den Rechner oder denke mir neue aus, und abends geht eine schöne dicke Erntemail an die Agentur. Sollte meine Anwesenheit auch mal vormittags wichtig sein, muss entweder L. ganz ran, oder ich frage die Kinderfrau, ob sie vormittags statt nachmittags kann. Dazu könnte ich mir vielleicht noch eine zweite Dame in der Hinterhand anlachen, die wenig zu tun hat und ein bisschen flexibler ist. Der Plan klingt einleuchtend, denkt mein Kopf. Der Plan klingt wie das Ticket in den Wahnsinn und die Ehekrise, denkt mein Bauch. Aber erst mal werde ich das so versuchen. Und denke ich nach zwei Wochen, das geht nicht, das ist alles Unfug und mir bricht das Herz dabei, und graut mir ab Samstag vor Montag, dann werde ich der Agentur freundlich sagen, dass ich mich da wohl gewaltig überschätzt habe, dass es alles hinten und vorne nicht hinhaut und dass sie sich jetzt doch jemand anderen suchen müssen. Und dann gehe ich eben doch in Elternzeit. Und einen ganz anderen Plan habe ich sowieso noch in der Hinterhand, aber an dem will ich in jedem Fall dranbleiben, egal ob mit oder ohne Agentur.

Sonntag, 22. September 2013

Laufen lassen.

Rechter Fuß, linker Fuß, rechter Fuß, linker Fuß, und jetzt immer so weiter. Eigentlich ist nicht zu erklären, dass Laufen mich so rührt. Tut es aber. Mein Lauf-Playlist besteht zu großen Teilen aus Liedern, die ich mir sonst nur im Vollrausch anhöre ("I need a hero" von Bonnie Tyler ist nur eins davon). Laufen erfüllt mich mit dem, was andere Menschen empfinden, wenn ihr Land die Fußball-WM gewinnt. Als ich schwanger war und nicht gelaufen bin, habe ich manchmal Tränen in die Augen bekommen, wenn mir und meinem Bauch laufende Frauen begegneten. Es gab mal einen Werbespot von Nike, da war das Jahr 2000 da, und am 1. Januar lief ein verkaterter Mann durch das völlig verwüstete San Francisco, während Bomben über den Himmel zischten und Autos brannten und überall das Chaos regierte, das dieser Bug angerichtet hatte, der dann doch nicht kam. Den fand ich toll. Natürlich habe ich die Nike+-Lauf-App auf der ersten Seite meines Telefons, und natürlich speichere ich jeden Lauf, und natürlich träume ich davon, eines Tages mal einen Marathon mitzulaufen. Jeder noch so alberne Meilenstein, den die App mir bescheinigt, macht mich glücklich. ("Der erste Lauf an einem Dienstag! Wow!")

Ich war einfach zu müde, die Schwangerschaft war zu wackelig, ich war zu ängstlich, und wenn einen schon eine Treppe fast umkippen lässt, muss man über das Laufen wohl nicht erst nachdenken. Aber jetzt, dachte ich, geht es wieder los. Nach zwei Monaten und nachdem ich wieder beim alten Gewicht bin, sollte es gehen. Und das Laufprogramm, mit dem ich letztes Jahr gelaufen war, fängt so langsam an - fünfzehn Minuten, immer eine Minute gehen und eine Minute langsam laufen -

ich dachte wirklich, das kann ich. Und ich war ganz gerührt bei der Aussicht darauf. Und ich hatte extra mein Telefon ganz aufgeladen. Und ich hatte mir schon morgens die Laufsachen rausgelegt. Und L. schon ungefähr fünfmal gefragt, ob er nachher den Kleinen mal für zwanzig Minuten nehmen kann, ich will nämlich laufen gehen, hab ich das schon erzählt?

Und dann war ich im Park, Abendsonne und milde Brise und sonntägliche Spaziergänger, und ich... ich...

Ok, raus damit. Ich hab mir wieder in die Hose gemacht. In jeder Lauf-Phase ging etwas rein. Flottes Gehen war ok, aber Laufen nicht. Und ich konnte den Beckenboden anspannen, wie ich wollte, es nützte nichts. Meine Beine wollten unbedingt, mein Unterbauch nicht. Ich hatte keinerlei, wirklich nicht das kleinste bisschen Kontrolle darüber. Ich bin weiter gelaufen, war ja nur eine Viertelstunde. Aber ich war wirklich, wirklich am Ende. Zuhause angekommen, bin ich direkt durchgegangen ins Bad, um zu duschen und mich umzuziehen. Ich weiß noch nicht (googeln zu diesem Thema ist schwerer als gedacht), ob weiterlaufen hilft. Dass es etwas für meinen Kreislauf und meine Beinmuskeln tut, ist klar, aber leiere ich beim Laufen den Beckenboden am Ende weiter aus? Hilft Training auf dem Crosstrainer? Wieso dachte ich eigentlich, ich komme davon? Und ist das nicht alles völlig egal, wo sich doch mein größter Wunsch erfüllt hat? Nein, ist es nicht.
Ich bitte sonst nicht so oft um Rat, ich weiß, aber hatte hier vielleicht eine andere Ex-Abkürzungsdame das gleiche Problem und kann mir irgend einen Tipp geben? Oder mir sagen, dass sich das Problem irgendwann demnächst von allein erledigt?

Reine Logik, lieber Watson.

Beim vorletzten Besuch der Hebamme erklärte sie mir, dass Werner ruhig mal knöttern und motzen darf, wenn ich ihn hinlege. So lange er nicht wirklich weint oder brüllt, gehört das bei vielen Babys dazu, wenn man sie hinlegt. Ich sollte ihm zwei-drei Minuten geben, um sich zu beruhigen und einzuschlafen. Beschwert er sich dann immer noch, dann kann ich ihn wieder aus dem Stubenwagen nehmen.

Beim letzten Besuch fünf Tage später kam sie genau in dem Moment, in dem ich ihn abgelegt hatte. Ich habe ihn vorher singend und schunkelnd durchs Zimmer gewiegt, der Strampler saß einwandfrei, die Windel war frisch, und ein großes warmes Fläschchen hatte er auch gerade bekommen. Dann legte ich ihn in seinen Stubenwagen. Er knötterte, ein eindeutig eher motziges als trauriges, ängstliches oder sonstwie notleidendes Geräusch. Ich machte ein paar Schritte um die Ecke, setzte mich in einen Sessel und sagte: "Also. Die Medela-Sauger, muss ich sagen, machen leider..."

"Wieso machst du das?" unterbrach sie mich.

