Freitag, 26. Oktober 2012

Der übliche Heiopei

Nachts kriegt sie kein Auge zu, seit zwei Tagen hat sie üble Schmerzen im unteren Rücken, abends spricht sie mit den Brummern und würde sich danach am liebsten eine knallen, denn der ganze Spuk ist vermutlich in zehn Tagen schon wieder vorbei. Oder in drei Wochen. Oder in zwei Monaten. Sie macht ein bisschen langsamer, verteilt die Gartenarbeit auf zwei Tage und die Einkäufe auf drei Gänge und läuft schon seit Tagen in einer alten Schwangerschaftsbüchs (die aber nicht danach aussieht zum Glück) rum, weil sie Angst hat, die enge Jeans könnte die Brummer vergraulen. Zwar hat sie noch luftgetrocknete Salami und Rohmilchkäse im Kühlschrank, geht aber fest davon aus, die Reste noch essen zu können, bevor sie vergammelt sind. Obwohl sie noch nicht mal positiv getestet hat, schmiedet sie mit ihrem Mann schon Pläne, wie sie in den nächsten Monaten dem ärgsten Job-Psychoterror aus dem Weg gehen können, wie lange das Geld reicht, wenn sie vielleicht gar nicht arbeitet, ob sie dabei nicht durchdrehen wird und wie viel Einfluss darauf es haben könnte, wenn lovefilm demnächst vielleicht ein paar mehr Krimiserien von Nicht-CSI-Prägung als Video on Demand im Angebot hätte.

Die Gute. Das kann ich inzwischen auswendig mitsprechen.

Ich bin heute morgen mit den Hunden spazieren gegangen, zum ersten Mal war es richtig kalt gewesen über Nacht, und während die Hunde durch das Laub raschelten, fremden Kindern die Glitzerbälle klauten und sich in abgeschnittenen Rosenranken verhedderten, habe ich im Herbst geschwelgt. Dieses Wochenende, wenn L. bei seinen Turnieren ist, werde ich backen, aber es ihm nicht verraten, und ich hoffe, ihr haltet ebenfalls dicht. Die Kekse verstecke ich dann am einzigen Ort, den er nicht einfach plündern kann: meinem Auto. Außerdem koche ich Pfefferpotthast, eine Art Gulasch, das will ich schon seit letztem Wochenende in Dortmund, als mir erst meine Oma und dann meine Tante ihr Rezept verraten haben. Zwischendurch gucke ich meine zweihundert alten Zeitschriften auf der Suche nach neuen New York-Tipps durch, die schneide ich dann aus und klebe sie in ein leeres Buch, das ich diesmal mitnehmen will, wenn wir demnächst endlich wieder in unsere Lieblingsstadt fliegen. Ich will Kletterrosen ans Haus pflanzen und zwei eingegangene Hortensien ersetzen, außerdem pflanze ich ein Apfelbäumchen. Dann werde ich noch Laub rechen - meine Allerallerlieblingsarbeit im Garten, auf der wii mit meinem Lego Harry Potter-Spiel herumnerden (wäre ich wohl eine dufte Kumpelmutter? Na?) und - das allerschönste - vor dem Feuer sitzen und Wolf Hall lesen. Wolf Hall und die Fortsetzung Bring up the Bodies haben beide den Booker Preis gewonnen, einen der dollsten Literaturpreise der Welt, und sie haben ihn verdient. Ich bin auf Seite 211 und glücklich verliebt, und das, obwohl ich zwar Kostümfilme liebe, aber mit historischen Romanen noch nie viel anfangen konnte. Die Bücher spielen zur Zeit Heinrichs VIII und sind erzählt aus der Sicht von Thomas Cromwell, der in der Tudor-Fernsehserie als herzloser Ehrgeizling und Strippenzieher wegkam, ganz im Gegensatz zum edlen, integren (und extrem viel besser aussehenden) Thomas More. Hier sieht das anders aus, und ich liege da in meiner Strickjacke und reagiere über Stunden auf alles, was L. zu mir sagt, nur mit "Hm", "Genau" oder auch "Ich nehm noch einen". Ich hoffe sehr, dass unsere Ehe das noch eine Weile aushält, denn Band zwei ist gestern per Post gekommen.

