Dienstag, 31. Januar 2012

Tag 25, zweiter Post: nicht, dass hier jemand denkt, Twitter schluckt zu viel Energie

Kinderwunschbehandlungen, das weiß man, wenn man ab und zu eine Zeitung aufschlägt, Kinderwunschbehandlungen finden nicht alle gut. Aus Gründen, die ich ihnen gar nicht unterstellen will, sind z.B. gerade Eltern mehrerer Kinder, vor allem, wenn sie männlich und etwas älter sind, häufig der Meinung, das wäre widernatürlich, würde irgendwelche höheren göttlichen Regeln brechen (gut, dagegen kann man leider nichts sagen, das ist der Charme und die unverschämte, dummfreche Niedertracht solcher Behauptungen), wäre doch auch nicht nötig und würde im Zweifel nur bedeuten, dass irgendwelche reichen alten Luxuspaare aus Jux und Dollerei oder auch wahlweise „Machbarkeitswahn“ die Krankenkassen schröpfen. Schröpfen! Ich finde Kinderwunschbehandlungen gut und bin froh, dass auch für mein medizinisches Problem eine medizinische Lösung existiert. Andere, die mein Problem nicht haben, lehnen sich gerne satt und zufrieden zurück und finden, das muss doch nicht.

Geocaching dagegen! Kann man irgendein Argument dagegen finden? Abgesehen von „Kinderkram, interessiert mich nicht“ – wogegen sich auch wieder nichts sagen lässt, damit hat sich das Thema dann erledigt, ohne Schaden zu nehmen.

1. Bewegung an der frischen Luft.
Das fand schon meine Mutter immer gut, und ich muss ihr ein bisschen beipflichten: so ein kurzer Kundschaftsgang zum nächstgelegenen Cache erfrischt, macht wach und munter, und gute Laune bekommt man außerdem, zumindest, wenn man fündig wird.

2. Ich fresse weniger.
Diese gewisse Unzufriedenheit, wenn ich in der Mittagspause meinen Teller leer gegessen hatte, ließ sich früher nur beschwichtigen, indem ich mir noch drei Kugeln Eis oder einen Milchreis oder was weiß ich was geholt habe. Jetzt gehe ich nach dem Essen noch einen Cache bergen, und schon fühlt sich alles rund an.

3. Ich gebe weniger sinnloses Geld aus.
S.o.: auch dieses merkwürdige Mittagspausen-Shoppingverhalten fällt jetzt weg. Ich finde, ich habe genug Kleidungsstücke im Schrank, an denen nach einem halben Jahr immer noch die Schilder hängen, und genug seit einem Jahr ungelesener Bücher, die ich mal gekauft hatte, weil am Ende der Mittagspause noch 20 Minuten übrig waren. Jetzt treibt mich meine Unruhe nicht zu Thalia, sondern zum nächsten kleinen grünen Tradi-Symbol auf meinem Telefon.

4. Es macht Spaß.

5. Es füllt eine Lücke, die seit dem Ende der Kindergeburtstage vor fast 30 Jahren niemand füllen konnte.

6. Ich habe mehr von meiner Stadt.
Die Caches locken mich an Stellen, die ich ohne sie vermutlich niemals kennengelernt hätte. Und das Schönste daran: all diese Stellen fühlen sich ein bisschen wie Zuhause an, wenn man den Cache erst mal gefunden hat. Die Stadt bekommt eine zweite Ebene, und an einem Versteck vorbeizuspazieren, fühlt sich so an, als würde einem gerade jemand zuzwinkern. Ich fühle mich in Hamburg schon seit mehr als zehn Jahren nicht mehr fremd, aber müsste ich morgen umziehen, dann wüsste ich, dass ich mir in meiner neuen Stadt als erstes die Caches ansehen und mich mit jedem Fund ein bisschen heimeliger fühlen würde.

7. Lili kann mit.
Im Gegensatz zu meinen vielen Nerdhobbies wie Bloggen, Twittern, Mails schreiben oder Legend of Zelda spielen hat auch das treue Tier etwas davon, wenn wir zusammen aufbrechen. Zwar wird sie mal ein bisschen fiepig, wenn Frauchen seit Minuten im gleichen Gebüsch herumkramt und Tomaten auf den Augen hat, aber im Großen und Ganzen ist sie einverstanden mit unseren kleinen netzgesteuerten Abenteuern.

Das Einzige, wirklich das Einzige, was ich zu meckern habe, ist, dass das GPS mir immer zu schnell den Telefonakku leersaugt. Aber das ist eher ein apple-Problem als ein geocaching-Problem. Geocaching, Yay!!!!

Tag 25

Jetzt ist es raus: Hormone machen doof, einsam und kahl. Nachdem ich mich monate-, ja jahrelang auf der Sonnenseite des Nebenwirkungszettels bewegt habe, bin ich im Moment eine ganz arme Wurst. Ja ja, an der Müdigkeit kann auch der Winter Schuld sein. Aber das ist so eine spezielle Müdigkeit, die hat ein ganz eigenes Aroma. Gestern bin ich um 20:49 zu Bett gegangen, und das, nachdem ich erst um 18:50 nach Hause gekommen war und L. sofort danach eine Stunde lang mit dem Hund unterwegs war. Eine ganze Stunde lang konnte er meine Gesellschaft genießen, während ich zu allem, was er tat und sagte, nur matt „Hm“, „Jaja“ oder auch „Huaaaah, bin ich müde“ sagen konnte. Was genau er gesagt und getan hat, weiß ich leider nicht mehr, ich war zwar äußerlich auf der Couch, innerlich aber im Hormonwunderland, fünftes Untergeschoss. Und das war nicht nur gestern so, dieser Zustand dauert jetzt schon fast eine Woche. Wenn das irgendwann aufhört und meine Freunde nicht mehr ans Telefon gehen und L. sich eine andere angelacht hat, vielleicht eine Jüngere, jedenfalls aber eine Wachere, dann ist das ganz allein meine Schuld. Und die von Brevactid und Crinone. Kahlköpfig werde ich außerdem. Im Moment pflücke ich jeden Morgen nach dem bürsten (und ich bürste inzwischen vorsichtig, ich halte die Haare sogar fest, während ich bürste) ein ganzes Viech aus Haaren aus der Haarbürste. Inzwischen habe ich mehr Haare weggeworfen, als andere jemals hatten. Dieses Hormonhaarwasser aus der lustigen Flasche mit den zwei Hörnchen nützt auch ungefähr so viel, als würde ich damit meine Füße bestreichen.
Gut, an dem Tran könnte notfalls noch der Winter Schuld sein und die gewaltigen Mengen an Wohlfühlessen, die er mich zwingt zu essen. Aber die Haare?
Und immer noch acht Tage bis zum Test.