"Was, das weggehen?"

"Ja. So kann er dich ja nicht mehr sehen."

Weil sich Mütter erster Kinder bei so ziemlich allem irgendwas denken, war ich nicht unvorbereitet auf diese Frage und hatte sofort eine Antwort:
Weil es - auch, wenn es nur für zwei Minuten ist - eine kleine Frustration für Werner ist, wenn er motzt und nicht sofort jemand herbei eilt, um alles wieder gut zu machen. Weil es mit Sicherheit noch viel, viel frustrierender für ihn ist, wenn die Person, die normalerweise auf jedes seiner Bedürfnisse reagiert, direkt daneben steht und keinen Finger rührt, um ihm zu helfen. Und weil ich auf ihn nicht nur beruhigend wirke, sondern eben auch Unterhaltungswert für ihn habe - und er sich eher beruhigt, wenn er auch wirklich Ruhe hat und nicht gucken muss, was die schusselige Tante mit den Locken und der Milch jetzt schon wieder macht. Für mich klang das sehr logisch und einleuchtend.

"Naja", sagte die Hebamme.
"Aber wenn er dich sieht, ist die Situation für ihn an sich schon gleich viel beruhigender. Er will dich in der Nähe haben, dann ist alles gut, und er kann einschlafen. Und auch, wenn du nur dastehst und ihn nicht hoch nimmst, ist deine Anwesenheit doch für ihn auch die Reaktion auf sein Gemecker. Und das heißt, es ist schon fast so, als hättest du ihn hoch genommen."

Aha. Auch das klingt irgendwie logisch. Und jetzt?

Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber ich hatte noch nie vor Werners Geburt mit so vielen genau gegensätzlichen Aussagen zu tun, was ich tun und lassen soll, die alle für sich betrachtet total einleuchtend klingen. Und das mir. Wo ich meine Welt (im Gegensatz zu meiner Küche oder meinem Schreibtisch) so gern hübsch ordentlich in richtig und falsch sortiert habe.

Freitag, 20. September 2013

Zwei Monate, Teil 3: was ist jetzt anders?

Vor zehn Minuten habe ich ihm eine halbe Flasche gegeben und ihn schlafen gelegt, und wunderbarerweise schläft er jetzt tatsächlich, obwohl es noch nicht zehn ist. (Dass Ernst Stavro Mamas mangelndes Schlaftalent geerbt hat, habe ich glaube ich schon mal geschrieben?)

So lange ich also aus dem Stubenwagen nur leises Schnäufeln höre statt lautes Gebrüll, dachte ich, schreibe ich noch mal kurz auf, was eigentlich anders ist, seitdem er bei uns ist.

1. Nachdem ich ein paar Jahre unter Vollstress in einer Werbeagentur gearbeitet hatte, kam ein Gedanke immer wieder: wie wahnsinnig viel effektiver, schneller und erfolgreicher ich hätte studieren können, wenn ich nur erst gearbeitet und mich dann an der Uni eingeschrieben hätte. in schwachen Momenten hätte ich heulen können beim Gedanken daran, wie vollgepackt mir zu Unizeiten ein Tag vorkam, an dem ich drei Seminare hatte und dann noch in die Unibibliothek musste. Wie mich ein 45minütiges Referat vier Wochen lang umtrieb (davon vielleicht fünf Stunden tatsächlich aktiv). Wie superduperfix das alles gegangen wäre, hätte ich eine Ahnung gehabt, wie arbeiten wirklich geht. In echt, für Erwachsene. Hätte, hätte, Herrentoilette. Dieses Gefühl ist jetzt wieder da, es bezieht sich auf den Haushalt. Fast kein Tag vergeht, an dem ich mir nicht mindestens einmal einbilde, eine freie Stunde täglich würde reichen, um das Haus immer auf Hochglanz zu halten. Mit jahreszeitlicher Deko! Und Kuchen! Und Schnittblumen! Das ist eine meiner neuen Lieblingsphantasien. (Wir wissen alle, dass das nicht passieren würde. Eine freie Stunde mehr am Tag würde einfach so verschwinden, ohne irgendwie sichtbares Resultat, und ich bin und bleibe einfach keine Musterhausfrau, egal wie viele freie Stunden der Tag für mich bereit hält.)

2. Wäscheberge hin, Abwasch her, ich hab mich noch nie so wohl und zuhause so zuhause gefühlt. Liegt das nur an dem niedlichen kleinen Mama-Magnet in dem Stubenwagen? Oder daran, dass sich das Zuhause jetzt mehr wie ein Zuhause anfühlt? Ist es nur die Gewohnheit, weil ich jetzt eben fast immer hier bin? Der kleine schnörchelt, und ich denke, das ist unser Haus. Das ist meine Familie. Hier gehöre ich hin. Und jetzt klinge ich schon wie ein Heimatfilm.

3. Mit meiner Mutter habe ich mich noch nie so gut verstanden wie jetzt. Und ich glaube, es liegt noch nicht mal nur daran, dass ich jetzt "weiß, was sie mitgemacht hat" oder dergleichen. Da ist noch was anderes. Was, weiß ich noch nicht, aber ich sage Bescheid, wenn ich der Sache näher gekommen bin.

4. Über die Hausarbeit hatte ich ja schon geschrieben. Aber noch nicht darüber, dass sie jetzt - ähnlich wie früher in Prüfungsbüffelphasen - manchmal fast verlockend ist. Natürlich ist es toll, mit meinem eigenen Baby zu der gerade per Post angekommenen Christiane&Frederik-CD "Der Cowboy Jim aus Texas" singend durchs Wohnzimmer zu tanzen. Aber es macht plötzlich auch Spaß, ihn kurz L. in die Arme zu legen und in den Keller zu rennen, um Wäsche zu waschen.

5. Singen ist auf einmal nicht mehr peinlich. Genau wie Selbstgespräche (die irgendwie nicht als Selbstgespräche zählen, wenn ich dabei einen Kinderwagen schiebe). Oder Flecken auf dem Pulli. Oder... meine Schamgrenze wurde vermutlich in dem Moment ein für allemal ausradiert, als ich breitbeinig und unten ohne mit einer verrutschten Sauerstoffmaske im knallroten Gesicht auf einem dreckigen Kreißsaalbett kniete und brüllte "da kommt Stuhl! Ich weiß genau, da kommt Stuhl!" trotz der gegenteiligen Beteuerungen der Ärztinnen. Gestern habe ich einfach so einem anderen Menschen an die Nase gegriffen und liebevoll einen Popel entfernt. (Keine Angst, es war Ernst Stavros Popel. Aber der Tag wird kommen, da greife ich reflexhaft der Bäckerin oder dem Postboten an die Nase.)