Dienstag, 23. Oktober 2012

second-hand-Kryo

Befruchtung zweiter Hand ist sonderbar. Vielleicht wird mir gerade klar, während ich hier vom Schicksal meiner Abkürzungsfreundin berichte, wie lange das bei mir alles her ist und dass es mir wohl auch gefehlt hat, über Hormongebrumm und -Gesumm zu schreiben statt immer nur über Hunde, Adoption und Jobstress. Jedenfalls: gestern war Transfer, aus drei Tiefkühlbrummern waren ein Sechszeller (ok), ein Vierzeller (ein bisschen sehr bedächtig, aber kann noch kommen, wenn sie zur Abwechslung mal Glück hat) und ein Zweizeller (eigentlich hoffnungslos, aber in den Müll müssen wir ihn nun auch nicht werfen) geworden. Der Transfer ging schwuppdiwupp, alle drei haben ein schönes Plätzchen gefunden, und jetzt heißt es warten bis zum 5.November, wobei der eigentliche Testtag der Samstag davor wäre - ob die kleine Wurst wohl die Finger vom Schwangerschaftstest lassen kann? Eigentlich müsste sie tiefenentspannt sein, ist ja längst nicht das erste Mal, inzwischen ist sie deutlich zweistellig, was Warteschleifen betrifft. Nur, dass es diesmal zum ersten Mal Estradiol und Utrogest statt Crinone gibt und damit jetzt schon fünf Nächte Schlaflosigkeit. Ungefähr die Sorte Schlaflosigkeit, die einen umtreibt, wenn man sich kurz vorm Schlafen noch Hotdog-Wettbewerb-mäßig überfressen hat - samt Völlegefühl, wildem Herumwerfen und Beklemmung. Das noch bis zum fünften November? Zusammen mit diesem hirnverbrannten, ständigen In-sich-hineinhorchen, den Phantom-Einnistungsblutungen, der Phantom-Übelkeit, den Phantom-Gefühlen und der Phantom-Abgeklärtheit? Viel Spaß.

Samstag, 20. Oktober 2012

Als vierfache Uroma ist einem Nummer fünf vermutlich relativ wumpe.

Ich sitze im Zug in Richtung Dortmund, auf dem Weg zum neunzigsten Geburtstag meiner Oma. Langsam juckeln wir an Hafenkränen und Backsteinspeichern vorbei. Die zweite Klasse ist heute eine schon ziemlich fadenscheinige ehemalige erste Klasse, vollgekrümelt und mit leichtem Muff nach Jungszimmer, ein paar Rentner meckern über die "Servicewüste Bahn", aber das ist alles vollkommen in Ordnung und beeinträchtigt mich kein bisschen in meinem kleinen Nerd-Paradies hier in Wagen acht: mein Telefon ist mein Hotspot, ich kann gleichzeitig Bahn fahren und Internet, wie Serviceparadies ist das denn? Mit Glück kommt gleich auch noch ein Kaffeewägelchen vorbei. Niemand in der Nähe isst hartgekochte Eier oder Sülze, überhaupt wird wenig gegessen, das ist doch toll!

