Dienstag, 30. April 2013

Für diesen Tag habe ich heute leider kein Foto

Glitschi-glitschi-glitsch. "Ihr Kind hat aber einen ganz schönen Eierkopf." Glitschidiglitschi-glitsch. "Aber das MUSS natürlich nichts heißen."

Aha. Wieso... na, egal.

Nein, nicht egal: bin ich die erste nervöse Schwangere, die auf dieser Liege liegt? Was heißt das jetzt? "Muss nichts heißen..." Kann aber? Und wenn ja, dann was? Heißt das nur, das Kind kommt nun doch nicht wie erhofft nach L., sondern nach seiner eierköpfigen Mutter? Heißt das, da ist irgendwas im Argen und jetzt hilft nur noch Daumen drücken? Wieso erzählt sie mir sowas? Und dann ist es auch noch zierlich. Zierlich! Letztes Mal war es noch "ein Brummer". Warum bin ich in solchen Momenten nie geistesgegenwärtig genug, zu fragen, innerhalb welcher Spanne wir uns hier mit den Normwerten bewegen? Liegen zwischen Brummer und zierlich jetzt 100 Gramm oder 400? Ein Kilo? Liegt es am Ende nur wieder an dem blöden Kartoffelsalat-Ultraschall? Und wenn der so schief misst, wieso machen wir das hier überhaupt? Ich steige doch auch beim Arzt nicht auf eine Waage, die mal zehn Kilo mehr, mal zehn Kilo weniger misst? Und auf einmal ist mein großes starkes Kind zierlich und hat einen Eierkopf.

Gestern, um es abschließend noch mal zusammenzufassen, war jedenfalls eher einer der mieseren Tage dieser Schwangerschaft. Nicht nur deshalb, weil ich insgesamt vier Stunden in Warte- und Sprechzimmern zugebracht habe und eine weitere auf dem Weg dahin und deshalb am Ende nur einen halben Tag mit meinem Auftraggeber abrechnen konnte, was mich eine solide Anzahlung auf den Kinderwagen gekostet hat.

Aber um beim Thema zu bleiben: im Krankenhaus hatten sie mir vorher telefonisch versprochen, in einer halben Stunde wäre ich mit der Anmeldung durch, sofern ich meine Papiere am Start hätte. Hatte ich. Trotzdem saß ich dann da und saß und saß, und die Laune verfinsterte sich zusehends, nicht nur, weil neben mir ein 65jähriger Unsympath mit seiner 25jährigen Freundin saß, die hochschwanger, mit so vielen Streifen wie ein Zebra und bei 12 Grad bauchfrei unterwegs war. Die erste Stunde habe ich gehofft, er wäre ihr Vater oder Opa. Dann hat er ihr den Arm um die Schulter gelegt und an ihrem Ohr gekaut. Tja nun. Das war wieder eine der Situationen, die man nicht direkt nach einer Abkürzungspleite erleben will. Die Ärztin, die schließlich mit mir sprach, musste sich erst doppelt telefonisch absichern, bevor sie einverstanden war, mich erst mal für eine normale Geburt vorzumerken. Zu hoher Blutdruck, 40, Konisation, schwanger nach Kinderwunschbehandlung, "zierliches" Kind? "Vermutlich werden wir es früher holen müssen. Und bis dahin engmaschig überwachen." Mein Blutdruckmedikament will sie dann auch noch mal umstellen. "Ihre Frauenärztin weiß da aber auch Bescheid." Weiß sie? Hat sie gar nichts von gesagt.

Nee nee nee, das war kein so guter Tag. Und ich hatte mich ehrlich auf die Anmeldung gefreut. Ein Meilenstein! Abkürzungsflora mit dem Gurkenbauch marschiert in ein Krankenhaus, der Bauch ist zwei Minuten vor mir da, und ich melde mich allen Ernstes für eine Geburt an. Nicht eine, sondern meine. Ich dachte, ich lasse eine Flasche alkoholfreien Sekt springen! Danach war mir dann irgendwie nicht mehr. Wieso bin ich eigentlich so leicht aus der Spur zu werfen? Woher diese Stimmungsschwankungen? Wieso reicht eine etwas unsensible Bemerkung, und ich stehe kurz vor einer Panikattacke?

Ach ja. Da war ja was. Mein kleiner, zierlicher, süßer Eierkopf.

p.s. jetzt habe ich noch mal nachgesehen in einer Tabelle. In der 30. Woche wiegen Babys durchschnittlich 1300irgendwas Gramm. Meins wiegt laut Kartoffelsalat-Ultraschall 1267. Ich würde mal sagen, nichts, was das eine oder andere Stündchen Ruhe und der eine oder andere Burger nicht hinkriegen können?

Montag, 29. April 2013

Gemischte Neuigkeiten

Die guten Nachrichten sind: Würmchens Proportionen sind sehr gut, der Herzschlag genau so, wie er sein soll, und die leichten Bewegungen und Kontraktionen der Gebärmutter laut Wehenschreiber auch. Ich habe meine Antikörperspritze - die angeblich wichtigste dieser Schwangerschaft - intus, es hat trotz zwei Minuten langer Vorrede der Sprechstundenhilfe überhaupt nicht gepiekst, und mein Gewicht und mein Blutdruck sind auch auf den Punkt.
Nicht so doll dagegen ist, dass mein Muttermund sich "zu weich und zu kurz anfühlt", auch wenn er laut Ultraschall mit 3,57 cm genau die gewünschte Länge hat - Konisation hin oder her. Das bedeutet ab jetzt Schonung. Kein Sport, keine Hausarbeit, keine Hundegänge, keine Gewaltmärsche. Weil ich nicht körperlich arbeite, darf ich das auch weiter tun (ausgerechnet). Und was ich nach der vierunddreißigsten Woche treibe, ist ihr auch egal - nur jetzt, jetzt gerade heißt es nach Feierabend und an den freien Tagen: ab aufs Sofa. Vor ein paar Tagen hab ich mir das noch gewünscht, aber nicht nur, dass mir der unangenehmste Teil meiner Aktivitäten erhalten bleibt, ich hatte auch nicht daran gedacht, dass wir einen netten Kurzurlaub in Berlin und einen bei meinen Eltern vor der Nase haben, dass jetzt endlich Frühling ist und ich gerne draußen wäre, um die Gartenhäuschentüren zu streichen, die Beete zu harken und mit den Hunden durchs Moor zu streifen, und dass Anfang Juni eine Hochzeit ansteht, auf der ich eigentlich vorhatte zu tanzen.

Also schön. Machen wir das Beste draus. Jetzt kann L. zeigen, was er am Herd so draufhat. Vielleicht komme ich endlich durch mit der fünften Staffel 30Rock. Die 17 angefangenen Bücher auf meinem Nachttisch kommen danach an die Reihe. Und das Schöne: wenn ich das richtig sehe, ist die Schonfrist in dem Moment vorbei, in dem der Mutterschutz beginnt - Ende Mai, Anfang Juni. Und vielleicht sieht beim nächsten Termin in zwei Wochen ja auch schon wieder alles ganz anders aus.