6. Ich denke ziemlich viel darüber nach, was aus mir und meinem Leben werden soll. Und je länger ich das tue, desto klarer wird mir, dass ich nicht in fünf Jahren noch witzige Broschüren und pfiffige Anzeigen für irgendwelche Produkte schreiben will, die ich manchmal mag, manchmal nicht und bei denen ich manchmal heimlich denke, je weniger davon verkauft wird, desto besser. (Nicht, dass das jemals dazu geführt hat, dass ich mir keine Mühe gegeben hätte... ) Ich weiß, wir Werber haben alle diese Momente, und dann geht der Moment vorbei und wir machen doch weiter. Mal sehen, was aus meinem Rappel wird.



Zwei Monate, Teil 2

... uuuuuund jetzt hat er wieder aufgehört, da bin ich wieder. Denn eigentlich war ich noch nicht fertig. Zum zweimonatigsten Geburtstags seines Säuglings fängt man sich schnell den Ruf ein, ziemlich oberflächlich zu sein, wenn einem dazu nicht mehr einfällt, als nebulös von joblichen Plänen zu faseln und mit seinem (völlig unverdienten) Gewichtsverlust anzugeben.

Denn es gibt noch eine Menge mehr zu erzählen.

War da was? Ein leises Knöttern? Nein, da war nichts.
Das ist z.B. so etwas. Ich hätte nie gedacht, dass ich - Konzentrationsversagerin seit jeher - mich den ganzen langen Tag und den Abend (und genau genommen auch die ganze Nacht) immer zumindest mit der Hälfte meines Gehirns auf genau eine Sache konzentrieren können würde. Auf mögliches Gequäke, auf dieses milchige Rasseln, das laut Hebamme und Kinderarzt so viele Babys nach dem Essen haben, und bei dem ich ganz genau zuhören muss, ob es nicht jetzt gerade umgeschlagen ist in Verschlucken? Husten? Möglichen Erstickungstod? Nein? Egal, was ich tue, immer ist ein Teil - mal kleiner, mal größer - bei Ernst Stavro. Und es fühlt sich noch nicht mal an wie etwas Anstrengendes. Im Gegenteil: Anstrengend wird es schnell, wenn ich das gerade nicht kann.

Wobei: auch das geht. Ich weiß, als Mustermutti ist man verpflichtet zu sagen, dass man körperlich nicht imstande ist, auch nur einen Abend, und sei es auch in einem fabelhaften Restaurant vor einem Teller mit fabelhaftem Essen und mit L. oder den Mädchen als Gegenüber, getrennt von seinem Kind zu verbringen. Doch, bisher geht das. Es tut nur weh, wegzugehen. Und dann zwischendurch immer mal wieder für ein paar Minuten. Und dann muss ich mir innerlich kurz in den Hintern treten und zu mir sagen: diese Momente sind selten genug. Genieß sie gefälligst. Und wenn du das nicht kannst, dann tu so, als könntest du, und früher oder später hast du selbst dich überzeugt und kannst. Wir verabreden jetzt einfach folgendes: wenn du bei Ernst Stavro bist, dann bist du bei Ernst Stavro und gehörst ihm. Und wenn du nicht bei ihm bist, wenn du mal Ausgang hast, dann bist du eben anderswo und genießt es gefälligst. Denn mit einer Mutti, die zehn Kilometer von ihrem Kind entfernt in einem Restaurant sitzt und nur daran denkt, wie es ihm wohl gerade geht und ob er das überleben wird, wenn seine liebevolle und extrem erfahrene Oma ihn betüdelt, ist niemandem gedient.

Genau. Und irgendwann wird diese Botschaft auch in den entlegenen Urviech-Regionen meines Gehirns ankommen.

Ist eigentlich sonst schon mal jemandem aufgefallen, dass sich mit einem Baby jeder Zustand so anfühlt wie für immer? Er brüllt seit zehn Minuten, und ich fühle mich, als wäre ich diesem schrecklichen, nervenzerfetzenden Geräusch jetzt seit Monaten ausgesetzt. Er lacht mich an, und ich denke: was für ein kleiner Sonnenschein, wenn das mal nicht das fröhlichste Baby der Welt ist? Er schläft, und ich lümmele mich aufs Sofa und denke, ist doch ganz entspannt mit Kind, was haben die nur alle? Er will getragen werden, und ich erzähle einer Freundin am Telefon, dass ich ihn wirklich den ganzen, den ganzen Tag herumtragen muss, und in diesem Moment glaube ich das sogar selbst, denn es fühlt sich so an. Alles, wirklich alles fühlt sich so an, als wäre es immer so. Ist das nur mein Fusselhirn? Oder könnt ihr das bestätigen, liebe Ex-Abkürzungsdamen da draußen?

Aber jetzt. Knöttern, eindeutig.
Also schön, bis später. Das Geburtstagskind ruft, und Geburtstagskinder soll man nicht warten lassen.

Zwei Monate

Heute wird Ernst Stavro zwei Monate alt, und nicht zu viel über ihn zu schreiben, ist mir selten so schwer gefallen. Als ich vor ein paar Tagen Fotos an meine Familie geschickt habe, hat meine Schwester geschrieben, er wäre jetzt kein Neugeborenes mehr, sondern ein richtiges Baby, und da hat sie wie eigentlich immer Recht. Jeder Tag fängt damit an, dass er mich aus der Babybay anstrahlt, und nach dem Essen bocke ich ihn gerne mit angezogenen Beinen auf meinen Oberschenkeln auf und unterhalte mich mit ihm. Guu? Bogaa! Ange? Ernst Stavro, das sehe ich doch ganz genau so!

Ich weiß, dass ihr auf Fotos mit Maske wartet, aber das Problem mit der Maske ist, dass ich die anlässlich meines Personalgesprächs in der Innenstadt besorgen wollte, und dieses Personalgespräch - ja, also, dieses Personalgespräch, das ich mir eigentlich für Juni gewünscht hatte und das mir auch versprochen worden war, das hat immer noch nicht stattgefunden. Ja! Ich hab genau so gestaunt! Diesen Montag ist es nun aber fest vereinbart, danach schiebe ich mit ihm zu Fahnen Fleck, wo wir uns mit Masken eindecken, und sollte es diesmal wieder nicht stattfinden, dann habe ich vielleicht gar keinen Bedarf mehr an einem Personalgespräch. (Hier rumort gerade Einiges, was meine berufliche Lebensplanung betrifft. Es gibt tatsächlich Menschen, die sich auch mit 40 noch fragen, was sie mal werden wollen, wenn sie groß sind.)