Neunzig wird die Oma. Ich habe sie sehr gern, und auch die Bemerkung über das gierige Negerkind, das wir besser nicht adoptieren sollen, hab ich fast schon vergessen. (Harr. Würde ich bei erster Gelegenheit darüber schreiben, wenn ich es vergessen hätte?). Früher war sie sehr unternehmungslustig und gesellig, hat mit dem Hausfrauenbund Käsefabriken in Holland und Knödelfabriken in Bayern besichtigt, war auf Gran Canaria und hat auf ihre alten Tage noch angefangen, Bridge zu spielen, ein, wie man hört, mörderisch anspruchsvolles Spiel, für das ich jedenfalls zu doof wäre. In den letzten Jahren zieht sie sich mehr und mehr zurück, und ich glaube fast, auch dieser Geburtstag mit ihrer versammelten Verwandtschaft samt vier kleinen Urenkelchen wird ihr vielleicht zu viel. Um fünf geht es los, und spätestens um acht werden wohl die Lichter bei ihr ausgehen. Ich weiß nicht, ob ihr ein fünfter Urenkel, ob adoptiert oder selbstgemacht, noch irgend etwas bedeuten würde - aber ich fände es sehr schön, wenn sie ihn noch kennen lernen könnte. (Meine Mutter war 24, als ich kam. Ich hatte zwei Uromas, eine ist gestorben, als ich zwei war. Die andere wurde wirklich urururalt und hat sogar mein Schwester, elf Jahre jünger als ich, noch auf dem Arm gehabt. Sie kam aus Bremen, tat kastaniengroße Kandisstücke in ihren Tee und hatte wiederum eine Verwandte namens Fockje Focken, was sich, im richtigen Tonfall ausgesprochen, anhört wie etwas, was Rage Against The Machine zu besten Zeiten von der Bühne gefaucht hätten.)

Übrigens bleibe ich bei der Stange, was den Vorsatz vom Tag nach dem Stammtisch angeht: seit diesem lustigen, aber auch verheerenden Donnerstag habe ich keinen Tropfen Alkohol getrunken. Ich war nüchtern auf dem Hamburger Oktoberfest (Albtraum, nicht nachmachen bitte bitte), nüchtern mehrere Abende mit den Mädchen (geht fabelhaft, und es ist schön, sich zur Abwechslung mal an alles erinnern zu können, was wir so plauschen), nüchtern im Steakhaus (alkoholfreies Bier. Schmeckt zu Steaks genau wie richtiges, zur Pizza geht es auch, vollkommen zu wuppen) und nüchtern auf einer Agenturfeier (langweilig. Aber wäre es mit Alkohol auch gewesen, nur dann eben langweilig mit Kater hinterher.) Heute steht mir die erste Familienfeier mit vielen zauberhaften Kindern ohne Alkohol bevor. Immerhin: ein paar Flüppchen habe ich in der Handtasche. Bin ich gespannt.

p.s. die befreunde Abkürzungs- und Adoptionsdame lässt ausrichten, vielen herzlichen Dank für all die Drücker, Wünsche und positiven Schwingungen, herrlich. Außerdem lässt sie sagen, sie hatte vollkommen vergessen, dass es nicht zwei, sondern drei Brummer waren in der Tiefkühle, und laut Klinik leben noch alle drei. Kämpft, Brummer! Kämpft!

Donnerstag, 18. Oktober 2012

Hasst mich nicht.