Und dann wollte ich noch sagen: ruhig, ganz ruhig. Twitter ist keine Gefahr! Jeder Tweet darf nur 140 Zeichen haben. Dieser Post hier hat beispielsweise über 2000. Auch 14.000 gab es mit Sicherheit schon mal. Und es zeigt sich: Kurzfassen ist anstrengend, dieser Telegrammstil ist für eine Quasselstrippe wie mich so etwas wie ein geistiger Bauch-Beine-Po-Kurs. Das hier ist viel gemütlicher. Und nur, weil ich mich im Fitnessclub anmelde, werfe ich doch nicht die Couch und den Fernseher weg. Gerade nicht!

Montag, 30. Januar 2012

Tag 24. Immerhin: wenigstens mein Blog bekommt jetzt Nachwuchs.

Ich gebe zu, für einen erklärten Nerd kommt das reichlich spät, aber vor zwei Minuten habe ich mich bei Twitter angemeldet.
Oha. Und jetzt? Werde ich nach kurzer Zeit am Haken hängen und dann so begeistert zwitschern, dass ich keinen Bock mehr auf die gute alte Tante Blog habe? Fange ich enthusiastisch an, plätschere dann so mit zwei-drei Tweets pro Woche, dann pro Monat dahin und lasse es einfach irgendwann ganz kleinlaut? Wird das alles ganz, ganz peinlich? Oder eher lustig? Oder jedenfalls neu? Oder leider langweilig? Und bekommt das Kleine irgendwann noch Geschwisterchen?
Liebe Abkürzungsdamen, bleibt dran: @falbarelli.

Samstag, 28. Januar 2012

Tag 22

Ich laufe mit Lili durch die Kleingartenanlage, und alles ist gut. Ausnahmsweise verabschiedet sie sich heute nicht durch kaputte Zäune in verwahrloste Gärten, um nach solchen Schätzen wie kaputten Gummibällen zu suchen, wir treffen alle paar Meter einen spielbereiten Hund, seit Wochen werde ich endlich mal wieder nicht nass, der Schnee knirscht unter meinen Stiefeln, und da hinten zeigt sich sogar... warte mal, ist das die Sonne? Kann das sein? Und dabei grinse ich die ganze Zeit in mich hinein, denn da drinnen tut sich was. Ich spür das! Irgendwas ist anders! Ganz sicher! Irgendwas nimmt seinen Lauf. Und dann würde ich mir am liebsten schon wieder eine schallern. Denn genau so war es bisher jedes einzelne Mal. Was reitet mich denn, jetzt wirklich wissen zu wollen, ob sich da drinnen gerade ein kleiner Zellhaufen eingräbt? Kann man sowas überhaupt merken? Das schwatzhafte Internet liefert ca. zwei Milliarden Treffer, wenn man so doof ist, so etwas wie "Einnistung spüren" zu googeln. Und klar, wieso soll man von so etwas Wichtigem nicht auch etwas mitbekommen? Wo doch wir Frauen sowieso so etwas wie ein Urgefühl dafür haben, wenn solche urweiblichen Dinge passieren? Weil ich bisher fast jedes einzelne Mal das Gefühl hatte und bisher kein einziges Kind habe. Vielleicht ist die halbe Brevactid verantwortlich für dieses besondere innere Rumoren, vielleicht Crinone, vielleicht das Wetter, vielleicht pfeift mir auch gerade mein Frühstück durch den Darm.

Also schön, vielleicht ist jetzt ja schon der Zeitpunkt für die Trostliste: was tue ich, wenn es diesmal nicht klappt? Als Erstes: der nächste Versuch wird besser. Denn der Fehler, gegen Ende den Hormonhahn einfach zuzudrehen, mache ich nicht noch mal, und so lange ich bei klarem Verstand bin (Harr!) auch meine Ärztin nicht. Dann können wir außerdem alles über die Krankenkasse abrechnen, während wir diesmal 80% der Medikamente allein bezahlen müssen, egal ob Krankenkasse oder nicht*. Es bestünde die Chance, mit den Mädchen im August noch mal in die Sonne zu fliegen - wenn ich jetzt schwanger werde, bin ich im August im achten Monat, das würde schwierig. Sehr schwierig. Wer will schon den Inhalt einer geplatzten Fruchtblase in seinem Pool? Mit dickem Bauch im sechsten Monat die Poolmutti spielen würde dagegen 1A funktionieren. Und ich würde noch am Tag des negativen Tests in mein altes, feines Fitnessstudio Meridian laufen und Mitglied werden. Wenn man in einem Altbau aus den Zwanzigern mit einfachen Scheiben lebt, wächst die Sehnsucht nach einer gepflegten Saunalandschaft ab der zweiten Augusthälfte ins Unermessliche.
Aber erst in elf Tagen. Erst dann.

* Hab ich schon erzählt, dass wir uns laut Rückübertragungsarzt auch erst nach dem Test dafür entscheiden können, diesen Versuch abzurechnen? Sollte der Test positiv sein, machen wir das natürlich. Ist er negativ, darf die Kasse nächstes Mal ran.