Gerade habe ich ihn noch mal kurz gestillt, dabei ist er eingeschlafen, und die Gelegenheit nutze ich für einen Post. Sollte ich gleich von oben Geknötter hören, wird er ziemlich abrupt enden. Das mit dem Stillen ist übrigens gerade von einem Reizthema zu einem extrem Haut- und Magenfreundlichen Schmeichelthema geworden. Die Milch wird nicht mehr, aber auch nicht weniger, und wann immer mir und ihm danach ist, lege ich ihn an. Er trinkt dann, obwohl ich die Medelasauger ziemlich schnell nach dem Abgang der Hebamme eingemottet habe, denn auch, wenn er die Technik schnell raushatte, da Milch rauszukriegen, dauert es doch länger, und die Hälfte der Flasche wird immer kalt. Außerdem lag das Plastik nicht so schön in der Hand wie das schwere Glas der Nukflaschen. Und was soll ich sagen? Beim Stillen ist seine Saugetechnik 1a. Er holt sich also, was er kriegen kann, und schläft dann ganz ruhig und friedlich ein. Nicht für lange, nie für lange, außer nachts: immer nur so zwanzig Minuten. So bin ich ziemlich schnell (für meine Verhältnisse) darauf gekommen, dass ich ihn auch zur Beruhigung anlege, wenn gar nichts anderes mehr hilft, und es ist die Wundermethode geworden, wenn ich mitten am Tag mal 20 Minuten für was auch immer brauche, die er absolut nicht im Stubenwagen zubringen will. Fast schade, dass demnächst damit Schluss sein wird, wenn der Hormonzirkus wieder los geht - wobei ich das Gespräch mit meiner Ärztin am 24. mal abwarten werde. Ich weiß nämlich noch nicht, ob es daran scheitern wird, dass mir dann einfach die Milch wegbleibt, oder ob die Medikamente in die Milch gehen und für Ernst Stavro schädlich sind. Ersteres wäre viel einfacher, denn dann kann er immer noch nuckeln und kuscheln. Aber spätestens zur Periode am Start des Zyklus wird sie wohl verschwinden. Dann heißt es Tschüss, Muttermilch!

Hallo, Rotwein. (Ich habe eine Nachbarin, die kann hellsehen. Ich kann das manchmal auch! Ich sehe jetzt schon ganz deutlich einige Kommentare vor mir, die meine nahe Zukunft für mich bereithält!)

Zwei Monate nach der Geburt reiße ich mich also am Riemen, nicht zu viel über ihn zu schreiben. Bleibt die Frage, was sich in dieser Zeit bei mir getan hat?
Die Kugel ist weg. Die Kugel ist sogar mehr als weg. Ich fand es fast ein bisschen schade, dass nach der Geburt so schnell keine Ahnung mehr blieb von der dicken Babykugel, sondern als größtes Souvenir nur der verflixte Dammschnitt. Die Linea Nigra ist noch da, in kräftigem senfgelb, das auf weißer Haut nicht sehr schick aussieht. Auch ein paar erweiterte Äderchen sind mir am Bauch geblieben, die verblassen aber auch jetzt schon und verschwinden im Bikini (zum Glück fand ich immer schon Bikinis wie in den 50ern mit viel Stoff schöner, die entsprechen auch mehr meinem ziemlich tobigen Schwimm- und Plansch-Stil). Und mein Bauchnabel sieht etwas verwohnt aus. Aber der Bauch ist weg und hat sogar noch drei Kilo mitgenommen, so dass ich jetzt weniger wiege als vor der Schwangerschaft. Ich weiß, beim Stillen darf man keine Diät machen, weil sonst der ganze Müll meines 40jährigen Lebens als Gierschlund seinen Weg in die Milch findet, und ich schwöre, ich habe keine gemacht. Das ist einfach so passiert. Was dagegen nicht mehr passiert ist: ich bin sehr glücklich, nicht mehr in die Hose gemacht zu haben. Und weil ich die Pilates-mit-Baby-DVD nur zweimal durchgeturnt habe, weiß ich nicht, ob es daran liegt oder ob die freestyle-Kegelübungen endlich angeschlagen haben. (Ihr kennt das, oder? Samantha macht sie nebenbei, während sie einen Martini trinkt. Man sitzt so da, sieht ganz entspannt aus und tut dabei sekundenlang so, als müsste man Pipi anhalten. Das wiederholt man, so lange man Lust hat. So lange man das jeden Tag macht, wirkt es angeblich.)

Oha, oben regt sich was. Ernst Stavro hat gehustet. Jetzt quengelt er. Bis später, liebe Damen!

Montag, 16. September 2013

FAQ, Teil 1

"Wieso steckst du den Kleinen nicht ins Tragetuch oder die Manduca, wenn er brüllt?"

Ein toller Tipp, wenn's funktioniert. Was es an manchen Tagen tut. Am Samstag habe ich z.B. einen Pflaumenkuchen gebacken, bei dem ich mit Erich in der Manduca in aller Seelenruhe zwei Kilo Zwetschgen erst halbieren und entkernen konnte und dann auf dem Mandel-Rührteig drapieren. Wenn es klappt, denke ich jedes Mal, das mache ich jetzt immer so. Immer! Bis ich ihn dann das nächste Mal vorschnalle und er schon beim Anblick der Manduca in markerschütterndes Gebrüll ausbricht, das auch nicht abflaut, wenn ich ihn dann an Ort und Stelle habe und ein paar Runden mit ihm um den Esszimmertisch gedreht habe. Fünf Minuten gebe ich uns. Brüllt er dann immer noch, betrachte ich den Versuch als gescheitert, befreie ihn aus seiner Not und freue mich auf den nächsten Versuch in ein paar Stunden. Aber dann! Ich hab mit der Manduca schon Wäsche gewaschen und getrocknet (Bügeln traue ich mich allerdings als Grobmotorikerin nicht, mit dem heißen Bügeleisen in der Nähe des Kindes klingt nach keiner guten Idee... davon abgesehen, dass ich mich schon als Streberin fühle, mit Baby Kuchen zu backen, bügeln klingt nach Superhausfrauoverdrive), den Hund spazieren geführt, mir ein Ei gebraten oder abgewaschen. Ich hoffe und bete, dass er irgendwann immer mitspielt, wenn er zum Kängurubaby werden soll.