Es ist 10:18, mit den Hunden war ich schon ausführlich Gassi, L. ist auf großer Erledigungstour durch die Stadt und vor zwei nicht wieder da, und ich liege im Bett. Den Rechner auf dem Schoß, das Telefon griffbereit, eine Tasse selbst mit Vanilleschote aromatisierten Darjeeling neben mir. Der Vormittag gehört mir. Vielleicht gehe ich gleich mal runter und hole mir die DVD, die lovefilm mir gestern geschickt hat: Sodbrennen mit Meryl Streep und Jack Nicholson. Oder ich lese die Zeit, die der zierliche Zeitungsmann immer mit so erstaunlich viel Kraft bis fast zur Unkenntlichkeit in unseren winzigen Briefkastenschlitz rammt. Oder ich stelle mich zur DVD auf den Crosstrainer. Oder ich esse die Reste vom Crumble von gestern Abend und habe dann wenigstens einen Grund, mich auf den Crosstrainer zu stellen. Oder ich bleibe einfach so hier liegen. Ist das nicht großartig? Wer Betten nur zum Schlafen benutzt, verpasst etwas Gutes. Mein halbes Buch habe ich im Bett geschrieben. Sollte ich noch mal eins schreiben, wird es bei dem genau so sein. Das Finanzamt hätte vollkommen Recht, wenn es mir nach meiner Steuererklärung hämisch und mit schlechtem Atem ins Gesicht lacht, denn dass ich ein Arbeitszimmer absetzen will, ist eine Frechheit. Mein Arbeitsplatz ist hier. Hab ich es wohl gut?
Obwohl ich natürlich innerlich vor Aktivität vibriere, sieht es oberflächlich betrachtet so aus, als wäre ich stinkfaul. Darum muss ich Euch um Entschuldigung bitten, wenn ich jetzt von euch etwas verlange: bitte drückt die Daumen für eine Dame, die ich ziemlich gut kenne. Diese Abkürzungsdame steht, genau wie ich, auf der Liste einer Adoptionsbehörde. Hat allerdings beschlossen, zwei seit langer Zeit eingefrorenen Tiefkühlbrummern noch eine Chance zu geben. Darum nimmt sie seit einigen Tagen Estradiol und hatte auch schon wieder einen Ultraschall, bei dem sie für ausgezeichnete, wunderschöne Gebärmutterschleimhaut gelobt wurde (das vielleicht bizarrste an Kinderwunschbehandlungen sind für mich die Komplimente), morgen muss sie sich zum Zweck besseren Timings eine Brevactid-Spritze geben, um den Eisprung auszulösen, und irgendwann am Montag erfährt sie dann, ob einer der Brummer das Auftauen überlebt hat und wann sie ihn (oder womöglich beide) wiederbekommt. Diese Dame hat inzwischen so viele Rückübertragungen und Warteschleifen hinter sich, dass ihr Bett vermutlich zusammenbrechen würde, hätte sie für jedes Mal eine Kerbe reingeritzt. Ich finde, diesmal könnte es mal klappen. Ihr hoffentlich auch. Darum bitte Daumen drücken! Ob im Schlafanzug im Bett oder im Business-Kostümchen in einem poshen Innenstadtbüro, ist mir allerdings egal.

Samstag, 13. Oktober 2012

Ich brauchte einen Bügelkorb, eine Tonne für das Hundefutter und ein paar Pappkisten für L.

Die lahmarschigsten Menschen der Welt findet man bei Ikea, denke ich jedes Mal. Sie schunkeln und schieben sich im Schneckentempo durch die Wohnausstellung, und das, obwohl sie noch nicht mal stehenbleiben. Vermutlich kaufen die noch nicht mal etwas. Sie möchten einfach nur gaaaanz langsam und unter Ausnutzung der volllllllen Breite des Gangs hier durchkriechen. Und ich hinterher. Ich kann nicht langsam laufen, konnte ich noch nie, das macht mich in der Innenstadt immer schon wahnsinnig. Und jetzt bin ich kurz davor, einfach mit Gebrüll querfeldein über die Sofas wegzuspringen, nur um hier wegzukommen, da sehe ich die Frau: Ungefähr so alt wie ich, mit einer hellblauen Jeans und T-Shirt, und an der Hand hat sie eine von diesen gelben Taschen, die es neuerdings bei Ikea gibt: so eine Art Kiste mit Rollen unten dran, die man hinter sich herziehen kann. In ihrer Tasche sitzt ein Kind. Sie hat die Tasche nach den Seiten und nach oben mit Sitzkissen ausgepolstert, und dazwischen sitzt ihr dreijähriger Junge in seinem Häuschen und quiekt und freut sich, weil Mama es irgendwie geschafft hat, diese breitärschige lahme Herde zu überholen und um die Kurven zu flitzen. Die zwei haben Spaß. Eine Oma bleibt stehen und will ein "Na, was bist du denn für ein..."-Gespräche mit dem Kind anfangen, aber die zwei haben keine Zeit, sie müssen weiter, ist auch egal, wie irgendwelche Omis das finden.
Die Frau wäre ich gern.

Freitag, 5. Oktober 2012

Stände der Dinge.

Weil ein Tag mit solchem Weltuntergangswetter perfekt zum Aufräumen ist, wird heute mal sortiert. Jedes Ereignis, jeder Hirnfurz und jede Gefühlsregung kommt heute in die richtige Schublade. Das wird ein Post wie ein Leitz-Ordner! Seid ihr auch schon so aufgeregt?