Freitag, 26. April 2013

Liebes Würmchen,

heute beginnt unsere dreißigste Woche zusammen. Und weil es gerade so schön harmonisch und friedlich hier war, hat deine Mutter ein neues Tool entdeckt, um sich in den Wahnsinn zu treiben: eine meiner Apps hat einen Kick Counter. Das ist ein Mini-Programm, das man startet und in dem man dann für jeden Tritt von Dir einmal klickt. Komme ich innerhalb von zwei Stunden nicht auf zehn Kicks, bin ich angewiesen, mir Sorgen zu machen. Als ob man mich dazu erst anweisen müsste. Zum Glück bringt diese Woche auch jede Menge Aktivitäten mit sich, mit denen ich mich 1a davon ablenken kann: dieses Wochenende kommen die Damen (die, denen du in der Zukunft so viele nette Wochenenden bei Oma Hamburg zu verdanken haben wirst), und am Montag haben wir endlich mal wieder ein Date - Ultraschall auf der Kartoffelsalatmaschine meiner Frauenärztin, yeah! Anschließend melden wir uns zur Geburt an. Und dann am besten auch gleich zum Geburtsvorbereitungskurs. Ich habe immer noch überhaupt keine Angst vor der Geburt - wobei ich sicher bin, das kommt noch, und zwar mit Wucht - ich werde nur langsam ungeduldig und drängelig, wann es endlich so weit ist. Natürlich sollst du das nicht als Aufforderung verstehen, dich schon mal auf den Weg zu machen. Aber ich wüsste zu gerne, wie du aussiehst, was du für einer bist, wie sich das anfühlt, dich zum ersten Mal im Arm zu halten, und was danach alles kommt. Außerdem wird es langsam eng da drin, das kann dir doch auch nicht entgangen sein? Und manche Dinge, deren Abwesenheit ich jetzt sieben Monate lang ziemlich lässig abgebürstet habe, fangen an, mir zu fehlen. Gestern hatte ich plötzlich ein Tränchen im Auge, als mir im Park eine Joggerin entgegen kam - Laufen und Schwitzen würde ich auch mal wieder gern. Oder die leckeren Fritten von der Biopommesbude mit selbstgemachter Mayo. Oder, wo wir schon bei Mayo sind, die Knoblauchmayo, die es bei meinem Lieblingsportugiesen vorweg gibt. Und dann kommt nach dazu, dass ich mir inzwischen - jetzt, wo ich nicht mehr täglich Angst habe, du könntest schon wieder futsch sein - so viel ausgemalt und vorgestellt habe, dass es fast so ist, als wärst du schon dagewesen und jetzt vorübergehend in den Ferien, und diese Ferien werden mir langsam zu lang. Was treibst du eigentlich die ganze Zeit da drin? Außer Treten und Boxen (bzw. fein stille halten, sobald ich den Kick Counter aktiviere)? Kann das denn so viel spannender sein, als Zeit mit deiner Mutter zu verbringen? Und deinem Vater? Und deinen Hunden? Du kannst dir nicht vorstellen, was ich alles mit dir vorhabe!

Laut Kick-Counter-App sind es jetzt noch 77 Tage. Aber länger nicht, hörst du?

Ungeduldige Grüße von
deiner Mutter

Donnerstag, 25. April 2013

Würmchen, bist du groß geworden.

Morgen beginnt die dreißigste Woche. Ok, wo finde ich jetzt einen Arzt, der mir schnell, sauber und zuverlässig ein Stück Gummi in die Bauchdecke einsetzt? Ich habe keine Ahnung, was da noch kommen soll. Nicht, dass der Bauch von außen schon so gewaltig aussieht. Aber ich fühle mich (spätestens seit dem Verzehr dieses böhmischen Todespuffers) egal ob hungrig oder vollgegessen immer so, als würde ich gleich platzen. Noch eine Minute, dann ist es so weit. Da geht nichts mehr. Wer hätte gedacht, dass acht Kilo Gewichtszunahme so viel sind? So unfassbar viel? Wenn es wirklich die empfohlenen 13 werden, kann ich am Ende ganz froh über dicke Hand- und Fußgelenke sein, denn jedes Gramm, das ich nicht auch noch unter meine Bauchdecke quetschen muss, ist eine echte Erleichterung. Außerdem habe ich spätestens jetzt den Entschluss gefasst, bei aller Liebe zum Essen niemals richtig dick zu werden. Ich habe schon immer sehr dicke Menschen bis fast zu Tränen bewundert, die sich trotz ihrer riesigen Bäuche zu Sport - und dann auch noch Ausdauersport - aufraffen. Ich gehe durch mein Fitnessstudio, sehe ein Frau von 130 Kilo auf dem Laufband und muss mich schnell abwenden, sonst muss ich weinen. Wie anstrengend das sein muss, wie frustrierend, bestimmt auch wie schmerzhaft, wie dämlich man sich dabei vorkommt und wie viel Mut und Tapferkeit und Todesverachtung dazugehört, es trotzdem zu tun, kann ich mir überhaupt nicht vorstellen. Bzw. konnte ich mir überhaupt nicht vorstellen, denn seit Neuestem gehöre auch ich zu denen, die erbleichen bei der Nachricht, dass morgen der Fahrstuhl den ganzen Vormittag ausfällt und das bedeutet, dass ich in den sechsten Stock zu Fuß muss. Noch vor einem halben Jahr war ich stolz darauf, jedes Mal freiwillig die Treppe zu nehmen und die Strecke in unter einer Minute zu schaffen. Vorbei. Auch wenn ich in Wien überglücklich und dankbar dafür war, immer noch viele Stunden jeden Tages mit anstrengendem Großstadt-Gelatsche zubringen zu können, die Hundespaziergänge wuppe und sogar ab und zu meine Gymnastik mache, wird die Aussicht auf Aktivität immer weniger verlockend. Egal, wie nett die geplante Unternehmung ist, ich bin trotzdem sehr froh, wenn sie erst hinter mir liegt. Würde mir jetzt jemand sagen: 'Flora, wir haben uns alle nochmal beraten und nach ärztlicher Konsultation beschlossen, den Rest dieser Schwangerschaft bleibst Du bitte auf dem Sofa liegen. Babyzimmer, Reisen, Job, Hunde, Haushalt - überlass einfach alles uns, mach Dir keine Gedanken! Und welche Sorte Ben&Jerry's können wir Dir vom Supermarkt mitbringen?' dann wäre ich glatt dabei und würde vor Freude in die Hände klatschen. Der Steiß bröckelt, ich schnaufe wie eine Dampflok mit verstopften Ventilen, ich mag nicht mehr, weder können noch müssen. Und dem nächsten Kollegen, der mir irgendwelche Termine für August unterbreiten will, obwohl ich doch mit deutlich sichtbarem Riesenbauch zwölfmal täglich an seinem verglasten Büro vorbeiwatschele, wickele ich sanft mein Stillkissen um den Hals und erwürge ihn.
Habe ich neulich noch meine Ubahn-Mitfahrer so gelobt? Jetzt ist es so weit: eigentlich bin ich inzwischen deutlich sichtbar die, für die man einen der markierten Plätze frei macht. Das ist bisher noch null mal passiert. Jede zweite Fahrt verbringe ich im Stehen, während sich ziemlich gesund aussehende Männer sitzend mit ihrem Smartphone beschäftigen. Vielleicht tue ich ihnen Unrecht, und die haben alle ein Holzbein. Vielleicht sollte ich auch energischer auf meinem Recht bestehen und bin selbst Schuld. Vielleicht sind das auch einfach rücksichtslose Arschlöcher, denen hoffentlich niemals jemand einen Platz anbietet, wenn sie mal alt und klapprig sind. Oder im achten Monat.

Was ist sonst noch?