"Wie läuft das, wenn Du demnächst wieder arbeitest?"

Ich hatte um drei Monate Ruhe nach der Geburt gebeten, die mein wichtigster Auftraggeber mir zähneknirschend gewährt hat. Die sind Ende Oktober um. Ich habe vor, zu meinem Wort zu stehen, auch wenn ich im Moment noch keine Ahnung habe, wie das werden soll und mir bei der Vorstellung auch nicht wenig graust. Wir haben schon vereinbart, dass ich einen Großteil der Arbeit zu Hause tun kann. Das ist einerseits ein Segen, andererseits kann es auch zum Fluch werden, denn ich weiß noch nicht, ob L. und Erich so ohne Weiteres und in letzter Konsequenz verstehen, dass ich zwar am Esstisch sitze und in meinen Rechner hacke, aber eigentlich nicht da bin und jetzt gerade nicht gut Vorsingen, Baby schunkeln und Fläschchen geben kann. Deshalb habe ich mir jetzt überlegt, mich schleunigst auf die Suche nach jemandem zu machen, der zumindest vier bis fünf Stunden an den Arbeitstagen das Babysitten übernimmt. Hat jemand einen Tipp? Bzw., noch besser, eine Telefonnummer für mich?


"Wann geht es wieder los mit der Kinderwunschbehandlung?"

Heute habe ich in der Klinik angerufen. Meine Kinderwunschärztin ist ziemlich heißbegehrt (verständlicher- und berechtigterweise!) und fährt in ihren wohlverdienten Urlaub, so dass ich jetzt erst am 24. Oktober einen Termin bei ihr habe. Aber dann geht es wieder los mit Sprays, Spritzen und Schmiere. Bleiben Sie dran! Allerdings haben L. und ich jetzt besprochen, dass wir uns und dem Hormonfasching ab dann ein Jahr geben. Nicht auf den Tag, aber so in etwa. (Sollten am 24. Oktober 2014 noch zwei kleine, nicht besonders vielversprechende Tiefkühlembryonen auf Eis liegen, dann kommen sie zum Einsatz, das ist klar. Aber 2016 wird uns niemand mehr mit dicken Tüten und um 1000 Euro ärmer die Apotheke verlassen sehen, begleitet von den Segenswünschen und tiefen Verbeugungen der Belegschaft.)



"Was ist eigentlich mit L.?"

Das hier ist mein Blog, nicht L.s, deshalb kommt er hier nur zu besonderen Anlässen vor, denn er hält sein Privatleben lieber aus dem Internet fern. Sogar bei facebook hat er sich abgemeldet! Dass er hier kaum vorkommt, liegt also eher daran, dass ich seinen Wunsch respektiere als daran, dass er sich aus Erichs Versorgung komplett raushält und auf der faulen Haut liegt.

Sonntag, 15. September 2013

Wie Pfannkuchenmix, nur anders

Meine Küchengöttin Nigella hat in einem ihrer neueren Kochbücher ein Rezept für Pfannkuchenmix. Sie mischt Mehl, Backpulver und ein bisschen Zucker und muss dann, wenn die Zeit für Pfannkuchen - in ihrem Leben ist das Sonntag Morgen - kommt, nur noch Eier, Milch und ein bisschen geschmolzene Butter dazu rühren. "Nur noch"? Vielleicht kommt der Moment ja noch, wenn Wolfgang und sein Pfannkuchenhunger wachsen. Aber momentan finde ich noch, von der ansonsten fünfminütigen Zubereitungszeit von Pfannkuchenteig zwei Minuten abzuzwacken, ist den Aufwand nicht wert und schon gar nicht den Platz, den eine weitere Aufbewahrungsbüchse neben meinem Herd schlucken würde. (Ganz zu schweigen davon, dass ich ein Teil mehr regelmäßig von Bolognesespritzern und anderer Küchenschmiere reinigen müsste.) Nigella schwört jedoch darauf: morgens, wenn sie eigentlich nicht in der Verfassung für 50er-Jahre-Supermutti-Showeinlagen ist (und frische Pfannkuchen zum Frühstück riechen definitiv danach), macht der schon fertige Pfannkuchenmix und das Gefühl, schon ein Stück des Weges hinter sich zu haben, den entscheidenden Unterschied zwischen Pfannkuchen für die Kleinen und Ich-glaub-es-hackt.
Pfannkuchenabkürzungsmix gibt es in meiner Küche also noch nicht. Aber in Bezug auf so ziemlich alles andere habe ich das Prinzip inzwischen mit Haut und Haaren geschluckt. Wolfgang ratzt zwar nachts wie ein sehr müder Engel, aber tagsüber ist es so gut wie unmöglich, ihn zu mehr als zehn Minuten Schlaf am Stück bzw. zehn Minuten friedlich und zufrieden im Wagen liegen am Stück zu bewegen. In diesen zehn Minuten spielt sich der Rest meines Lebens ab. Sobald sich seine blauen Augen schließen, bin ich schon auf dem Weg in ein anderes Stockwerk, um an einem vorbereiteten und beiseite gestellten Projekt weiter zu werkeln. Kuchen backe ich so wie Nigella Pfannekuchen: ich wiege Zucker und Mehl und gemahlene Mandeln ab, stelle die Butter in Stückchen auch schon mal am Vorabend raus oder fette die Form acht Stunden, bevor ich den Teig einfüllen kann. Denn ich weiß genau, es gibt nicht die allergeringste Chance, tagsüber 25 Minuten am Stück zu haben, um es einfach in einem Rutsch zu tun - dreimal zehn Minuten sind aber drin. Das kann auch gründlich schief gehen, gestern z.B. hatte ich die Butter vorher vergessen und sie dann in den vorheizenden Ofen gestellt, damit sie weich wird. Ja nun. Zum Glück (und zu L.s ewigem Ärger) kann ich keinen Supermarkt ohne mindestens zwei Stück Butter verlassen, ich wusste immer, es kommt der Tag, wo ich das Extrastück brauche, und gestern war er da! Na? Na? (L. sagt, das ist auf 40 Jahre gerechnet eine wirklich miese Rechthabe-Quote.) Dieser Post hat bisher drei Zehn-Minuten-Einsätze gefordert, mal sehen, wie viele es noch werden. Eigentlich funktioniert das alles ganz gut, nur dass die zehn Minuten manchmal keine zehn Minuten sind und das Gedächtnis einer wenn auch nur teilstillenden Mutter leider dazu neigt, angefangene und jäh unterbrochene Dinge einfach komplett zu vergessen. Dann kommt es vor, dass ich zwei Stunden später zu meiner bereits mit Zahnpastaschaum umhüllten Zahnbürste zurückkehre. Oder nach zwei Stunden einen schicken Steinkohleauflauf aus dem Ofen ziehe. Oder erst gegen zweiundzwanzig Uhr merke, dass ich heute nur links Mascara getragen habe. Oder - Tierfreunde wegsehen - irgendwann aus dem Fenster gucke und sehe, dass ich den Hund draußen vor dem Haus angeleint hatte, um schnell nach drinnen zu witschen und Wolfgängchen in seinen Wagen zu legen und rauszuschieben, um dann mit den beiden eine Runde durch die Schrebergärten zu schieben, und das brave Tier sitzt da die ganze Zeit und denkt sich vermutlich seinen Teil. War noch was? Hier sind gerade wieder zehn Minuten um.