1. Kinderwunsch.
Wunsch ist Wunsch, und er ist immer noch quicklebendig. Inzwischen sind wir übern Daumen seit sechs Wochen in der Kartei der Adoptionsbehörde, haben tatsächlich IMMER NOCH kein Kind und hoffen weiter das Beste. Die Schrecken der Adoptionsselbsthilfegruppe (die man vielleicht in Hilfe, Adoptionsgruppe! umbenennen sollte) weichen auch langsam aus dem System wie ein hartnäckiger Schnupfen. (Wieso bin ich eigentlich immer noch so aggro? Vermutlich bin ich einfach der aggressive Typ, weil meine Mutter während der Schwangerschaft beim Tatort dann und wann vor Aufregung den Bauch angespannt hat.) Trotz allen Willens, guter Dinge zu sein, gibt es immer noch diese Momente. Die kennen wir wohl alle viel zu gut. Heute morgen zum Beispiel kam ich vom Spaziergang mit den beiden Hunden. Und genau auf gleicher Höhe auf der anderen Straßenseite schob eine Frau, die mir auch noch ähnlich sah wie gespuckt, einen Zwillingskinderwagen. Ich zwei Hunde, die zwei Kinder - na? Die Symbolik würde wohl auch ein RTL II-Publikum verstehen. Ich habe kurz geschluckt und bin meiner Wege gegangen. Angesichts dessen, dass es MEINE Gebärmutter, MEINE Eileiter, MEINE Myome und MEINE Endometriose sind, die MIR eine erfolgreiche Schwangerschaft vermasseln, während das sonst scheinbar fast jeder Vollhonk hinkriegt (ganz besonders sogar die Vollhonks), dass es in UNSEREM Auto keinen Kindersitz gibt und vielleicht auch nie geben wird und dass ICH die bin, die immer anderen verstohlen auf den Bauch glotzt, ob das eine Schwangerschaft ist oder vielleicht nur ein gesunder Appetit, fällt es mir manchmal schwer, das nicht persönlich zu nehmen.

2. Spocht.
Ich gebe es zu, ich bin ein bisschen abgewichen vom Grünkernbuch. Jetzt bin ich in der Phase, in der ich eigentlich fünf Minuten laufen sollte, dann zehn Minuten lustige Trimm-Übungen im Park, dann noch mal 25 Minuten laufen und dann 5 Minuten Barfußtraining bzw. Barfußschlappentraining auf der Wiese. Diese Muskelübungen sind nicht nur wahnsinnig anstrengend (was ja der Sinn der Sache ist), sondern auch ziemlich peinlich. Die Hundebesitzer aus dem Viertel, die mich alle nur mit Lili und Momo kennen, werden schon witzig genug, wenn ich zur Abwechslung mal in Laufsachen an ihnen vorbeirenne. Mache ich Seitstütze und Käsekästchen, dann wird es zum Kabarett, und Kabarett habe ich schon als Schulmädchen gehasst. Deshalb laufe ich jetzt einfach fünf Kilometer, das dauert so ungefähr eine halbe Stunde, dann gehe ich nach Hause, mache dort im Schutz meiner undurchsichtigen Backsteinwände ein paar Muskelübungen und renne bei Gelegenheit zehn Minuten mit Barfußschuhen durch den Garten, zur großen Freude der Hunde. Das geht ziemlich gut. Auf manchen Strecken kann ich die Hunde sogar mitnehmen, das geht immer dann, wenn wir nicht an einer Straße entlangmüssen. Auf der Waage tut sich immer noch nicht so viel, aber im Spiegel inzwischen schon. Finde ich. L. findet das auch.