Ich hab das dumpfe Gefühl, der Ton hier verschärft sich gerade etwas und wird sich noch weiter verschärfen. Die Frage ist nicht, ob das passiert. Auch bei mir, der bisher die Babywelt von Innen einigermaßen fremd war, ist inzwischen angekommen, dass da draußen einiges los ist, sobald man die bösen Themen (Stillen etc.) anschneidet. Bzw. dass Themen, über die man immer dachte, friedlich nachdenken, schreiben und sprechen zu können, auf einmal böse Themen sind. Die Frage ist nur, wie ich damit umgehe. Denn da das nicht alles Trolle sind, ist der Klassiker unter den Troll-Reaktionen - stoisches Ignorieren - wohl keine Option. Lösche ich in Zukunft die schlimmsten Ausrutscher? Oder hänge ich jede Woche eine Stunde meiner Zeit daran, das alles zu lesen und erst dann zu entscheiden, was ich veröffentliche und was verschwindet und den Gürtel aus Weltraumschrott um diesen Blog anwachsen lassen wird? Auch doof, denn manchmal vergehen drei-vier Tage, an denen ich nicht dazu komme, mich um den Blog zu kümmern (auch das wird sicher nicht besser in Zukunft), und es ist bestimmt frustrierend, einen sorgfältig formulierten Kommentar abzuschicken, und drei Tage später ist er immer noch nicht veröffentlicht. Will ich uns vielen, vielen netten Abkürzungs- und Ex-Abkürzungs- bzw. nicht eigentlich Abkürzungs-, sondern einfach nur zum Glück um den ganzen Abkürzungskram drumrumgekommen Damen so das Leben schwer machen, nur weil da ein paar doofe Ranzschnecken auftauchen, die niemand gerufen hat? Oder schreibe ich nur noch über Dinge, die garantiert niemanden aus dieser Fraktion auf den Plan rufen? Das wäre so sterbenslangweilig, da kann ich es auch lassen.

Mal sehen.

Montag, 22. April 2013

Mal abgesehen davon, dass es ziemlich nett geschrieben ist:

Ich will ganz ehrlich sein. Was mich als erstes für das Buch eingenommen hat, war der hübsch rot-weiß karierte Umschlag. ("Was ist die denn für eine, die Zukunft ihres einzigen!!! Kindes einem Buch anzuvertrauen, nur weil es so ein hübsches Muster hat?") Vielleicht, weil rot-weiß kariert mich immer an nette kleine Restaurants mit gutem Essen denken lässt? Dann das Wort "Nervensäge" im Titel. Denn ich muss zugeben: auch, wenn ich mir seit so vielen Jahren so sehnlichst ein Kind wünsche, finde ich trotzdem, dass nicht alle Kinder, die man so trifft, sofort den Neid oder die Sehnsüchte von uns Kinderlosen erwecken. Ja, so schrecklich das auch ist und so lieb es mir auch wäre, wenn es nicht so wäre - es gibt auch Kinder, die sich spätestens mit zwei-drei Jahren zu fast unerträglichen Nervensägen entwickeln, wobei ich (schon zu Zeiten, als nicht nur dieses Kind, sondern auch der Kinderwunsch noch in nebulöser Zukunft lagen) immer schon reflexartig dachte "bitte bitte, nicht so eins für mich. Lieber die andere Sorte." Und ich weigere mich, die Nervensägerei nur auf die Gene zu schieben, sondern hoffe und glaube fest daran, dass die Eltern und das, was sie tun, lassen und dem Kind vorleben, nicht ganz ohne Einfluss sind. (Denkt jetzt übrigens eine hier, die Definition einer Nervensäge wäre für mich ein Kind, das ab und zu mal quengelt, etwas auf den Boden wirft oder im Supermarkt Schokolade haben will? Ganz bestimmt nicht. Nervensägen sind für mich Kinder, die ihre Mütter im Sekundentakt vors Schienbein treten, weil die die Frechheit besitzen, zu telefonieren.) Außerdem brauchte ich sowieso was zu lesen, von meinem skandinavischen Krimi hatte ich nämlich nach ca. zweihundert Seiten die Nase voll. (Wird das eigentlich in Schweden schon in der Schule gelehrt, dass man mit Krimis viel Geld verdienen kann, die nur davon handeln, dass eine Frau nach der anderen möglichst widerlich ermordet wird?) Das Buch ist eigentlich mehr Erzählung als Ratgeber: die Autorin, Amerikanerin und verheiratet mit einem Briten, ist ihm zuliebe nach Paris gezogen und hat dort drei Kinder bekommen. Irgendwann hat sich der Vergleich aufgedrängt zwischen französischen Kindern und Müttern und ihrer eigenen Familie. Sie hat beobachtet, ihre Beobachtungen dann mit den Erkenntnissen namhafter Kinderärzte, Psychotherapeuten und Erziehungsforscher abgeglichen und aufgeschrieben. Und so viele Prinzipien liegen dem ganzen eigentlich nicht zugrunde, es ist auch alles nichts, worauf man nicht selbst vielleicht gekommen wäre - keine Raketenforschung. Einfach der Glaube daran (den ich ganz fest teile), dass Kinder mehr verstehen und können, als man denkt, und dass sie sich nur dann zu glücklichen Menschen entwickeln können, wenn sie sich zwar rundum geliebt und aufgehoben fühlen, aber trotzdem wissen, dass sie nicht allein auf der Welt sind, sondern umgeben von anderen Menschen, die auch Gefühle und Bedürfnisse haben - und wenn sie möglichst früh und spielerisch lernen, dass man auf die Erfüllung seiner Wünsche auch mal ein paar Sekunden oder Minuten warten kann. Das bringen manche französische Mütter ihren Kindern z.B. bei, indem sie am Wochenende mit ihnen zusammen einen Kuchen backen. Einen ganz einfachen, bei dem auch Dreijährige schon mitmanschen können. Es macht Spaß, sie sind stolz auf ihr Werk und freuen sich, dass man ihnen das zutraut, und sie erfahren am eigenen Leib, dass man erst etwas tun muss und dann eine Weile warten, damit es hinterher etwas Leckeres zu essen gibt. Klingt das völlig irre? Ich finde nicht. Ein anderes Prinzip ist, dass Kinder Gäste und Familie begrüßen sollen. Das macht noch keinen Benimmroboter aus ihnen - sie lernen so nur, die Existenz und Anwesenheit anderer zur Kenntnis zu nehmen und machen nebenbei die Erfahrung, sich in der Gegenwart von Erwachsenen sicher bewegen zu können, was wieder ein schöner Beitrag zu ihrem Selbstvertrauen ist. Auch ihre Beobachtung, dass Französinnen im Gegensatz zu z.B. Amerikanerinnen nicht überall mit einer Handtasche voller Kekse, Schokolade und Brezeln hingehen, so dass die Kinder ständig mit vollem Mund unterwegs sind und dann zu den Mahlzeiten nichts mehr essen, leuchtet mir ein. Wäre es nicht toll, wenn man es hinkriegen könnte, dass ein Kind sich auf Mahlzeiten freut und sich dann satt isst, wenn es soll? Wenn es ein normales Verhältnis zum Essen bekommt - nämlich Essen als Genuss betrachtet - statt als Mittel gegen Langeweile, Einsamkeit oder Nervosität? Wenn es sich nicht heimlich mit Naschi vollstopft, sondern sich freut auf den selbstgebackenen Schokokuchen am Nachmittag? Klar klingt das wie ein Traum, aber man wird doch wohl noch träumen dürfen. Noch etwas, was mich für das Buch eingenommen hat: die Autorin berichtet, dass Franzosen - so viel Wert sie auch auf klare Strukturen legen und darauf, dass Kinder bestimmte Dinge schon sehr früh lernen können - nicht der Ansicht sind, dass Kindergartenkinder Geige und Chinesisch lernen sollten. Die Zeit bis zur Grundschule ist zum Spielen da und nicht dazu, sich irgendeinen Phantasie-Vorsprung vor den anderen Kindern für die spätere Super-Karriere zu erarbeiten. Innerhalb der festen Regeln herrscht viel Freiheit.