Freitag, 27. Januar 2012

Tag 21: eine halbe Brevactid und ein Wortschwall

L. hadert seit vielen Jahren damit, dass ich so gerne esse und koche. Genauer gesagt ist manchmal nicht sicher, dass er nicht vielmehr damit hadert, dass er selbst so gern isst. Für mich gibt es kaum einen größeren und harmloseren Spaß auf diesem Planeten als Essen und das Planen und Zubereiten von Mahlzeiten, L. dagegen macht das nervös, wenn er mich auf meiner Betthälfte quasi nicht mehr erkennen kann, weil ein riesiger Stapel mit Post-Its verklebter Kochbücher zwischen uns aufragt. Mich macht es zufrieden, wenn der Kühlschrank so voll ist wie ein fast verlorenes Tetris-Spiel, ihn versetzt es in Panik. Der Grund ist, dass er sich beim Essen absolut niemals beherrschen kann. L. hat schon allein auf dem Sofa eine zwei-Liter-Packung Eis aufgegessen, und danach geht er an den Kühlschrank. Einmal habe ich für seinen Cousin zum Geburtstag einen Kuchen von Nigella gebacken, den Guiness-Kuchen. Die dunkle Teighälfte war schon fertig, und ich wollte mich gerade an die helle Creme (den "Schaum") machen, da stellte ich fest, dass L. in den zwei Stunden seit meinem Einkauf beide Packungen Philadelphia aufgegessen hatte. Also machte ich mich noch mal auf den Weg zu Edeka. Als ich zurück kam, hatte L. von dem noch unglasierten Kuchen ein Viertel aufgegessen. Eine Stunde später stand ich in der Küche des Cousins und musste erklären, warum der Geburtstagskuchen so merkwürdig aussieht. Es kam auch schon mal vor, dass ich erwartungsfroh ein Stück Ziegenkäse aus dem Papier wickele und auf ein Stück Käserinde mit einer gewaltigen Bissspur starre. Immer macht L. gerade irgend eine Diät, die dafür sorgt, dass ich für mein leckeres Essen ständig Vorwürfe zu hören bekomme, weil ich wieder nicht daran gedacht habe, dass es nach 16 Uhr keine Kohlenhydrate oder irgendwas geben darf, und dann ist ihm danach und er bestellt sich an einem Abend zwei Pizzas und eine Packung Ben & Jerry's dazu. Ende November backe ich Plätzchen und stehe einen ganzen Samstag fluchend und klebrig in der Küche, und eine Woche später sind nur noch Krümel in den Keksdosen, wenn ich sie nicht verstecke, was mir gegen den Strich geht, weil ich mich nicht fühlen will wie eine Haushälterin aus einer ZDF-Vorabendserie, die machen so was immer: Essen verstecken, damit die Schlingel da nicht rangehen. L. ist wahnsinnig kiebig, was die Hälften des Bettes angeht. Man sollte es nicht meinen, aber manchmal glaube ich, gleich stellt er einen Diercke Weltatlas aufgeklappt zwischen unsere Kopfkissen. Ich liege links und wälze mich zum Lesen gerne auf die rechte Seite, und dann kommt nunmal eine Kante meines Buches gerne auf seine Hälfte. "Seine Hälfte!" Lächerlich. Trotzdem hatten wir deshalb schon richtig Krach. L. hat die enervierende Angewohnheit, manche Arbeiten im Haushalt anzufangen und dann liegen zu lassen. Mein voller Kühlschrank macht ihn nervös, siehe oben, und dann reißt ihm der Faden, und obwohl voll nicht gleich dreckig ist, räumt er an einem Nachmittag, während ich auf der Arbeit bin, alles raus. Dann komme ich nach Hause und kann mich in meiner klitzekleinen Küche kaum bewegen, weil sich auf jedem freien Quadratzentimeter irgend eine Käse, Butter oder eine asiatische Paste befindet, und dazwischen liegen die Regalböden und Türfächer, alle ungespült. "Was soll das denn?" frage ich, und L. bricht in einen Minivortrag über Hygiene im Kühlschrank aus und dass ich ja wohl von alleine niemals den Kühlschrank sauber machen würde, immer muss er das machen. Problem ist nur, er macht es nicht: er räumt ihn nur aus, und wenn ich nicht alle meine Lebensmittel wegwerfen will, muss ich jetzt selbst all diese kleinen Plexiglasdinger spülen, abtrocknen, wieder einbauen und alles wieder einräumen, und zwar vollkommen unabhängig davon, ob ich eigentlich gerade etwas Wichtigeres und Besseres zu tun habe und sowieso morgen den Kühlschrank machen wollte. Trotzdem ist L. danach der Meinung, zum Glück würde wenigstens einer hier den Kühlschrank sauber machen, nämlich er. Ähnlich läuft es mit dem Bett: L. zieht das Bett ab, wirft die alte Wäsche in die Truhe und verlässt stolz über sein Werk das Schlafzimmer. Und wenn ich Abends todmüde ins Bett will, liegt es an mir, jetzt noch ohne Kontaktlinsen schnell das Bett zu beziehen und die alte Wäsche in die Maschine zu stecken. Trotzdem ist L. der Meinung, immer würde er das Bett beziehen. L. kann aus kleinstem Anlass wahnsinnig wütend werden, manchmal vergehen mehrere Tage, an denen ihm nichts passt, was ich tue, sage oder lasse. Er weigert sich, Taschentücher zu benutzen, was mich wahnsinnig macht. Es nervt ihn, wenn er einen Film oder eine Serie mag und ich sie ihm abgucke. Oft packt es ihn, und dann nervt es ihn sogar, wenn ich im gleichen Zimmer bin - auch wenn, wie heute z.B., das gleiche Zimmer das Schlafzimmer ist und ich einfach nur den Wunsch habe, nach dem Hundespaziergang noch eine Stunde im Bett zu liegen und Zeitung zu lesen, ob er nun daneben liegt oder nicht. Dann weiß ich nicht, was er will, und er weiß nicht, was genau daran so schwer zu verstehen ist. L. mag es nicht, wenn unsere ebenerdige Dusche nach dem Duschen nass ist, und um das zu beheben, wirft er nach dem Duschen oft mein Handtuch in die Dusche, und wenn ich dann aus der Dusche steige, ist mein Handtuch nass und kalt. L. ist als Beifahrer so furchtbar, dass ich, seitdem wir zusammen sind, nur zwei mal sein Auto gefahren habe. Beides waren medizinische Notfälle, und die Entfernung betrug nie mehr als einen Kilometer. Und ich fahre gerne Auto! Liebe Abkürzungsdamen, würdet ihr mir bitte glauben, wenn ich euch jetzt sage, dass ich mir nichts Schöneres vorstellen kann, als mit genau diesem L. ein Kind zu bekommen? Dass ich mir keinen besseren Vater vorstellen kann und niemanden, mit dem ich mir lieber die Nächte um die Ohren hauen will, weil Krümel ein Furz quersitzt? Dass ich fast zum Heulen gerührt bin bei der Vorstellung, wie er sein neugeborenes Baby in den Armen hält?

Donnerstag, 26. Januar 2012

Merkt ihr was? Madame hat Oberwasser.