3. Haus.
Wir haben den Durchgang zwischen Schlafzimmer und Gästezimmer dicht gemacht, dafür im Gästezimmer einen Teil des hässlichen Einbauschrankes rausgerissen und dafür die alte Tür vom Gästezimmer in den Flur wieder geöffnet. Wenn meine Familie dieses Jahr an Weihnachten zum ersten Mal bei uns feiert, können meine Eltern nachts aufs Klo, ohne auf Zehenspitzen durch unser Schlafzimmer schleichen zu müssen (was uns überhaupt nicht gestört hat, sie aber sehr). Außerdem kriegen wir demnächst neue Fenster, und wenn ich in den nächsten drei Tagen mal irgendwann drei Stunden Zeit habe, pflanze ich zack-zack noch schnell dreißig Pflanzen ein. (Denke ich jetzt. Fragt mich Sonntag noch mal.) Es ist ein großer Nestbautrieb ausgebrochen, den ich so nicht an mir kenne, und es ist ein echter Jammer, dass ausgerechnet jetzt plötzlich so viel zu tun ist, während ich mir noch vor vier Monaten ganze Arbeitstage lang Beschäftigungen suchen musste. Ich glaube, nachher backe ich einen Kuchen, das riecht dann immer so gut, und L. wird ihn schon essen, da habe ich keine Sorge. Immer mal wieder, wenn L. und ich mit dem Auto unterwegs sind, fährt L. durch irgendwelche schicken Wohnviertel, die näher an der Stadt liegen, und dann phantasiert er davon, dass wir ja in ein paar Jahren auch in so ein Haus ziehen könnten. Dann gucke ich im Vorbeifahren auf das Jugendstil-Prachtstück mit seinem Wintergarten und der makellosen Fassade und schlucke und denke, hier kriegt mich so schnell keiner weg. Irgendwann schon, aber nicht für das gleiche in properer und zentraler. Die alte Kiste ist mir wirklich ans Herz gewachsen. Hier wohnen wir.

4. Job.
Schreib ich heute wohl mal nichts zu. Der hat mich gerade sowieso schon 12 Stunden täglich in seinen Klauen und verfolgt mich bis in meine Träume, da kann wenigstens im Blog mal Ruhe sein.

5. Hunde.
Unser Adoptivhund ist glücklich hier. Jedenfalls denke ich das. Als wir sie vor einer Woche von ihrem alten Frauchen wieder in Empfang genommen haben, hat sie fast geschrien vor Freude. Und jetzt trotten und zotteln die zwei wieder einträchtig nebeneinander her, wenn wir uns aufmachen. Sie ziehen zu zweit an ollen (manchmal leider auch neuen) Socken, ringeln sich zu zweit aufs alte Sofa zum Schlafen und begrüßen sich morgens mit einem Nasenstupser. Schlage ich morgens die Augen auf, gucke ich in zwei strahlende Fellgesichter. Ich glaube, das war eine gute Entscheidung, Momo zu uns zu nehmen.

6. Geld.
Wenn ich mal in Ruhe ausrechne, was ich als Selbständige ohne große betriebliche Ausgaben (ein Rechner, über zwei Jahre alt. Dann und wann eine Druckerpatrone. Das war es auch schon fast.) für Abgaben an die Steuer und die Künstlersozialkasse habe, kommen mir die Tränen, und es sind keine Freudentränen. Da hilft nur eins: entweder in die USA auswandern oder Zähne zusammenbeißen und weiter reinhauen, sobald sich die Gelegenheit ergibt. Seitdem ich selbständig bin, habe ich genau zwei Jobanfragen abgelehnt. Eine kam von einer Bumsbude, für die ich ganz zu Anfang zweimal gearbeitet hatte. Ich war wirklich entsetzt und peinlich berührt, wie da gearbeitet wird, wie unseriös die sind, was für ein Quatsch da zu den Kunden geht - und nachdem der Chef ein paar mal ausdrücklich versucht hat, mich zu überreden, während eines Arbeitstages für eine andere Agentur "heimlich" für ihn zu arbeiten, habe ich irgendwann einfach gedacht, der kann sich zur Freelancer-Agentur scheren, und wenn der mir fünfmal den regulären Tagessatz zahlt, ohne mit der Wimper zu zucken. Das andere mal war es ein anständiger Arbeitgeber, ein anständiger Auftrag und überhaupt, aber ich war kurz vor Urlaub, und ihr dürft mich nicht verachten, wenn ich euch jetzt sage, dass ich bei solchen Gelegenheiten bis dahin immer gesagt hatte "ja gut, aber ich hab ja auch im Hotel Internet, gell?" und das irgendwie mitgemacht hatte. Aber diesmal nicht! (Geballte Kinderfäustchen. Gefletschte Milchzähne.)