Denkt nicht, ich wüsste nicht, dass schlaflose Nächte auf mich zukommen, totale Erschöpfung und drei Tage am Stück, in denen das 48-Stunden-Deo zeigen kann, was es drauf hat. Und denkt nicht, ich wüsste nicht, dass ich das Buch noch oft entnervt in die Ecke pfeffern werde. Dass ich mir jetzt noch gar nicht vorstellen kann, Fusselhirn hin oder her, wie anstrengend, schrecklich und schön das alles wird. Dass wir uns in einem Jahr wieder sprechen und ich dann vermutlich auch nur noch dreckig lachen werde beim Gedanken an das, was ich mir in meiner Wiener Kaffeehausgemütsruhe so ausgemalt habe. Das hier ist Teil meines ganz privaten Geburtsvorbereitungskurses, außerdem Teil der Vorfreude auf das Kind. Ich habe da Spaß dran und glaube außerdem an die Fähigkeit meines Würmchens, mich jederzeit zu überraschen - auch positiv.

Samstag, 20. April 2013

Die harte Wahrheit ist: Hamburg ist NICHT die schönste Stadt der Welt.

Auch, wenn die wahnsinnig gutgelaunten Radiomoderatoren dieser Stadt das fünftausendmal täglich behaupten. Ich weiß auch nicht, ob Wien die schönste Stadt der Welt ist, aber schöner als Hamburg ist es allemal. Hamburg könnte aber davon profitieren, wenn man ein paar Wiener Einrichtungen einfach hierher verpflanzen würde. Wie die Rauchgenehmigung in vielen Cafés, Bars und Restaurants. Das von einer Schwangeren? Von einer, die am 20. Oktober abends auf einer Terrasse im Ruhrgebiet gemeinsam mit ihrem Cousinchen die vorerst letzte Zigarette geraucht hat und eigentlich ständig Leute bitten müsste, die Fenster zu öffnen oder ihren Rauch in die andere Richtung zu pusten? Genau das. Ich finde es zufällig nett, wenn man im Café rauchen darf. Es stört mich überhaupt nicht, ich rieche das gern. Wird der Qualm später dann zu dicht, bin ich sowieso seit Stunden auf dem Heimweg, dafür sorgt schon die Schwangerschaftsmüdigkeit. Überhaupt herrscht in Wien gar kein dichter Qualm. Erwachsene Menschen rauchen an so einem Abend vielleicht zwei, vielleicht auch fünf Zigaretten zu ihren Getränken. Man kann sie in vielen Lokalen auch einzeln bestellen, eine kostet 30 Cent. Wo man so kultiviert damit umgeht, muss man auch am nächsten Tag nicht die komplette Garderobe in die Reinigung geben. Diese Art des Bar-Rauchens würde Hamburg wirklich gut stehen. Genau wie das Schwarze Kameel. Kennt es jemand hier? Eines Tages, wenn L. und ich fertig sind mit spintisieren und zur Abwechslung mal tatendurstig genug sind, eröffnen wir hier so etwas wie das Schwarze Kameel. Jedenfalls den Schnittchenteil. In Wien ist es ein sehr altehrwürdiges Restaurant, das eine vorgelagerte Bar hat. In diese Bar kommt man herein und steht sofort vor einer Vitrine mit köstlichen, phantasievoll belegten kleinen Schnittchen, Tramezzini und Brötchen. Man sucht sich ein paar aus, nimmt sie mit zu einem der Plätze und bestellt sich etwas zu trinken dazu, beispielsweise einen Pfiff Bier, wobei ein Pfiff sich irgendwo zwischen 0,1 und 0,2 Litern bewegt (und alkoholfreies Bier gibt es natürlich auch, wenn auch nicht in so zierlichen Größen). Viel netter kann man seine Mittagspause nicht verbringen als mit diesen Schnittchen. Auch eine Straßenbahn wie die Bim hätte ich hier gerne, und wenn es nur den Vorteil hätte, dass man etwas aufmerksamer über die Straßen flanieren müsste, damit sie einem nicht die Füße abfährt. Auf dem Schaltkasten einer Bim zu sitzen, ist eine der nettesten Fortbewegungsarten, die man sich in der Innenstadt denken kann. Wer die wohl in Hamburg damals abgeschafft hat? Es wird zwar diskutiert, sie zurückzuholen, aber erstens sind schon wieder ein paar rammdösige Anwohner dagegen, und zweitens geht schon das ganze Geld für die unklug und schlampig vergebenen Kredite der HSH Nordbank drauf, leider.

Was haben wir in Wien sonst noch gemacht? Diesmal an wenigstens einem Abend sensationell schlecht gegessen. Ich war noch nie in Prag, aber einer der Gründe, dorthin zu fahren, wären für mich immer die Geschichten über die böhmische Küche gewesen. Bei unserem ersten Wien-Besuch kamen wir (leider nicht zur Essenszeit und nicht geistesgegenwärtig genug, um uns die Adresse zu merken) an einem böhmischen Lokal vorbei, das auf der draußen angeschlagenen Speisekarte alle Gerichte ausschließlich in der Originalsprache aufgeführt hatte. Das war wie Tim und Struppi, so schön! Es gab Gerichte mit Namen wie Splonzc oder Plexci-Glazs, dazu gebackene Czenkc. Diesmal hatte ich gelesen, dass es keinen Kilometer von unserem Hotel das "Böhmische Kuchl" gab, das es immerhin auf die Bestenliste des Stadtmagazins Falter geschafft hatte und im Internet von Gästen gefeiert wurde. Um noch Platz für den Nachtisch zu lassen, bestellten wir beide "nur was Kleines": die Spezialität des Hauses, böhmische Kartoffelpuffer, L. mit Pilzen, ich mit Speck. Das ist jetzt vier Tage her, und ich für meinen Teil weiß genau, mein Puffer ist immer noch irgendwo da drin und wird sich vermutlich erst mit der Plazenta lösen. Es war grauenvoll. Noch nie war ein Kartoffelpuffer auch nur annähernd so übel, und ich hatte viele: tiefgekühlte, frische, in der Mikrowelle aufgewärmte aus der Mensa, ich hatte sogar schon aus getrocknetem Instant-Teig mit Seewasser angerührte und auf einem Campingkocher ohne Fett gebackene Puffer. Auch die Beilagen waren im Netz sehr gelobt worden, und wieder mal dachte ich mir: die Leute sind einfach gerne Entdecker besonderer Geheimtipps. Sie möchten gerne erzählen, was für ein schönes Restaurant sie entdeckt haben, was für ein Kleinod, und sich dann für ihren Spürsinn feiern. Sie geben nicht gerne zu, dass sie Zeit und Geld in schlechtes Essen investiert haben und dass ihr Instinkt sie wieder mal fehlgeleitet hat. Jede Dönerbude hat besseren Krautsalat, und der grüne Salat schmeckte, als hätte jemand beim Anrichten, statt eine Salatsauce zuzubereiten, einfach bitterlich hineingeweint. So kam es, dass wir in einer Stadt, in der man an jeder Ecke großartig essen kann, eine der fünf schlimmsten Mahlzeiten unseres Lebens hatten, so schlimm, dass es eigentlich nicht mehr als Mahlzeit zählt, sondern als Abenteuer und damit auch schon wieder in Ordnung ist. Zwei Nächte habe ich überhaupt nicht geschlafen, und Würmchen war auch beleidigt. Im Theater waren wir auch, und das war sehr schön. Wer mal hinkommt und Lust hat, soll bitte ins Akademietheater gehen: das war inzwischen meine fünfte Aufführung dort, und alle waren großartig. Aus der öffentlichen Generalprobe in der Volksoper sind wir dagegen geflohen. Wenn man von mir erwartet, dass ich mitfiebere, ob die Ehe zwischen einem alten, dicken, krankhaft eifersüchtigen, übellaunigen und glatzköpfigen Schulrat und seinem jungen, hübschen Mündel in Ordnung kommt, dann wird man enttäuscht oder muss sich jedenfalls bei der Musik richtig Mühe geben.