Heute morgen, als ich von meiner Rückübertragung kam, habe ich entsetzlich gefroren. Schuld war meine Eitelkeit: alle meine Jacken sind gerade irgendwie angeschlagen, haben Löcher, Flecken, fehlende Knöpfe und infolgedessen lustig abstehende Schulterklappen, Risse oder sind einfach rundum so fadenscheinig, dass ich mich schon geniere, wenn ich sie schon wieder zu dem netten verhuschten türkischen Schneider trage, der retten soll, was nicht mehr zu retten ist. Bis auf eine Jacke, die neue. Diese Jacke ist die perfekte Jacke für Temperaturen um 12 Grad, denn sie sitzt knackig und um so knackiger, wenn ich nur ein langärmliches Shirt darunter trage und keinen Norwegerpulli. Also bin ich in der neuen Jacke - Krümel soll schließlich nichts Schlechtes von seiner Mutter denken - mit einem langärmligen T-Shirt unterwegs gewesen. Und dann saß ich in der Ubahn und war gerade so weit wieder augetaut, dass ich meine Finger wieder schnell genug für mein iphone bewegen konnte, da hielt der Zug an, alle mussten raus, und der nächste sollte erst in sieben Minuten kommen. Das hat man nun davon, dass man nicht einfach so wie andere Leute Kinder kriegt, sich darum irgendwann einen Hund kauft, der einem alle Mängel der Innenstadt überdeutlich vor Augen führt, infolgedessen ein Haus mit Garten braucht und sich das nur in Gegenden leisten kann, von denen viele Hamburger kaum wissen, wo die liegen, geschweige denn, ob da überhaupt eine Ubahn hinfährt. Tut sie nicht, in diesem Fall. Sieben Minuten! Zwei davon stand ich vibrierend vor Kälte auf dem Bahnsteig und starrte ins Leere, während ich versuchte, mich irgendwo in meinem Inneren auf etwas Warmes zu konzentrieren. Dann ging ich ins Büdchen und kaufte mir einen großen Kaffee, damit das Warme in meinem Inneren ein bisschen Verstärkung bekommt. Außerdem bin ich eine große Anhängerin der Gentrifizierung: überall wird darüber geranzt und gemault, ich dagegen wäre glücklich, wenn ich in Laufweite meines Zuhauses einen Capuccino kriegen könnte oder einen Haarschnitt, der mich nicht in den Untergrund zwingt. Und junge Damen in Röhrenjeans und knackigen Jacken mit einem Kaffeebecher in der Hand sind für Gentrifizierung so in etwa das, was weiße Tauben für den Frieden sind. Kaffee also, yay! Kreisch! O Gott! Kaffee! Ist das hier nun ein Kinderwunschblog oder ein Blog, der sich die Zerstörung ungeborenen Lebens auf die Fahnen geschrieben hat? Und hier kommt sie, meine Mitteilung: ich werde die nächsten 13 Tage (und wenn es gut läuft, die 36 Wochen danach) nicht hysterisch werden, das habe ich mir fest vorgenommen. Nach reiflicher Überlegung bin ich zu dem Schluss gekommen: wenn Kaffee, Alufolie, die Sorte Parmesan, die Miracoli beigelegt ist, Schwimmbäder, Sport, nicht zu heiße Sauna und flotte lange Spaziergänge Embryonen vernichten würden, dann glaube ich nicht, dass die Pillen- und Kondomindustrie auf irgend einen grünen Zweig kämen. Jaja, ich lasse das mit dem Alkohol, mit dem rohen Fisch und Fleisch, mit der luftgetrockneten Salami, dem Rohmilchkäse und dem Crack, aber das war es dann auch. Jetzt habe ich gerade erst die kleine Wurst in Bauch. Und schon führe ich mich auf wie die matronenhafte Mutter von acht Kindern. Wie lange dieser Zustand wohl anhält? Willkommen in der mit 13 Tagen längsten Achterbahnfahrt von Hamburg.

Tag 20

Krümel ist an Bord nach der bisher zwick- und kneif-freiesten Rückübertragung von allen. Ich hatte schon Tampons, die unangenehmer waren als das metallene Spreizgerät heute. Jeden Tag soll ich eine Crinone nehmen, und zur Abwechslung hab ich mal Glück: 13 Röhrchen habe ich seit fast einem Jahr ganz oben auf dem Bücherregal herumfliegen, und 13 Röhrchen sind genau so viele, wie ich bis zum Testtag brauche. Ich muss also nicht den Gegenwert einer Handtasche für eine Tasse voll weißer Schmiere ausgeben. Sollten wir dann noch mal nachlegen müssen, darf ich jederzeit auf Uterogest umsteigen. Morgen soll ich mir außerdem ("übern Daumen?" "Genau, übern Daumen") eine halbe Brevactid spritzen, die halbleere Spritze in den Kühlschrank legen und Dienstag in fünf Tagen die zweite Hälfte spritzen, laut Rückübertragungs-Arzt heute erhöht das die Chancen für Krümel und mich. Krümel ist übrigens eine A-Zelle, und ich bin mir nicht sicher (bin extrem faul, wenn es darum geht, meine eigenen alten Einträge zu lesen), aber ich glaube, einen Einserkandidaten hatte ich noch nie. Jetzt also alles auf Krümel. Mittwoch in 13 Tagen ist Test. Zwei Tage später kommen meine Eltern für ein paar Tage, ich hoffe, ich hab ihnen was nettes zu erzählen und muss mich nicht wieder mit meinem Vater darüber streiten, dass ich nicht glaube, um Max Goldt zu zitieren, dass Adoptierte den Tod ins Haus bringen. Liebe Abkürzungsdamen, wieder mal bin ich vollkommen geplättet, wie viele Menschen, die ich noch nie im Leben gesehen habe, mir hier die Daumen drücken und mitfiebern beim Schicksal mit ihnen nicht verwandter Eizellen. Es ist, als hätte Krümel jetzt schon hunderte von Tanten!

Mittwoch, 25. Januar 2012

Tag 19

Sie hat sich befruchtet, die kleine Maus. Und jetzt ruht das komplette kuhäugige, naive Baby-Gehoffe auf ihren noch nicht vorhandenen Schultern. Noch nicht mal ein Zwölfzeller und schon ein Opfer zu hoher Erwartungen der Eltern. Morgen um zehn nach zehn kommt sie wieder an Bord.

Dienstag, 24. Januar 2012

Tag 18

1. Eine kümmerliche Zelle. Und zwar vermutlich deshalb, weil ich Freitag meine letzte Menogon hatte. Und ich sag noch, "schreiben Sie mir ruhig noch eine Packung auf, wir können uns das leisten." Und sie sagt noch "das muss doch nicht sein, Clomifen funktioniert genau so gut." Und jetzt sind all die schönen Zellen auf den letzten Metern verhungert, und ich habe eine Eizelle, die zur Sicherheit per ICSI befruchtet wird - und ich könnte mir vorstellen, der Zusatzpreis der ICSI wird sich zumindest ein Fitzelchen über den Kosten für eine Zehnerpackung Menogon bewegen.
Ich weiß auch nicht, so richtig kann ich mich gerade nicht aufregen. L. dafür um so mehr. Und jetzt schlafe ich erst mal meinen Narkoserausch aus.