Samstag, 14. September 2013

Laternenumsturz

Ich habe ziemlich feste Vorstellungen davon, wie manche Dinge zu sein haben und wie nicht. Ein Laternenumzug z.B. ist so ein Ding. Für mich muss ein Laternenumzug am Martinstag stattfinden, also im tiefsten November. Dunkel muss es sein und kalt. Er sollte nicht nur durch Wohnviertel führen, sondern durch den Wald, über die Landstraße oder über breitere Spazierwege. Ein Reiter sollte dabei sein, auf einem gemütlichen Pferd, das sich von den Kindern streicheln lässt und ab und zu schnaubt. Außerdem und noch wichtiger: ein Bläserchor sollte mitlaufen und Martinslieder spielen, vielleicht auch schon ein paar Weihnachtslieder, denn bald ist Advent. Zwar wird es immer einige ängstliche Eltern geben, die ihren Kindern nur elektrische Kerzen erlauben, aber es sollte auch einige Glückspilze geben, die in ihrer Laterne eine echte Kerze haben und deshalb andächtig und höllisch aufpassen müssen, damit sie nicht Feuer fängt. (Passiert das doch, ist es auch kein Drama: sie kann im Gras am Wegesrand friedlich in Flammen aufgehen, und das Kind passt nächstes Jahr, falls überhaupt möglich, eben NOCH besser auf.) Überhaupt, die Laternen: es sollten natürlich Monde und Sterne dabei sein, aber auch ein paar selbstgebastelte aus Camembertschachteln, Pappmaché oder Wachspapier. Und der ganze schöne Umzug sollte an einem Platz enden, an dem ein paar Feuerwehrmänner schon ein großes Feuer entfacht haben. Dort sollte es dann für die Eltern Glühwein geben und für die Kinder Kinderpunsch, und außerdem für jeden einen Stutenkerl aus Rosinenbrötchenteig mit einer Tonpfeife im Mund. So würde also ein Umzug aussehen, wäre ich Herrscherin der Welt und alleinige Bestimmerin über alles. Darauf kann ich in Hamburg lange warten. Gerade ist ein Umzug an unserem Haus vorbeigezogen. Es ist nicht nur nicht annähernd November, es ist noch nicht mal dunkel! Vorweg kam kein Pferd, sondern ein Feuerwehrauto. (Damit sind Spazierwege schon mal raus aus der Wegplanung.) Dass in Hamburg Laternenumzüge nicht von stimmungsvollen Bläsern, sondern von einem Spielmannszug mit Glockenspiel und Pfeifen begleitet werden wie ein Faschingsumzug, regt mich jedes Jahr wieder auf. Weit und breit war keine echte Kerze zu sehen. Ich könnte mir sogar vorstellen, man hätte in dieser Stadt Schwierigkeiten, eine Laternenhalterung zu kaufen, die für eine echte Kerze gedacht ist. Und obwohl ich natürlich nicht mitgelaufen bin, bin ich sicher, dieser Unmzug endet nicht an einem Feuer, sondern an einer Kreuzung vor dem Einkaufszentrum. Trist ist das. Ganz trist. Und trotzdem war ich hinter meinem Fenster ganz fiebrig vor Vorfreude, in einem Jahr mit Günther im Kinderwagen mitzuschieben. (Wird einer aus der Hundertschaft Feuerwehrmänner, die diesen brandgefährlichen Umzug absichern, uns mit dem Schlauch über die Straße pusten, wenn wir eine echte Kerze einschmuggeln?) Das kleine Kerlchen hat diese Eigenschaft, meinen So-und-nicht-anders-Panzer zu knacken. Was kommt als Nächstes? Muscheln mit Tomaten? Fritten mit Ketchup statt Mayo? Kinderlieder im Auto?

Dienstag, 10. September 2013

Einige weitere Beobachtungen einer ehemaligen Abkürzungsdame in ungeordneter Reihenfolge.

1. Diese komischen schrägen Dinger, die an der Öffnung der Pre-Milch-Packung angebracht sind, die sind dazu da, den Löffel daran abzustreifen und damit zu einem gestrichenen Löffel wie verlangt zu machen. Man braucht also kein Messer oben auf die Packung zu legen, von dem dann den ganzen Tag Milchpulver in die Küche rieselt und sich in jede Ritze (unter die Kante des Herdes, in den alten Bierkrug, in dem ich die Messer aufbewahre, auf die Bratkartoffeln daneben) klebt. Schön, dass ich das schon nach sechs Wochen gemerkt habe.

2. Anfangs war es für mein Selbstwertgefühl ein brutaler Tiefschlag, plötzlich auf Mutterschutzgeld angewiesen zu sein, statt tüchtig in die Welt hinauszuziehen und es gefälligst selbst zu verdienen. Aber das legt sich. Ziemlich schnell sogar.

3. Man darf als junge Mutter so viel und so heftig über seine Kinder meckern, wie man nur mag. Hauptsache ist scheinbar, das Gemecker endet in Dur. Also nach dem Schema: "Manchmal könnte ich die Kleinen umbringen, mein Leben erscheint mir wie ein dampfender Misthaufen, ich hab mich noch nie so angeschmiert und einsam und wertlos gefühlt, Kinder zu kriegen, war die größte Scheißidee meines Lebens, gestern habe ich Kai-Jonas laut angeschrieen: "Was willst du denn, du Arschloch?", dass die Wände gewackelt haben, aber wenn ich in Kai-Jonas' blaue Augen sehe und er mich anstrahlt, dann weiß ich genau, das ist es alles mehr als wert." So sind die Regeln, egal, ob man eine Babykolumne schreibt oder einen Blog. Was passiert, wenn man dagegen verstößt, weiß ich nicht, denn meines Wissens hat noch nie jemand dagegen verstoßen.