Donnerstag, 4. Oktober 2012

Hü, Zeitmaschinchen

Gestern vor zehn Jahren war ich plötzlich mit M3 zusammen. Das erschien mir damals als großer Glücksfall. Ich war sogar so wild entschlossen, das für einen Glücksfall zu halten, dass ich meiner inneren Stimme fünf Monate lang jedes Mal barsch über den Mund fuhr, wenn sie mir sagte, das wäre aber nicht so toll, wenn mein Freund nie Zeit für mich hat, weil er jedes Wochenende irgendwem beim Umzug hilft. Oder wenn er unseren Urlaub absagt, weil seine Tante krank ist und er sich um sie kümmern muss, und dann geht er jeden Abend mit seinen Kumpels saufen und nicht mehr ans Telefon. Oder wenn wir uns nur alle drei Wochen mal sehen. Oder wenn er ständig mit Riesentrommelwirbel von dunklen Geheimnissen aus seiner Vergangenheit anfängt und dann plötzlich dicht macht. Oder wenn er regelmäßig Streit mit Wirten anfängt, die morgens um fünf gerne ihren Laden dichtmachen und ein bisschen schlafen würden, obwohl er so gerne noch ein vierzehntes Bier hätte. Irgendwann brüllte die innere Stimme mit einem Megaphon auf mich ein, und gerade als ich anfing, auch mal zuzuhören, löste M3 das Problem von selbst: plötzlich war er nämlich nicht mehr mit mir, sondern mit einer Kollegin von mir zusammen. Einer Kollegin, die einen ca. fünf Zentimeter langen mausbraunen Ansatz in ihrer ansonsten hellgelben Frisur hatte. Einer Kollegin, die so dumm war, dass ich wirklich schon oft peinlich berührt den Raum verlassen hatte, weil ich mein Gesicht manchmal so furchtbar schlecht unter Kontrolle habe. Einer Kollegin, die nicht nur in ihrem Beruf eine glatte 5 war, sondern die auch in der Wahl ihrer One-Night-Stands aus dem Kollegenkreis einen unterirdischen Geschmack bewiesen hatte. Einer Kollegin, von der ich kurz danach erfuhr, dass sie während eines Dates mit M3, als er nur mal kurz Zigaretten holen war, versuchte, einen anderen meiner Kollegen abzuschleppen. Obwohl ich schon überlegt hatte, M3 zum Teufel zu jagen, war ich vollkommen, aber wirklich vollkommen fertig. Jeden Tag musste ich diesen Ansatz sehen. Und sie raffte noch nicht mal, dass ich nun keine Lust mehr hatte, mit ihr zu plaudern. (Noch nie gehabt hatte, aber mach was.) Scheinbar hatte M3 ihr erzählt, das mit mir wäre schon lange, lange her gewesen. Wie auch immer: ich ging zwei Jahre lang durch die Stadt und bildete mir ein, wenn ich auf dem Weg zur Arbeit fünf Autos mit seinem Heimatkennzeichen sah, dann würde es wieder was werden. Ich entwickelte sogar ein untrügliches Gefühl dafür, wann ich ihn treffen würde: das M3-Gefühl. Wenn ich es hatte, konnte ich sicher sein, ihm zu begegnen. Ich hatte eine Reihe von sinnlosen, deprimierenden und vermutlich nicht mal ungefährlichen Affärchen, und irgendwann dachte ich dann auch nicht mehr daran, dass M3 heute Geburtstag hat oder dass wir in genau dieser Bar mal gesessen hatten. Ich glaube, ich hab die Wurst noch nicht mal geliebt, aber trotzdem dauerte der Liebeskummer am Ende viermal so lange wie die ganze schäbige Beziehung. So ist das eben manchmal.