Montag, 23. Januar 2012

Tag 17

Wieso ist das so hell hier? Und warum liege ich nicht in meinem Bett? Sondern bin komplett angezogen und habe einen Bildschirm vor mir? Wartet mal. Moment.
Liebe Abkürzungsdamen, in den letzten Tagen dachte ich manchmal, diese IVF träume ich nur, so wenig habe ich von den Medikamenten mitbekommen. Dabei haben die sich in meinem Körper nur zusammengerottet, um ihre Kräfte zu bündeln für die große Attacke. Die gestern Morgen gestartet wurde, und jetzt bin ich trotz zehn Stunden Schlaf so müde, dass sich jede Bewegung anfühlt, als müsste ich durch Honig schwimmen. Was Müdigkeit betrifft, bin ich ein wettergegerbter Veteran: zwanzig Jahre Schlafstörung verknüpft mit der strikten Weigerung, jemals auch nur eine Schlaftablette zu schlucken, machen hart. Aber das hier ist neu. Gestern Abend um Punkt halb zehn war die Brevactid für den Eisprung fällig, und ich war so in Panik, das zu verpennen, dass ich mir am Ende drei Wecker gestellt habe, und auch so war es ab 18 Uhr schwierig, ganz schwierig. Der Tatort war auch keine Hilfe. Ich weiß nicht, wie es anderen Abkürzungsdamen geht, aber ich hoffe, wenn ich jemals Opfer eines Verbrechens werden sollte, dann passiert das nicht im Saarland. Und wenn ich mir noch was wünschen darf, dann möchte ich bitte nie wieder einen Tatort sehen, in dem man dauernd diese komischen Flashbacks oder Träume irgendwelcher Leute sieht. Ich will Ermittlungsarbeiten sehen und Verhöre und nicht solchen schmierigen Schluderkram. Drehbuchschreiber, gebt euch mehr Mühe bitte! Ich hab mir sagen lassen, dass man für ein Tatort-Drehbuch 25.000 Euro bekommt, und zwar JEDES EINZELNE MAL, wenn der Tatort gesendet wird. Dafür kann man doch etwas mehr Einsatz erwarten?

„Was redet die denn da von Tatorten und Drehbüchern, wir wollen Hormone!“ Hab ich aber heute nicht, heute ist hormonfrei.

Samstag, 21. Januar 2012

Tag 15 mit Vorschau auf 16, 17 und 18.

Rechts: eine ziemlich kräftige Eizelle, zwei kleine Mücker.
Links: sieben bis acht Kaventsmänner. Und das trotz zaghafter, fast schon zärtlicher Stimulation. Links: sehr schön gemacht, Mutti ist hochzufrieden.
Rechts: du, lieber anderer Eierstock, wirst vermutlich nicht für meinen Nachwuchs verantwortlich sein. Aber gräm dich nicht, ich bin dir nicht böse. Ich habe beschlossen, dich ab sofort als eine Art dowager duchess, gespielt von Maggie Smith, zu sehen. Du brütest und grantelst so ein bisschen vor dich hin, kommst ab und zu unangekündigt vorbei und hältst nicht viel von solchem neumodischen Kram wie hormonellen Befruchtungsabenteuern. Manchmal rollen wir hinter deinem Rücken die Augen, aber trotzdem wäre es ohne dich nicht das Gleiche.

Wie geht es jetzt weiter? Ich schreibe das nicht auf, weil ich glaube, dass ihr das alle für so höllisch interessant haltet, sondern weil ich es sonst in fünfzehn Minuten spätestens vergessen haben werde.
Also.
Heute (Tag 15): Abends zwei Clomifen, eine Cetrotide.
Morgen (Tag 16): Am späten Nachmittag eine Cetrotide, um punkt 21:30 die Eisprungspritze, und zwar Brevaktid.
Montag (Tag 17): machen wir mal Hormonblau.
Dienstag (Tag 18): Mit L. in die Praxis um halb neun, Punktion um halb zehn.

Ich erwische mich dabei, wie ich mir im Viertel geparkte Autos ansehe und überlege, welche Sorte Familienauto wir dann für die Zwillinge kaufen. L. hängt an seinem ollen Zuhälterzweisitzer, ich würde es nicht übers Herz bringen, die beiden zu trennen, also läuft es für mich auf eine schäbige unambitionierte Schleuder hinaus, die ich trotz der Hamburger Zündelgangs auf der Straße parken kann, ohne deswegen zu hohen Blutdruck zu bekommen. Ich denke über Namen nach. Natürlich rechne ich fest mit Zwillingen, und zwar zwei Mädchen, aber vermutlich werden es zwei Jungs. Müssen wir uns an die Familientradition halten und den Jungen mindestens mit Zweitnamen Henry nennen? Wie schon L.s Ururgroßvater? Finden wir Zweitnamen nicht sowieso affig und protzig? Wenn sie nach L. kommen, werden sie die ersten 18 Jahre ihres Lebens ziemlich hässlich sein und erst danach gewaltig aufblühen - gar nicht so schlecht, so werden sie gezwungen sein, Humor zu entwickeln, und mir bleibt es erspart, schon in etwas mehr als 15 Jahren Sexgeräusche aus dem Kinderzimmer ertragen zu müssen, weil das alles erst losgeht, wenn die Kleinen ihre erste eigene Wohnung haben.
So mache ich mir meine warmen Gedanken, während ich mit meiner Medizintüte von der Bahn nach Hause spaziere. Und ein großer Teil von mir denkt, Mäuschen, aber du bist wirklich selbst Schuld, wenn in zwei Wochen alles schon wieder heulendes Elend ist, während ein etwas kleinerer Teil hartnäckig darauf beharrt, dass es diesmal klappt. Diesmal sind wir dran.

Tag 15.

Ein Hoch auf harte Geschmackserlebnisse am frühen Morgen! Ich muss keinen Kater haben, um mich zum Frühstück über Hering in Currysauce, Matjestartar oder blutiges Fleisch zu freuen. Gerade bin ich zwischen Roastbeefsandwich Nr.2 und 3, ich kann sagen, ich erwärme mich gerade für eine Kombination aus Mayo, scharfem Senf und einem Hauch von Wasabi. Und dann ist das Schlachtfest auch erst mal beendet. Obwohl L. nur zwei bescheidene Scheibchen genommen hat, habe ich wirklich fast alles ratzeputz und ohne Qual aufgegessen: jede einzelne Wellenschnitt-Fritte, jedes kleine Kleckschen Béarnaise, jede Faser von diesem großzügigen, artgerecht aufgewachsenen und extrem gut abgehangenen Rind.

Das war schön. Eine feine Sache, einen Haken hinter einen seit Jahrzehnten gehegten Traum machen zu können.