4. Musik hilft zumindest bei Norbert wie nichts anderes. Wenn nichts mehr hilft, auch nicht Trockenstillen, dann hilft Vorsingen. Ob das jetzt ein Zeichen ist, dass er besonders musikalisch oder besonders unmusikalisch ist? Das kann nur die Zeit zeigen.

5. Essen kochen geht ab und zu. Dann allerdings nicht Essen essen. Ich habe die Wahl, entweder zu kochen und dann hilflos dabei zuzusehen, wie sich erst eine Haut auf dem Teller bildet und dann irgendwann die erste Fliege darauf landet, eine der frustrierendsten Erfahrungen an dem an Frustrationen nicht gerade armen Tag als Mutter eines Säuglings. Oder mir etwas zu bestellen und es dann irgendwann auch tatsächlich zu essen (wenn auch nicht notwendigerweise an dem Tag, an dem es geliefert wird). Backen dagegen ist ok: viele Kuchen sind innerhalb von 15 Minuten im Ofen, und wann ich sie dann esse, bleibt mir überlassen. Und gibt es ein besseres Gegenmittel gegen tiefste Verzweiflung gepaart mit Müdigkeit und Unterzuckerung als ein mit der Hand in den Mund geschaufeltes Stück Kuchen?

6. Ergänzend zu 5: ein sicheres Mittel, mir den Abend zu versauen, ist, etwas richtig Schickes und Teures zu kochen, das auf den Punkt gegart und gegessen werden muss (Steak. Ein schönes, dickes Steak aus Biofleisch. Dazu, wenn es richtig lustig werden soll, selbst auf dem Wasserbad aufgeschlagene Sauce Bearnaise. Hihihihi! Das war komisch), und dann noch eine noch nie gesehene DVD einzuschieben. Ein brüllendes Kind kann noch deutlich mehr Verzweiflung verursachen, wenn man über seine Schulter hinweg zwei Stunden lang auf das DVD-Menü und das erkaltende Steak in einer Pfütze aus Saucenpudding starrt.

7. Mein Bauch ist wieder einigermaßen flach, ich renne die Treppen hoch und runter, und vom Drei-Nummern-zu-enger-Tanga-Gefühl im Schritt ist nur ein zu-großer-und-zu-trockener-Tampon-Gefühl geblieben. Aber gestern habe ich mir zwei mal in die Hose gemacht. Einmal musste ich niesen und war nicht darauf vorbereitet (vorbereitet heißt: ich stehe aufrecht, ich überkreuze die Füße und spanne jeden Muskel unterhalb des Zwerchfells an) und einmal bin ich schnell fünf Schritte gerannt, um noch bei grün über die Fußgängerampel zu kommen. Es war nicht viel, eine Slipeinlage wäre damit fertig geworden (nur, dass ich leider keine an hatte). Ich weiß, dass das eine Gelegenheit ist, zu der Ratgeber und Zeitschriftenautorinnen gewöhnlich sagen "Dein Körper hat unglaubliches geleistet, gib ihm Zeit, das ist ganz normal, das geht fast allen Frauen so nach der Geburt". Mein Kopf weiß das, Danke. Aber solches Zureden hilft gegen die grenzenlose Scham ungefähr genau so gut wie es helfen würde, mir zu erzählen, der weibliche Körper wäre etwas ganz Natürliches und kein Grund, rot zu werden, wenn ich gleichzeitig gezwungen wäre, nackt vor einer Bande vierzehnjähriger Monster auf und ab zu flanieren.

8. Zum Glück hatte ich mir schon vor einem Weilchen eine DVD bestellt, die Rückbildungs-Pilates mit Baby verspricht. Nuja. Die ersten zehn Minuten des Programms soll das Baby auf einer Krabbeldecke mit Bauklötzen spielen. Dann sieht man, wie es um die beiden Vorturnerinnen herumkrabbelt und sich an einer imposanten Buddha-Statue auf die Füße zieht. Das Baby, an dem das Programm demonstriert wird, ist bestimmt ein Jahr alt und wunderbar imstande, sich selbst zu beschäftigen, während seine sportlich durchtrainierte Mutter, die sicherlich keinerlei Bedarf mehr für Rückbildung hat, schnell ein paar Übungen macht. Ob diese DVD also mein kleines Pipi-Problem in den Griff kriegen wird, weiß ich noch nicht. Ich gebe ihr aber noch die eine oder andere Chance. Gestern habe ich außerdem L. in den eindringlichsten Tönen von meinem Problem erzählt und ihn gebeten, alle zwei Tage für 40 Minuten Norbert zu halten, während ich gegen den Verfall ankämpfe. "Ja", sagte er. "Oder du legst ihn so lange in den Stubenwagen."

Freitag, 6. September 2013

Schöner, schöner Mist.

Die Oma kommt nicht wegen schlechter Laune, mit der sie uns nicht anstecken will. Läuft. Ich versuche es trotzdem, dann eben häppchenweise. Wie durch ein Wunder scheint Baby nämlich heute weniger quengelig und mamasüchtig zu sein als noch gestern, vorgestern und vorvorgestern. Also los, so lange dieses gespenstische Phänomen anhält.

Ich habe nachgedacht. Würmchen ist irgendwie keine schöne Bezeichnung für dieses ausgezeichnete Baby. Zumal er ja irgendwann auch wachsen wird. Und zumal ich immer noch keine Zeit gefunden habe, seinen echten Namen aus dem Blog zu entfernen. Also einfach wieder dahin zurückzukehren, kommt aber leider auch nicht in Frage, denn irgendwann (vielleicht sogar noch heute?) will ich das schon noch durchziehen. Anonym soll er aber auch bleiben, und ein möglicher Spitzname soll nicht zu viel Macht bekommen, denn sonst nennen wir ihn irgendwann selbst nur noch so, und wozu hat er so einen hübsch spitznamentauglichen echten Namen? Ich werde darum ab heute ausprobieren, ihn einfach jeden Tag anders zu nennen. Immer bei einem Jungsnamen, der garantiert sowas von nicht seiner ist. Heute ist dieser Name Jürgen. Hallo, Jürgen! Jürgen liegt auf dem Sofa, spielt mit seinen Händen und freut sich genau wie ich, dass er auf der Welt ist.

Oha. Jetzt freut er sich nicht mehr. Kurze Unterbrechung also und gleich Themenwechsel.