Und dann habe ich mir in der Buchhandlung hinterm Stephansdom noch ein Buch gekauft, von dem ihr bestimmt noch mehr hören werdet: "Warum französische Kinder keine Nervensägen sind" von Pamela Druckerman. Stunden habe ich in Kaffeehäusern herumgesessen, eine Zitrone-Soda (noch so eine Wiener Nettigkeit, die es hier geben müsste: man bekommt überall Mineralwasser mit viel Zitrone) vor mir, den unbeachteten Apfelstrudel und die in sich zusammenfallende Sahne daneben und das Buch auf dem kugelrunden Bauch balancierend. Ich bin noch nicht ganz durch, aber bisher begeistert: es handelt davon, wie man ziemlich lässig dafür sorgt, dass Kinder selbstbewusst, fröhlich und entspannt aufwachsen, früh durchschlafen und sich nicht zu dauerquengeligen, schüchternen und launischen kleinen Biestern entwickeln, die unter dem Tisch Gäste ins Bein beißen, jedes Telefonat unmöglich machen und aus Prinzip nur Pizza und Cola zu sich nehmen. Beim Lesen hab ich mich immer wieder gefragt "Tatsache, kann das so einfach sein?" und beschlossen, dass das a) mein einziger Erziehungsratgeber im Haus bleiben wird und ich dieser Methode b) eine ernstgemeinte Chance geben werde.

Seit gestern bin ich offiziell im letzten Drittel dieser Schwangerschaft. Würmchen, du wirst Augen machen: Mama hat eine Menge vor mit Dir.

Montag, 15. April 2013

Einige neue Erkenntnisse, die diese Schwangerschaft mit sich bringt, in ungeordneter Reihenfolge und wegen Schwangerschaftsdemenz vermutlich teilweise doppelt gemoppelt.

1. Schwangerschaftsjeans müssen eine der besten Erfindungen aller Zeiten sein. Wie ist es möglich, aus einem Kleidungsstück, das normalerweise so wenig vergibt, etwas zu machen, das vom dritten bis zum neunten Monat perfekt sitzt? Warum sind Jeans nicht immer so? Meine Schwangerschaftsjeans (H&M, ca. 35 Euro) haben den zusätzlichen Vorteil, dass ich sie aus dem Trockner ziehen und direkt anziehen kann. Sie knüllen nicht, sie müssen nicht gebügelt werden, und sie leiden nicht an dieser Jeanskrankheit, dass sie nach der Wäsche erst mal für drei-vier Stunden zwei Nummern zu klein sind - Stunden, durch die man sonst einfach durch muss. Ich fürchte, wenn Würmchen auf der Welt ist, muss L. mir irgendwann die Jeans aus den verkrampften Fingern reißen und verbrennen, sonst trage ich nie wieder normale. Ich bin doch nicht bescheuert.

2. Dieses ganze entspannte-Schwangere-unentspannte-Schwangere-Syndrom ist nicht zu knacken, egal wie. Es kommt vor, dass ich über Dinge, die andere scheinbar tagelang beschäftigen, innerlich einfach souverän wegbügele. Es kann aber auch sein, dass mich etwas, was anderen kaum ein Schulterzucken abringen würde, nächtelang um den Schlaf bringt. (Habe ich die Wurmkurtablette angefasst? Ohne Handschuhe? Was habe ich danach gemacht? Habe ich geduscht, bevor oder nachdem ich mir einen Toast gemacht hatte? Ist der Salat in diesem ansonsten blitzblanken Restaurant tatsächlich gewaschen? Ist Würmchen tatsächlich aus unseren Zellen entstanden oder aus denen von diesem schrecklich unsympathischen, schlecht riechenden und herumrotzenden Paar, das neben uns im Wartezimmer saß? Verpasse ich vor lauter Sorgen meine Schwangerschaft? Bin ich hysterisch? Ist es unverantwortlich, die eigene Seelenruhe nicht in jeder Situation in der Prioriätenliste 287 Plätze unterhalb der hundertprozentigen Sicherheit von Würmchen unterzuordnen? usw. usf.) Der Kreislauf aus Hirnpups, Gegensteuern, neuer Hirnpups, am Ende vollkommene Verwirrung, welcher Hirnpups gewinnen soll, wird vermutlich auch nach der Geburt nicht aufhören.

3. Koffeinfreier Tee: ausgezeichnet. Alle anderen schwangerschaftsmodifizierten Lebensmittel vom alkoholfreien Sekt bis hin zur pasteurisierten Mayonnaise: buäch. Ich habe mich inzwischen damit arrangiert, sie einfach komplett von der Liste zu streichen. Die Sehnsucht danach wird nur schlimmer, wenn man ständig versucht, sich mit einem unzureichenden Ersatz zu trösten.

4. Vor ein paar Jahren hat eine Freundin von uns als erste aus der Damenrunde ein Kind bekommen, und das hat alles, wirklich alles verändert. Sie war weg. Das heißt, weg für uns: mit ihren Muttifreundinnen hat sie sich seitdem so viel getroffen wie nie, aber bei uns war sie nach einigen Versuchen (vor allem unsererseits), nette Restaurantabende mit Babysitterverfügbarkeiten abzustimmen, einfach raus. Sie ist dann auch weggezogen, und das war's, eine Weile haben wir uns noch manchmal gefragt "Was macht eigentlich Dingens?", aber davon abgesehen war es vorbei. Dieses Szenario macht mir schreckliche Angst. Ich weiß, ich bin anders als unsere Muttifreundin, egal ob schwanger oder unschwanger, aber meine Freundinnen sind eins der wichtigsten Dinge in meinem Leben, und ich will nicht irgendwann in einem halben Jahr mit ihnen "Was macht eigentlich A., gibt's was Neues von R., und habt ihr mal wieder was von H. gehört?"-Telefonate führen. Ich glaube aber auch inzwischen, dass sich das ohne Anstrengung kaum vermeiden lässt. Also werde ich mich anstrengen. Ich werde, auch wenn mir die Augen zufallen und ich so müde bin, dass ich mit zwei verschiedenen Schuhen das Haus verlasse, dranbleiben. Ich werde L. dazu vergattern, auch mal ein ganzes Wochenende lang das Würmchen zu hüten, damit ich mit zum Berlin-Wochenende kann. Ich werde, wenn mir mal die Flucht in die babyfreie Welt geglückt ist, nicht alle halbe Stunde zuhause anrufen und fragen, ob das Kind schon den Finger in die Steckdose gesteckt hat oder der Kinderwagen implodiert ist. Ich werde für dieses neue Leben nicht mein altes Leben verlieren, sondern die Zähne zusammen beißen und darum kämpfen.

5. Bisher kann der Bauch mehr ab, als ich dachte. Spaziergänge mit beiden Hunden mit Eichhörnchensichtung: kein Problem. Leichte Gartenarbeit wie kniend kleine Löcher buddeln und Kräuter darin versenken: warum nicht. Hausputz, Einkäufe (jedenfalls mit schlau auf zwei Taschen verteiltem Gewicht und orthopädisch korrekter Hebetechnik): nur zu. All das ist nicht halb so belastend wie ein Achtstunden-Arbeitstag auf einem gut gepolsterten Bürostuhl.

Sonntag, 14. April 2013

Noch 89.