Aber ich komme schon wieder ins Faseln und halte mich hier mit Dingen auf, die doch ganz klar unter das Label "Normales Leben" fallen und damit gerade überhaupt niemanden hier interessieren! Und das, obwohl es doch auch Entwicklungen an der IVF-Front gibt. Gestern Abend habe ich meine letzten beiden Clomifen geschluckt, mir die letzte Dosis Menogon gespritzt und mir meine erste Cetrotide* gesetzt. Die muss laut Apotheker auf die Seite des Bauchnabels gespritzt werden, wo ich mir Sekunden vorher NICHT die Menogon gespritzt habe. Scheinbar reagiert Cetrotide etwas zickig, wenn es mit fremden Kindern spielen soll. Und dabei ist etwas Gruseliges passiert, das noch nie da war: es hat geblutet wie irre. Erst dachte ich, das Tröpfchen wischst du mit dem Alkoholtupfer weg. Dann war da ein neues Tröpfchen, das ruckzuck zum Bund meiner Jeans gekullert war. Dann noch eins. Ungefähr zehn Minuten lang war ich damit beschäftigt, das zu stoppen. Erst packte mich leichte Panik der Machart "Oh nein, jetzt hast du dir diese zwielichtige Substanz in die Blutbahn injiziert, und nu?", aber als zwei Stunden später immer noch nichts weltbewegendes passiert war und die blutige Jeans sich schon wieder im Trockner drehte, habe ich mich dann auch wieder beruhigt. Heute Abend gibt es Cetrotide Nr.2. Und um halb zwölf muss ich zum Ultraschall.

*Cetrotide geht so: großes, vielversprechendes Kästchen öffnen. Darin eine lange, mit Flüssigkeit gefüllte Spritze, zwei unterschiedlich lange Nadeln, zwei Alkoholtupfer und ein Glasfläschchen mit einem weißen Pulver. Vom Fläschchen machen wir als erstes die blaue Plastikkappe ab. Dann nehmen wir das Schutzhütchen von er Spritze und setzen die lange Nadel drauf, von der wir wieder das Hütchen abziehen müssen. Dann stechen wir die Nadel in die Mitte der Membran, die das Pulverfläschchen verschließt, und spritzen den Inhalt der Spritze in das Fläschchen. Kurzes hin- und herbewegen des ganzen Ensembles, nicht zu wild, damit das nicht so viele Luftbläschen gibt, und dann ziehen wir möglichst geschickt die komplette jetzt glasklare Flüssigkeit zurück in die Spritze. Hütchen wieder auf die lange Nadel, lange Nadel wegwerfen, kurze Nadel aufsetzen, Hütchen lockern. Mit Alkoholtupfer Bauch desinfizieren, warten, bis es getrocknet ist (dann piekst es weniger), Bauchröllchen abkneifen und Spritze rein. Langsam den Inhalt unter die Haut spritzen, dann die Spritze noch zwei-drei Sekunden drin lassen und dann erst rausziehen. (Bei mir sorgt das dafür, dass nicht so viel klare Flüssigkeit aus dem Einpieksloch wieder herausquillt.) Alles entsorgen, ins Wohnzimmer gehen und vor Ehemann damit protzen, wie tapfer man war und wie entsetzlich schmerzhaft und schwierig das alles war.

Zwei Beschwerden habe ich übrigens noch, und das, obwohl ich ja sonst immer ein einziges Loblied auf IVF und all ihre Medikamente gesungen habe. Pharmariesen, ich bin euer Freund! Ohne euch kein Baby für mich! Aber zwei Dinge könnten noch ein bisschen besser sein:

1. Habe ich mich jetzt schon ungefähr achtmal übel gepiekst beim Versuch, diese blöden Hütchen von den Nadeln runterzubekommen. Es ist immer ein unfassbares Gefruckel, und dann löst sich die Kappe plötzlich doch, und vor Schreck will ich sie wieder aufsetzen, und ZACK! hab ich die Nadel, und zwar die dicke böse, einen Zentimeter tief in der Fingerkuppe oder im Handteller stecken. Aua! Muss das sein? Wie wäre denn so ein Mechanismus wie "im Uhrzeigersinn aufschrauben, eine halbe Drehung weiter, und die Kappe geht ab"? Oder so? Nachdem ich dieses Mal ja mit Sicherheit schwanger werde, wird mir das nicht mehr zugute kommen, aber auch andere kinderlose Frauen haben Fingerkuppen und Handteller!

2. Finde ich, die Ampullen mit der Menogon- Flüssigkeit müssten sich leichter knacken lassen. Ich wickle sie jedes Mal in ein Stück Küchenpapier, dann drücke ich und drücke und ruckele sanft in alle Richtungen, die mir einfallen, und irgendwann macht es knirsch, und ich kann froh sein, wenn erstens jetzt nicht sieben winzige Splitterchen auf dem Fußboden meines Arbeitszimmers liegen und sich demnächst in meine Füße bohren und wenn zweitens wenigstens noch ein Bruchteil der Flüssigkeit für mich übrig ist. Wie viel mehr würde es kosten, einfach ein Gefäß mit einem Schraubverschluss oder einem Klebedeckel über der Öffnung zu produzieren? 50 Cent? Könnte man das nicht machen? Ich bin ja eigentlich ganz zufrieden und habe schon lange keine Angst mehr vor Spritzen, und ich male mir auch nicht dauernd aus, was alles schief gehen kann, aber angenommen, das hier wäre mein erster Versuch und ich würde allein und ziemlich verängstigt in meinem Bad hocken und versuchen, das hinzukriegen, dann wäre ich mit Sicherheit nicht begeistert von der Aussicht, mir meine Lösungsflüssigkeit aus sieben verschiedenen Scherben zu saugen. In meiner Menogon-Packung waren zehn solche Ampullen. Bei einer einzigen ist das Glas an der Stelle gebrochen, an der es brechen sollte. Kein guter Schnitt.

Freitag, 20. Januar 2012

Tag 14. Eizellen brauchen Eiweiß? Sollen Sie haben.

Als ich sieben Jahre alt war, habe ich pro Woche 50 Pfennig Taschengeld bekommen. Dass man da nicht anfängt, auf eine Eigentumswohnung zu sparen, ist wohl klar, aber auch so blieb nicht viel übrig davon, denn bei uns Zuhause galt die Regel, dass "Killefitt", also fancy Radiergummis mit Sarah Kay drauf oder Uhu Fingerkleber oder auch Chips vom Taschengeld bezahlt wurden.