Wie gesagt, damals habe ich den 3. Oktober 2002 als Glückstag empfunden. Heute ist der 3. Oktober 2012 ein Glückstag, weil mir erst einen Tag später wieder einfällt - trotz Feiertag, der eigentlich eine Gedächtnisstütze sein sollte - was da war. War da was? Früher habe ich mir bei M3-Gefühl immer schon mal überlegt, was ich anziehe, wie ich reagiere, was ich sage, wenn er was sagt (und er sagte manchmal eine Menge, manchmal wechselte er auch einfach die Straßenseite) usw., der Abend stand im Zeichen von M3. Heute denke ich eigentlich nicht groß drüber nach. Was sollte ich dem sagen? Vermutlich ist er immer noch süchtig nach dem Gefühl, gerade frisch verliebt zu sein, und diesmal wird alles anders. Wenn es blöd gelaufen ist (für alle Beteiligten), ist eine schwanger von ihm geworden und hat es behalten. Dann hat er eben ein "dunkles Geheimnis" mehr, das er andeuten kann und dann doch nicht verrät. Es gab mal Zeiten, da habe ich mir für ihn so eine Harry-Potter-Karte gewünscht, mit der man immer sehen kann, wo er gerade ist, so dass ich mir überlegen kann, da aufzutauchen oder (meistens) einen Riesenbogen um diese Gegend zu machen. Wieso nur?

Ein echter Glückstag. Ich habe ihn mit L. vorm Ofen verbracht, gearbeitet, alkoholfreies Hefe getrunken, Karten gespielt, Fußball geguckt und bin stramme sechs Kilometer mit den Hunden am Flüsschen entlanggerannt. Ein wirklich, wirklich guter Tag.

Dienstag, 2. Oktober 2012

Frei.

Das Schöne an einem freien Job ist ja die Freiheit, klar. Dass man nach einem Blick aufs Konto einfach sagen kann: diese Woche mal keine Zusatztage, keine Extraaufträge, einfach nichts. Oder: jetzt hau ich mal rein, Aufträge? Immer her damit. Oder auch: Konto, Du bist mir gerade sowas von egal, diese Woche will ich verdammt noch mal einfach nur meine Ruhe, und wenn ich für den Rest des Monats Pellkartoffeln mit Hering esse. Das ist doch das Schöne!

Genau.

Oder so: obwohl ich vor den immer gleichen Menschen gebetsmühlenartig immer wieder erkläre, dass ich nach TAGESSÄTZEN arbeite, nicht nach Pauschalen, dass ich mehrere Auftraggeber habe und dass ich nicht für einen Betrag von, sagen wir mal, 1500 Euro drei Wochen lang in Bereitschaft lauere, jederzeit bereit, loszuspringen und alles stehen und liegen zu lassen, um jetzt sofort zu irgend einem Termin am anderen Ende der Stadt oder des Landes zu kommen, ändert nichts daran, dass anderer Leute Verplantheit mein Leben bestimmt. Dass niemandem mehr zugemutet werden kann, sich zu überlegen, was er eigentlich will, bevor ich Tage in ein Projekt gesteckt habe. Dass... Ich habe mich... oje, jetzt müsste ich eigentlich eine ganz weinerliche Schrift verwenden, falls es sowas gibt. Jedenfalls: ich habe mich wie ein Kind auf diese paar freien Tage gefreut. Vorgestern kamen die ersten Querschläger, Anfragen, Bitten um "nur mal schnell"-Gefallen, 180°-Wenden usw., die an diesen Ferien nagen wollten. Ich habe sie alle abgeschmettert. Sie kamen wieder. Jobs, die längst erledigt schienen, wollen plötzlich unbedingt meine Aufmerksamkeit und, schlimmer noch, meine Zeit. Ich bin so maulig, so stinksauer und so unleidlich, dass nichts anderes hilft, als den nächsten Urlaub zu planen, und zwar schnell. Also gut. Ich beiße auf ein Stück Holz und konzentriere mich auf nächste Woche. Montag: Vollstress. Dienstag: Horror. Mittwoch: Frag nicht. Aber dann. Aber dann. Bitte sagt, dass dann endlich, endlich Ruhe im Karton herrscht. Sonst, es tut mir leid, trete ich den Karton zu Pappmaché.