Seit ein paar Tagen ist alles Tagesform. Welchen Umfang mein Bauch hat, ob er eher breit und bräsig vor mir hängt oder spitz und extrem eingegrenzt über den Bund meiner Schwangerschaftsjeans lugt. Ob ich den ganzen Tag nur schlafen will oder eigentlich keinen Grund sehe, warum ich nicht drei Stunden spazieren gehen und anschließend noch ein paar Stauden pflanzen sollte. Ob ich nachts schlafen kann oder mich nur acht Stunden hin und her wälze. Ob ich denke "Wie lange noch wie lange noch?" und das Gefühl habe, ich platze gleich, oder ob ich gar nicht fassen kann, dass das hier jetzt schon der Beginn der Schussfahrt auf die Geburt zu sein soll, hat doch gerade erst angefangen? Aber das ist er wohl, auch wenn heute einer der Tage ist, an denen ich mich nur ein bisschen schwanger fühle. Montag fliegen wir nach Wien, dazu brauche ich dann schon ein Attest von meiner Frauenärztin. Unsere letzte Flugreise vor dem großen Tag, und ich freu mich wie bescheuert darauf. Wenn wir wieder kommen, habe ich noch zwei kurze Arbeitswochen, und in der zweiten davon melden wir uns zur Geburt im Krankenhaus an. Dann fahren wir noch für ein paar Tage nach Berlin, und wenn wir dann wiederkommen, arbeite ich wieder nur eine Woche, bevor ich mit meiner Schwiegermutter und dem Bauch zu meinen Eltern fahre. Zurück in Hamburg sind es dann noch eine kurze und eine normale Arbeitswoche, und dann... dann beginnt der Mutterschutz und damit die Zeit, in der wir ernsthaft und nicht nur zum Spaß und im Kopf das Kinderzimmer einrichten, endlich eine Karre und einen Autositz kaufen und ich die lustigen Schnullerketten mit Raketen dran und die Schnuller, die es bei Budni gibt, nicht nur hingerissen angucke, sondern tatsächlich mitnehme. Und zwischendurch steht dann noch ein Geburtsvorbereitungskurs an, und eine Kliniktasche werde ich auch spätestens am 1. Juni packen. Würden wir nicht nach Wien fliegen und könnten Pakete annehmen, dann hätte ich gestern bei amazon zwei PVC-Laken bestellt, denn wenn es so weit ist, dann soll unser schniekes neues Wunderbett nicht kaum eingelegen mit Fruchtwasser durchtränkt werden. Es ist wirklich, wirklich nicht zu fassen, aber in ca. 89 Tagen wird aus dieser Abkürzungsdame nach allem, was man so hört, ein kleiner Junge rauskommen, auch wenn ich noch keine Ahnung habe, wie das funktionieren soll.

Inzwischen gibt es zum Glück gute Nachrichten von Momo. Ein MRT in der Tierklinik hat ergeben, dass sie keinen Gehirntumor, keine schwere Entzündung im Gehirn und auch sonst keine erkennbaren Schäden an den inneren Organen hat. Das ist erst mal sehr gut, auch wenn wir jetzt immer noch nicht schlauer sind, woher ihre Anfälle kommen. Aber mit den richtigen Medikamenten und ein-zwei Monaten Geduld werden wir sie hoffentlich los. Jetzt ist die kleine Fluse bei ihrem alten Frauchen und erholt sich von Vollnarkose und Schreck und drei Tagen im Käfig am Tropf. Ich kann es kaum erwarten, bis sie wieder bei uns ist, und Lili auch nicht.

Mittwoch, 10. April 2013

Hach, Hamburg.

Vor ein paar Jahren gab es von einer Hamburger Agentur mal eine preisgekrönte Werbekampagne für mehr Zivilcourage, die ging ungefähr so: In U-Bahn-Waggons, an Bahnsteigen oder an Rolltreppen standen großgedruckte Zeilen nach dem Muster "Am 6. Januar wurde hier eine Frau von 20 Menschen vergewaltigt. 19 davon haben dabei Zeitung gelesen." Ich fand die Kampagne sehr gut, und auch, wenn ich in der U-Bahn nicht ständig Angst vor Überfällen habe und mir abends vor allem aus Bequemlichkeit und nicht aus Vorsicht ein Taxi leiste, hätte ich sofort unterschrieben, dass in der U-Bahn im Zweifel von Mitfahrenden nicht viel mehr zu erwarten ist als Breitmachen um jeden Preis, blöde Fiepsmusik aus zu leichten Kopfhörern, Schmatzen, Rotzhochziehen und wahnsinnig laute Supi-Busy-Telefonate. Bis heute. Heute früh war ich auf dem Weg zum Zuckertest bei meiner Ärztin in der Innenstadt, eine Stunde früher als sonst und schon vor Fahrtantritt fürchterlich fertig. Eigentlich müsste ich inzwischen an schlechten Schlaf gewohnt sein, seit ein paar Nächten verbringe ich den Großteil der Nacht mit Herumwälzen, Ächzen und L. auf die Nerven fallen. Irgendwie drückt das Würmchen mir immer entweder auf die Lunge, auf den Magen oder auf die Blase oder alles zusammen. Jedenfalls war heute Nacht keine Ausnahme, dazu kam aber noch, dass Pflegehund Momo heute Nacht mehrere Anfälle hatte und wir vor Sorge und vor lauter Horchen auf das nächste panische Scharren von Krallen auf Holzboden kein Auge zugetan haben. Entsprechend wach und spritzig saß ich in der Bahn und las in meinem Krimi, als mir plötzlich ich weiß nicht wie wurde. Ich bekam keine Luft. Mir war schlecht. Und schwindelig. Und ich hatte von jetzt auf gleich dicke, kalte Schweißperlen auf der Stirn. Und das nächste, woran ich mich erinnere, war, dass ich vom Sitz gerutscht war und mehr lag als saß, nach Luft schnappte wie ein Goldfisch und dachte, das war es jetzt. Da kannte ich aber die Hamburger Ubahn-Mitfahrer nicht. Ich hatte von jetzt auf gleich acht Fremde Menschen jeden Alters um mich herum, die wie acht Mütter zu mir waren. Zwei öffneten die Fenster, eine machte mir Platz, zwei andere hieften mich zurück auf den Sitz und legten meine nach dem Hundespaziergang nicht besonders sauberen Stiefel hoch, eine fühlte ziemlich professionell meinen Puls, und die anderen erkundigten sich angelegentlich, ob ich an der nächsten Station kurz raus wollte (ging nicht, war eh schon spät dran), wo ich denn hinmüsste, ob das weit weg von der Ubahn-Station wäre, ob sie mich da hinbringen sollten, ob es denn ginge - wenn bei mir in solchen Situationen nicht automatisch jedes Gefühl einfach vorübergehend abgeschaltet wäre, dann hätte ich zu allem Überfluss auch noch vor Rührung heulen müssen. Die haben mich kaum gehen lassen, und dabei war der Spuk nach ein paar Minuten wirklich vorbei. Die meisten haben sich noch mit einem Klaps oder einem gedrückten Arm von mir verabschiedet, mir alles Gute gewünscht und mir noch irgend etwas Aufmunterndes mit auf den Weg gegeben. Danke, Muttis! Ihr wart toll. Und ich werde nie wieder an euch zweifeln.