Ach, Chips. Ungefähr zehn Minuten dauerte der Heimweg vom Spar aus, und auf diesem Weg versuchte ich, meine 49-Pfennig-billig-Chips so langsam und genießerisch zu essen wie nur möglich. Meistens war ich so ungefähr bei Chip Nr.15, wenn ich zuhause ankam. Der Rest kam in eine leere Dänische-Butterkekse-Dose und hielt bis zu zwei Wochen vor. Damals habe ich mir oft ausgemalt, wie das sein muss, erwachsen zu sein. Abgesehen davon, dass man seine Abende in Bars verbringt, wie man sie aus "Derrick" kennt, würde ich doch gewaltige Summen zur Verfügung haben, um Chips zu kaufen? Und dann stellte ich mir vor: irgendwann, eines Tages, wenn du mal wirklich, wirklich reich bist, dann kaufst du dir so viele Chips, wie du nur essen kannst. Bis wirklich kein Krümelchen mehr reinpasst!
Genau so gerne habe ich davon geträumt, mich einmal im Leben bei McDonalds so vollstopfen zu dürfen, bis nichts mehr geht. Davon träume ich ehrlich gesagt heute noch manchmal, und irgendwann, was soll's, sollte ich es vielleicht einfach mal tun. (Auch hier war Knappheit der Auslöser für den Fetisch: als Kinder durften wir nur zu McDonalds, wenn wir beim stundenlangen knallöden Einkaufsbummel durch solche Wahnsinnsläden wie Peek & Cloppenburg "brav" gewesen waren, wobei brav hieß: kein einziges böses Wort, Mundwinkel stramm nach oben, alles super finden, was Mama uns kaufen will, und wehe, es kommt zu solchen Anwandlungen wie "aber ich WILL gar keine Sandalen haben! Sandalen sind doof!". Und wenn wir dann all das getan bzw. gelassen hatten, dann bekamen wir eine kleine Tüte Pommes und mussten uns zwischen Hamburger und Cheeseburger entscheiden. Ein Big Mac war außerhalb jeder Diskussion. Wir armen, armen Kinder.)
Beides sind Träume, die doch eigentlich sehr leicht erfüllbar wären. Trotzdem müssen sie noch ein bisschen warten. Denn heute ist ein anderer Traum dran: der Traum, einmal so unfassbar pervers viel blutiges Steak mit Fritten und Sauce Bearnaise zu essen, wie ich nur kann.

Zu diesem Zweck bin ich heute morgen beim Metzger meines Vertrauens in der Osterstraße gewesen und habe ein 1,8 kg schweres Stück Hochrippe mit Fettrand und Knochen gekauft. Zartbesaitete und Vegetarier wegsehen, so sieht es aus:


Nein, ich mache das nicht jeden Tag. Wie gesagt, es ist das erste Mal im Leben. Nein, mir ist auch das Schicksal des Rindes nicht egal, aber wenn es schon geschlachtet wird, ist es doch schöner, als Fest zu enden als als eingeschweißte Plastikwurst.

Morgen gibt es Blinis. Und vermutlich ziemlich viele Roastbeefsandwiches.

Donnerstag, 19. Januar 2012

Tag 13 macht sich

Und in dem Moment, in dem ich "Post veröffentlichen" anklicke, höre ich unten die Post durch den Türschlitz flutschen. Und es gibt großartige Neuigkeiten: nach annähernd drei Monaten Bedenkzeit hat sich meine Krankenkasse nun gemeldet und sich dazu durchgerungen, mir auch noch IVF Nr.4 mitzufinanzieren, weil bei IVF Nr.2 - Die Würmchen-IVF, wir erinnern uns - immerhin ein Herzschlag zu sehen war, bevor dann alles wieder futsch war. Ist das ein Trost dafür, in einem Land zu leben, in dem wir uns solches Wetter und solche Supermärkte gefallen lassen müssen? Ein bisschen schon. Werde ich jetzt eine halbe IVF für Eppendorfer Rindfleisch ausgeben? Ich glaube, da fällt mir noch was anderes ein. Hätte die Krankenkasse sich damit nicht ein bisschen mehr beeilen können? Scheinbar nicht.

Tag 13

Auf dem Ultraschall glotzt mein linker Eierstock mich mit zwei großen, schwarzen, dummen Äuglein an. Rechts ist es nur eins. Das heißt, drei, die auf einem guten Weg sind, und daneben noch vier, fünf, sechs andere, die noch ein ordentliches Stück vor sich haben, falls sie es überhaupt schaffen bis zur Punktion. Heute noch mal Menogon und Ovitrelle, morgen auch, und morgen und übermorgen Cetrotide dazu.
Hm. Ich weiß nicht, ob es mir jetzt aufs Gemüt schlägt, dass nicht alle Eizellen so tun, wie sie sollen. Immerhin ist es gerade mal ein paar Tage her, dass ich ganz bescheiden gezirpt habe, eine oder zwei nette Zellen wären doch eigentlich genau richtig. Aber irgendwann auf dem Weg setzt dann scheinbar diese unseriöse und etwas peinliche Gier ein. Vielleicht geht mir auch nur das Wetter auf den Nerv. Oder vielleicht ist heute auch einfach nur ein nerviger Tag: gleich muss ich zum dritten Mal an einem Tag zu Edeka, weil ich schon wieder etwas vergessen habe, ständig wird man nass und ist immer gleichzeitig zu warm und zu kalt angezogen, und dann hat mich auch noch wieder mal mein heiliger Zorn auf die miese Lebensmittelindustrie, die Supermärkte und all die kreuzdämlichen Leute da draußen gepackt, denen es scheinbar scheißegal ist, was sie essen. Kann das sein (geht schon wieder los), dass ich in einem Supermarkt zwar keinen Weißweinessig und nicht die extrem leckeren und gängigen Fleischsorten bekommen kann, die ich brauche, um mir eine schöne Demnächst-schwanger-Henkersmahlzeit zu kochen, und dass es außer krauser Petersilie und Schnittlauch keine frischen Kräuter gibt, während irgendwelcher Microwellenmüllfraß aus Industrieabfällen und grausam gequälten Tieren 80% der Fläche schluckt? So, und nun regt sich die demnächst schwangere Tante mal wieder ab und legt sich still und kleinlaut Fischstäbchen, eine Familienpackung Monte und zwei Tafeln Schokolade mit Kokos in den Wagen. Guckt euch das Wetter an, was soll ich machen? Morgen muss ich also für das letzte blutige Steak meiner Träume nach Eppendorf zu einer Angebermetzgerei fahren, und wehe, das schmeckt dann nicht. Ich Ärmste.

Samstag ist also nicht Punktion, aber dafür wieder Ultraschall. Und die Punktion ist dann am Montag (was bedeuten würde, dass ich am Wochenende arbeiten muss) oder am Dienstag. Bitte, bitte Dienstag.