Eigentlich hatte ich mir ja vorgenommen, nach dem Französischen Nervensägen-Buch kein anderes Ratgeberbuch mehr zu kaufen. Jetzt kommt unwahrscheinlicherweise Ratgebermuffel L. mit "Oje, ich wachse" vom Hundespaziergang zurück, es lag auf dem Grabbeltisch der Buchhandlung für drei Euro. Ich bin jetzt ca. auf Seite 90 und habe das Gefühl, große Teile des restlichen Buches kann ich jetzt schon vorhersagen: das Kind wächst und entwickelt sich in Schüben. Schübe bringen es voran, sind aber auch anstrengend und beunruhigend. Während der Schübe ist das Kind darum quengelig und braucht vor allem viel, viel Körperkontakt. Vor allem (so läuft es scheinbar mit Kindern...) mit Mama. Das bin dann wohl ich. Dazu sagen dann verschiedene Damen, die alle so gleich klingen, dass ich befürchte, die Autoren haben sie sich ausgedacht, Dinge wie "ich komme zu nichts mehr. Immer ist er auf meinem Arm. Das Gebrüll! Ich werde bald wahnsinnig. Gestern habe ich ihn deshalb ganz schön zackig auf den Wickeltisch gelegt. Da bin ich vor mir selbst erschrocken." Bevor jetzt einige schon wieder zu einem gepfefferten Kommentar ansetzen, ich will das Buch gar nicht zerreißen! (Dazu ist es auch zu dick.) Es wiederholt sich nur sehr viel, aber manche Wahrheiten kann man ja nicht oft genug wiederholen. Es kann gut sein mit den Schüben, kann sogar sehr gut sein, dass Jürgen gerade einen hatte. (Nachdem er eine Woche zu spät dran ist, müssen wir vom Timing der Schübe immer eine Woche abrechnen, das käme sogar hin.) Dann verdanken ich und meine Gorilla-langen Arme die letzten Tage diesem Schub. Jürgen schlug morgens um halb acht die Augen auf und fing an zu brüllen. Gut, dachte ich, er wird wohl Hunger haben? Kaum war der letzte Schluck Fläschchen unten, brüllte er weiter. Das einzige, was half, war entweder trockenstillen oder getragen, besungen und betanzt werden, und selbst so gab es Grund genug zum Weinen. Kommt mir jetzt nicht mit der Manduca, so schlau war ich auch, er war nicht gut zu sprechen auf die Manduca oder auf das Tragetuch. So ging es den ganzen Tag bis Abends um halb zehn. Dann allerdings hat er nach den Anstrengungen des Tages so richtig herrlich geschlafen wie ein Büroarbeiter in den Ferien auf dem Bauernhof: mindestens bis morgens um halb fünf. Wenn ich etwas aus dem Wiederholungsbuch gezogen habe, dann die tröstende Erkenntnis, dass so etwas nicht so bleibt und dass es nicht meine Schuld ist (verkorkste Bindung, nicht gestillt, da haben wir die Bescherung). Und das ist doch schon eine Menge. Aber nun ist trotzdem Schluss mit Ratgebern. Hörst du das, L.? Falls Du wieder mal hier rein liest?

Dann hab ich noch zu berichten, dass die liebe Blogkollegin Schoko NL zu Besuch war. Und obwohl ich eigentlich diese amerikanische TV-Sitte nervtötend finde, immer aus allem irgend eine Lehre zu ziehen, habe ich trotzdem genau wie aus dem Wiederholungsbuch auch daraus etwas gelernt: dass es ganz schön schön ist, zwei Kinder zu haben, die im Alter dicht beieinander sind, die sich gern haben und zusammen Quatsch machen und ein ganzes Haus mit Gequieke und Gekicher füllen können. Ich hatte Schokokuchen gebacken (welchen auch sonst?), mich schrecklich gefreut und hoffe jetzt, dass das nächste Treffen nicht wieder erst in vier Jahren stattfindet. Hat jemand Erfahrung damit, wie kinderfreundlich Amsterdam als Reiseziel ist? Ich könnte mir vorstellen, sehr? Und ich glaube, ich werde nicht mehr so sehr lange warten mit dem Anruf bei meiner Kinderwunschärztin.

Tatsächlich planen wir die erste Flugreise mit Jürgen in eine Stadt, die ich als praktisch kinderfrei in Erinnerung habe: nach Wien. In den letzten Jahren war ich bestimmt vier, fünf Mal in Wien, und ich kann mich nicht daran erinnern, Menschen mit Kinderwagen oder Tragegeräten in Restaurants oder Kaffeehäusern gesehen zu haben. Anders als z.B. in Kopenhagen, wo man als Abkürzungsdame vor lauter Kinderwagen ganz rote Augen bekommt, scheinen viele Wiener ihre Kinder zuhause aufzubewahren. Oder vielleicht hatte ich damals noch kein Auge dafür? Tragischerweise ist uns auch erst nach dem Buchen klar geworden, dass unsere Lieblings-Wien-Unternehmungen alle mit Baby nicht funktionieren. Weder werde ich stundenlang mit ihm bei Prückl sitzen können (es wird mit viel Freude geraucht) noch im Akademietheater. Also werden L. und ich uns abwechseln, einer schiebt mit ihm den Ring entlang und durch die Parks oder lümmelt sich bei schlechtem Wetter im schicken Hotelzimmer oder im Museum, der andere nutzt die Zeit, um sich mit dem schönen Wiener Essen und der schönen Wiener Kultur druckzubetanken. Liebe Damen aus Österreich, hat vielleicht für diese Reise eine einen Tipp?

So viel erst mal von mir und Jürgen.








Donnerstag, 5. September 2013

Mama kommt gleich wieder. Baaaaald, gaaaanz baaaald.

Keine Angst, niemand hat mich vergrätzt. Ich bin noch hier. Ich bin nur gerade nicht Herrin über meine Zeit. Oder meine Arme. Oder geschweige denn meine zehn Finger. Und im ein-Finger-System mit sechs Kilo Gewicht am Hals, das dazu auch noch schwer beleidigt ist, sobald es auch nur den kleinsten Verlust an Aufmerksamkeit registriert, schreibe ich nicht so besonders flott und auch nicht besonders gern. Ich verspreche aber, ich melde mich bald, ganz bald. Denn die nächsten Tage wird eine sehr hingebungsvolle Oma immer in unserer Nähe sein. Und sobald die mit Würmchen auf den Armen glücklich und stolz davonschwebt, werde ich kurz durchatmen, den Rechner aufklappen und schreiben, dass es nur so knattert. Ich freu mich schon sehr darauf.