Sonntag, 7. April 2013

Endlich auf der anderen Seite

Als ich noch mitten in meiner Abkürzungszeit war und es sich manchmal anfühlte, als wären all diese fremden Frauen im Supermarkt, in der Ubahn und auf den Straßen nur schwanger, um mich zu nerven, dachte ich: die haben keine Ahnung. Für die ist es so leicht, es passiert einfach und entwickelt sich und wächst und funktioniert ganz von alleine, und auch wenn sie sich vielleicht trotzdem manchmal innerlich auf die Schulter klopfen und denken, das läge an ihnen, ihrer Einstellung und ihrem Lebensstil, wissen sie trotzdem nicht, was für eine gewaltige Anstrengung das für uns ist. Was wir alles tun und bleiben lassen, was für Ängste wir überwinden, wie viel Zeit wir da reinstecken und wie viel Geld, wie viele Selbstzweifel das mit sich bringt und wie viel Zorn auf andere wegen der vielen dämlichen Bemerkungen und Verständnislosigkeiten. Und dass es trotzdem wieder und wieder nicht klappt und wir uns dann auch noch anhören müssen, wir "wollten das zu sehr". Ich weiß, dass ich Glück hatte und mich viele Dinge nicht so schlimm getroffen haben wie andere, dass ich wenig Nebenwirkungen hatte und gute Ärzte. Aber trotzdem gab es Tage und Wochen und sogar Monate, da fühlte sich das alles an, als würde ich versuchen, eine zwar kuschelweich gepolsterte, aber mit meterdickem Beton verstärkte Gummiwand zu durchbrechen, von deren Existenz die Leute noch nicht mal eine Ahnung haben, die auf der anderen Seite stehen und eine Gartenparty in der Junisonne feiern.
Jetzt habe ich selbst ein angeblich schon über 30 Zentimeter langes Baby im Bauch, das einfach so angefangen hat, zu wachsen und zu zappeln. Und manchmal ist da noch das Gefühl, ich müsste doch etwas tun, damit es bleibt und damit es ihm weiter gut geht. Es kann doch nicht sein, dass nach all den Sprays und Spritzen und Verhaltensmaßregeln plötzlich nichts weiter zu tun bleibt, als die Finger von Fluppen und Alkohol zu lassen und mich zu schonen? Und an solchen Tagen - heute ist so einer - fange ich den Tag statt mit Toast, Ei und Käse an mit einem Müesli, das dreimal so langsam zubereitet wie aufgegessen ist, ich dusche bei unbehaglichen 35 Grad, ich mache noch vor dem Frühstück meine Schwangerschaftsgymnastik und ich zupfe und massiere so lange meinen Bauch, bis auch das letzte Tröpfchen Öl aufgesaugt ist. Und trotzdem fühlt es sich immer noch so an, als wäre das nicht genug.

Samstag, 6. April 2013

Die Anzeichen häufen sich, dass ich nicht geeignet bin für die Wahl zum Muttertier des Jahres

Bis zur Geburt sind es noch ca. dreizehn Wochen, und natürlich mache ich mir Gedanken, ob Würmchen das alles gut übersteht, ob wir an gute Ärzte geraten, ob ich es schaffe, Würmchen die erforderlichen 40 Wochen im warmen Muckelbauch bei Laune zu halten und ob irgendeine der dreißig Geburtshorrorgeschichten, die ich bisher unaufgefordert zu hören bekommen habe, auch auf uns zutreffen wird. Aber mindestens genau so sehr beschäftigt mich gerade die Frage, welches im Moment noch verbotene Essen ich mir als Erstes ins Krankenhaus bringen lassen werde. Sashimi? (Lecker, aber sehr naheliegend, und mein Lieblingssushiladen ist ein bisschen weit vom Schuss für Besucher.) Ein Mettbrötchen mit Zwiebeln? (gibt's an jeder Ecke, könnte aber meine Zimmernachbarin gegen mich aufbringen, und Würmchen soll seine Mutter nicht mit Fleischfusseln zwischen den Zähnen kennenlernen.) Eine Rutsche Schwarzwälder Schinken mit dick gebuttertem Vollkornbrot? Oder Leberwurst? Oder beides? Und ein dickes Stück Stinkebrie dazu?

Wir haben immer noch keinen Kinderwagen, kein Babybett, kein zweites Babybett zum ans Elternbett anflanschen, keine Wickelkommode, keine Windeln, kaum Strampler, kein Babyspielzeug, keine Mützchen, keine Feuchttücher, keine Schnuller, keine Fläschchen, keine Spucktücher, keine Stillhütchen und keine Wärmelampe angeschafft, und das macht mich überhaupt nicht nervös.

Obwohl das eigentlich noch nicht entschieden ist bzw. ich dachte, ich hätte entschieden, dass unser jetziges Gäste- und Kleiderschrankzimmer das Kinderzimmer wird, spricht L. immer öfter davon, mein Arbeitszimmer "fürs Erste" zum Babyzimmer zu machen. Seine Argumente sind: im Gästezimmer ist mehr Fluglärm, und wir würden jedes Mal das Baby stören, wenn wir an den Kleiderschrank huschen. Meine Argumente sind: Babys ist angeblich Lärm egal, den Glücklichen, zumal in diesem Zimmer in den nächsten Wochen Schallschutzfenster eingebaut werden. Auch das Schrankzimmer müsste ja nur eine Lösung "für's Erste" sein, es ist dort sonnig und man kann direkt auf den Balkon, wo ich es mir mit Würmchen im Schaukelstuhl gemütlich machen könnte, aber vor allem und allem anderen: ich mag mein Arbeitszimmer. Da ist mein Schreibtisch, mein Rechner, meine Bücher, und wieso soll ich das jetzt hergeben, gerade in dem Moment, in dem ich in Aussicht habe, monatelang nur von Zuhause aus zu arbeiten? Was würde L. sagen, wenn sein Arbeitszimmer einfach so weggestaltet und ins himmelblaue Teddyparadies verwandelt würde? Ca. achtmal im Jahr schlafen Gäste in unserem Gästezimmer, die können doch auch auf dem Dachboden schlafen, oder wir kaufen noch eine Schlafcouch für mein Arbeitszimmer. Für mich ist also eigentlich alles klar, nur treibt mich auch die Frage um: hat eine Mutter so zu denken? Was bin ich denn für eine?

Ich bespreche mit der netten Hebamme das Thema Stillen - dass ich es gerne versuchen würde, dass ich aber noch nicht weiß, ob es auch klappt, nachdem es bei meiner Mutter auch nicht funktioniert hat, und sie fasst das ungefähr so auf, dass wir das irgendwie hinkriegen müssen, notfalls auch unter Flüchen und Tränen. Nein, müssen wir nicht: ich wollte nur sagen, ich versuche es, und wenn nicht, dann... "Heute gibt es da ja ganz andere Möglichkeiten, vielleicht wird es schwierig, aber da kämpfen wir uns dann durch" sagt sie. Ja, aber... gut. Bin ich die einzige, die denkt, es wäre schön wenn - und das meine ich ganz ehrlich so, ich würde gerne stillen und schreibe das jetzt nicht nur, um mir den Zorn eventuell mitlesender Stillfanatikerinnen vom Hals zu halten - aber wenn nicht, dann eben nicht? Meine Geschwister und ich sind alle mit der Flasche aufgewachsen, keiner von uns hat wüste Allergien und Unverträglichkeiten entwickelt, schnäkige Esser waren wir zwar alle, aber das sind viele Stillkinder auch.

So in etwa sieht es hier gerade aus. Die eltern.de-Jury kann also gerne ein paar Häuser weiter klingeln, hier werden sie ihre Preisträgerin nicht finden.


Donnerstag, 4. April 2013

Liebes Würmchen,

heute morgen war zum ersten Mal unsere Hebamme zu Besuch, eine rundliche, freundliche und sehr herzliche Frau, genau so, wie ich mir eine Hebamme immer vorgestellt hatte. Und auf einmal war es fast so, als wärst Du schon da: ganz geschäftig und mit hochgekrempelten Ärmeln ging sie mit mir durch, was alles in den ersten acht Wochen nach der Geburt auf uns zukommt. Wie Dein Nabel langsam vertrocknen und dann irgendwann abfallen wird. Wie wir auf jeden Fall genügend Spucktücher brauchen werden, falls mal Milch unaufgefordert läuft, Du aufstoßen musst oder sonstwas daneben geht. Dass wir auch im Hochsommer Baumwollmützchen für Dich brauchen, dagegen auf Bodylotion, Babyöl, Puder und Babywaschgel verzichten können oder sogar sollen. Ein Teil von mir hätte gerne mitgeschrieben (besser wär's, seit ca. zwei Wochen kann ich mir überhaupt nichts mehr merken, aber wozu habe ich andererseits einen Blog, in dem ich mir alles Wichtige notieren kann?), aber ich war einfach zu beschäftigt damit, gebannt an ihren Lippen zu hängen und ständig zu denken "Unsere Hebamme. Das ist unsere Hebamme. Die ist hier, weil ich schwanger bin. Und wir demnächst ein Baby bekommen. Unsere Hebamme." Das nächste Mal sehen wir sie entweder zur geburtsvorbereitenden Akupunktur, falls ich die machen möchte, oder wir rufen sie einen Tag an, bevor wir mit Dir im Arm nach Hause kommen. Und weil ich auf die Akupunktur wohl doch verzichten werde (glaube ich jedenfalls, wenn ich bedenke, dass die Akupunktur-Zeit exakt mit der Zeit meiner größten Hormonpleiten zu Abkürzungszeiten zusammenfällt - so mies lief es selten) und stattdessen lieber noch ein paarmal zu meiner feinen Osteopathin gehen werde, sehe ich sie jetzt erst wieder, wenn ich Dich endlich zum ersten Mal gesehen habe.
Draußen wird es Frühling, die Nachbarn haben schon Krokusse unter der großen Eiche, vielleicht spendiere ich nachher L. und mir ein Eis zur Feier des Wochenendes und den Hunden die Hörnchen dazu, und je sonniger es vor dem Fenster wird, desto mehr kann ich mir das alles vorstellen. In vier Wochen hängt meine Winterjacke längst auf dem Speicher, in noch mal vier Wochen hängt mein Frühjahrscape daneben, und dann noch mal vier Wochen, und Du bist fast schon da. Gestern habe ich ausgerechnet, dass ich - zwei Mini-Urlaube ab- und unvorhergesehene Zusatzbuchungen nicht dazugerechnet - noch siebzehn Arbeitstage vor mir habe, bis im Juni der Mutterschutz beginnt. Siebzehn: angenommen, ich könnte mich mit Müesli und Special Ks bescheiden, dann müsste ich für den Rest der Zeit außer Milch wohl kein Arbeitsproviant mehr kaufen. Auch mit dem koffeinfreien Schwarztee käme ich hin. (Leider sieht die Wirklichkeit anders aus, und meine Fressvorräte sind extrem wichtig für mich, um bei der Stange zu bleiben - auch wenn es nur noch für kümmerliche siebzehn Tage ist. Wenn Du willst, interpretier das ruhig so, dass ich Dich kaum noch erwarten kann. Leider hat es aber genau so viel mit meinem armen Steiß zu tun wie mit mütterlichen Gefühlen.)
Wir wissen immer noch nicht, wie Du heißen sollst, und nennen Dich deshalb jeden Tag anders. Vielleicht bleibt einer der Namen ja an Dir kleben? Meistens läuft es so, dass Dein Vater mir zum Beispiel etwas aus der Zeitung vorliest, und da kommt dann ein Polizeihauptmeister Augustin irgendwas vor, und ich sage "Augustin?" Oder mir fällt beim Aufräumen ein Buch von Lessing auf die Zehen, und Dein Vater sagt "Gotthold Ephraim?" Heute ist also Augustin dran. (Bisher klebt er nicht, Du musst also noch nicht in Panik geraten.)

Die Blogdamen müssen übrigens gar nicht erst nängern, genau wie die Familie erfahren sie den Namen dann, wenn Du ihn auch erfährst. Also eines schönen Tages, kurz bevor ich diese ausgezeichnete Schwangerschaftsjeans auf den Speicher hänge.

Ein dickes Küsschen von Deiner Mutter.

Dienstag, 2. April 2013

Wuäch.

Ohgottogott. Schreibe ich überhaupt darüber? Auch auf die Gefahr hin, dass mich irgendwelche wohlmeinenden Damen mit ihrem Listeriose-Geraune in den Wahnsinn treiben? Wie eigentlich immer lautet die Antwort ja.
Vorgestern Abend in der Heide zeichnete sich mehr und mehr ab, dass wir keine Lust auf das ranzige Osterfeuer mit Schlagerbeschallung im Nachbardorf hatten und noch weniger auf das Schnitzelbuffet im Dorfkrug. Stattdessen haben wir unseren epileptischen Hund in den Kofferraum gepackt, unsere dorffeinen Ausgehsachen vom Vorabend noch mal übergeworfen und sind schick essen gefahren. Routiniert habe ich L. den dusseligen Gruß aus der Küche rübergeschoben (der fast immer irgend etwas ist, was ich nicht essen darf) und mir ein Menü zusammengestellt, das 100% schwangerensicher ist. Aber genützt hat es nicht viel. Schon auf dem Heimweg hatte ich solche Magenschmerzen, dass ich meine Rückenlehne fast bis zum Anschlag zurückgestellt habe. Dann habe ich mich noch eine Stunde liegend auf dem Sofa gehalten, und nachts um eins war es vorbei: innerhalb von zwei Stunden habe ich viermal gespuckt, und mir war hundeelend. Würmchen hat versucht, mich mit Klopfzeichen und Tritten aufzubauen, während L. mir geholfen hat, beim googeln nur die guten Seiten zu lesen: die von Unikliniken, großen Frauenarztpraxen und notfalls noch Wikipedia. Während dieser zwei Stunden waren wir schon kurz davor, uns auf den Weg ins UKE zu machen, bis wir irgendwann zum vierten Mal gelesen hatten, dass das nun nicht das Ende für Würmchen bedeuten muss: Listeriose äußert sich anders, und die allerallerallermeisten Bakterien im Essen, die zu Erbrechen führen, kommen eh nicht an den Wurm ran, machen mir zwar Kummer, aber lassen ihn in Ruhe. Irgendwann gegen sechs bin ich noch mal eingeschlafen, gestern habe ich mich zuhause ins Bett gelegt mit Salzstangen und Kamillentee, und heute mache ich das Gleiche. Er tritt, er kitzelt mich, er haut auch mal zu, und ich hoffe, die Vitaminchen aus den femibion-Tabletten reichen erst mal für zwei Tage, denn in Salzstangen ist vermutlich nicht so viel davon. Und heute muss die Agentur ohne mich auskommen: bedenkt man, dass ich die Blutung damals rücksichtsvollerweise während meines geplanten Urlaubes hatte, ist das jetzt der vierte Tag, den ich wegen der Schwangerschaft fehle. Das müsste in Ordnung sein. Bedauerlich ist allerdings, dass L. seine Chance gesehen und genutzt hat und jetzt fast alle Ostersüßigkeiten allein aufgegessen hat.

Und dann habe ich mich gefragt, was eigentlich in die netten Landgasthäuser gefahren ist? Woher kommt das, dass es plötzlich überall so einen affigen Gruß aus der Küche gibt? Und komische bunte Glaskrümel auf dem Tisch? Die viereckigen Teller? Die dämlich geformten Gläser? Moderne Kunst an den Wänden? Und mit Quatschzutaten verkorkstes Essen? Es gibt ein Gasthaus im Schwarzwald, das ist 700 Jahre alt, und seit 34 Jahren gehe ich da gerne hin. Es war immer das reine Paradies: alles war unfassbar lecker, es gab das zarteste Reh und die buttrigsten Spätzle, die fluffigsten Pfannekuchen und den gemischtesten Salat, man saß unter den Ölportraits längst verstorbener Bürgermeister, in der Ecke hängt die Trachten-Hochzeitskrone der Familie, und die Standuhr tickt dazu. Jetzt gibt es Grüße aus der Küche, serviert auf dreieckigen, verspiegelten Tellern, am Wochenende spielt ein Alleinunterhalter auf der Orgel, und scheinbar zufällig zur gleichen Zeit werden die Schnitzel, Rehbraten und Müllerin-Forellen immer schlechter. Vermutlich denkt ihr euch zum wiederholten Mal, die hat sie nicht mehr alle, aber nachdem der erste Schreck erst mal wegrecherchiert war, machen mir die bunten Glaskiesel fast mehr Kummer als so eine Mini-Grippe.