Mittwoch, 18. Januar 2012

Tag 12

Inzwischen glaube ich, das hier ist die beste IVF meines Lebens. Selbst, wenn am Ende keine Schwangerschaft dabei rauskommt, liegt sie immer noch klar vorne – bei den anderen war das Ergebnis ja auch kein Baby. Ich merke, dass die Hormone etwas bewirken, und was sie bewirken, ist bisher kein bisschen unangenehm. Die komischen Hirnpupse der ersten Tage sind verschwunden, die Schlaflosigkeit vom Sonntag auch, und vermutlich hatten da die Spritzen noch nicht mal ihre Finger im Spiel, sowas schafft mein Fusselhirn auch ohne Unterstützung der bösen, bösen Pharmaindustrie. Und ich weiß nicht, was sonst mit mir los ist, aber es fühlt sich fast an – nicht, dass ich so genau wüsste, wie sich das anfühlen muss – als wäre ich schon schwanger. Ich fühle mich zehn Zentimeter größer und erwische mich ständig dabei, debil in mich hineinzulächeln. Gerade steht zur Diskussion, ob ich Ende Februar für einen Job für ein paar Tage nach Australien fliegen soll. Ich war noch nie da, eigentlich fällt der Job genau in meinen Aufgabenbereich, unter anderen Umständen wäre völlig klar, dass ich das mache. Aber jetzt lächle ich debil und denke mir „Ja nun, bis dahin bin ich ja dann wohl schwanger, hihihihi.“ Und genau an dieser Stelle müsste dringend die Bremse greifen. Denn je länger dieser Zustand anhält, desto übler wird es, wenn irgendwann in zweieinhalb Wochen der negative Test zurückkommt. Oje, was soll ich sagen: drei IVF- und vier Kryopleiten gehen zwar nicht spurlos an einem vorbei. Aber genau wie ca. 200 nicht gewonnene Lotto-Jackpots die Leute nicht davon abhalten zu planen, in welchen europäischen Städten sie gerne eine Wohnung kaufen möchten mit dem unmittelbar bevorstehenden Riesengeldsack, halten mich bisher sieben Nieten bei der Familienplanung nicht davon ab, während der Arbeitszeit aus dem Fenster zu starren, über Vornamen nachzudenken und darüber, was um Himmels Willen man an einem Kindergeburtstag im November machen soll. Spaßbad? Halloween nachfeiern?

Montag, 16. Januar 2012

Tag 10

Sechs kugelrunde Eizellen. Vielleicht auch sieben. Dazu ein Uterus, der noch vor einem halben Jahr vor lauter Myomen aussah wie der Glöckner von Notre Dame von hinten und der jetzt „quasi wolkenlos“ ist, und die Myome sind so geschrumpft, dass sie fast an mein Kindchenschema appellieren würden, wenn das nicht irgendwie klemmen würde, wenn es um Myome geht.

Hab ich mich klar ausgedrückt? Wohl nicht. Aber ich bin immer noch ganz hibbelig. In meinem ganzen Leben bin ich noch nie einer Ärztin begegnet, deren Enthusiasmus so glaubwürdig und so ansteckend ist. Und sie war begeistert.

Seit gestern Abend ist übrigens aus der Phantom-IVF eine normale geworden: Kurz nach der Spritze war es so weit, dieses unvergleichliche Gefühl, ein Schnitzel zu viel gegessen zu haben, nur eben zwanzig Zentimeter weiter unten. Noch bin ich in meiner Röhrenjeans unterwegs, aber ich habe das Haargummi für den Schwangeren- und Vielleicht-demnächst-Schwangeren-Jeanstrick schon in der Hosentasche. Blut habe ich auch dagelassen, gegen Mittag erfahre ich, wie meine Werte sind und dann auch gleich, ob ich Mittwoch oder Donnerstag wiederkommen soll, und dann beschließen wir, wann die Eier ihren Ausflug machen: Freitag, Samstag oder Montag. Ich wäre für Samstag.

Sonntag, 15. Januar 2012

Tag 8

Bisher vier Spritzen und noch kein Piep. Ich weiß nicht mehr genau, wie es die letzten Male lief, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass ab Spritze drei auf jeden Fall etwas anders war. Morgen früh steige ich auf den Stuhl, und ich bin ziemlich sicher, dass es diesmal keine 17 halbgaren Eizellen sind. Drei wären schön. Oder meinetwegen auch eine gute.

Noch nie habe ich so wenig von einer IVF mitbekommen. Und noch nie hatte ich so ein gutes Gefühl. Ich weiß nicht, ob das eine gute Sache ist oder nicht.

Freitag, 13. Januar 2012

Tag 6

Meine Damen und Herren, schnallen Sie sich an, halten Sie sich fest, atmen Sie tief durch: ich präsentiere die langweiligste IVF aller Zeiten. Mir fallen keine Haare aus, mein Bauch sieht so aus und fühlt sich an wie immer, und wenn ich sehen wollte, wo ich mir gestern und vorgestern die Spritzen gesetzt habe, müsste ich schon eine Lupe dazunehmen, am Besten eine beleuchtete. Auch die Träume letzte Nacht waren eigentlich ziemlich langweilig, haben aber trotzdem für Irritation gesorgt, weil es die Sorte Träume waren, die SO unspektakulär und beinahe Lindenstraßen-artig realistisch sind, dass ich ein paar Stunden nach dem Aufwachen wirklich nicht mehr weiß, ob ich mich wirklich mit dem Frauchen von Maja an der Mülltonne darüber unterhalten habe, wann endlich jemand den Einkaufswagen abholt, der seit ein paar Wochen mitten in unserem schönen englischen Park herumliegt und ihn in eine assige Mülldeponie verwandelt. So dass mich Majas Frauchen auf dem Abendspaziergang ein bisschen irritiert anguckt, als ich sie sehe und schon von weitem sage "liegt immer noch da rum!"
Ach, wir kinderlosen Frauen, ist ja alles ganz schön mit unseren Transatlantik-Reisen, aber irgendwann werden wir wunderlich.

Mütter aber übrigens auch, erfüllter Kinderwunsch ist kein hundertprozentig sicherer Schutz. Heute auf dem Heimweg von Edeka eine Mutter zu ihrem ca. sechs Monate alten Säugling: "Mann, Henrik, bin ich vielleicht genervt, aber das erzähl ich dir nach unserem Salsa-Kurs."
Oder hab ich das auch schon wieder geträumt? Was ist Wahn, was Wirklichkeit?
Oh Gott, macht Menogon am Ende, dass jetzt nicht nur meine Nächte, sondern auch meine Tage präsentiert werden von David Lynch?

Donnerstag, 12. Januar 2012

Tag 5

Nein, keine Dokumentation meiner zweiten Menogonspritze, denn gerade fiel mir ein, das hab ich alles schon mal aufgeschrieben, und zwar hier. Nur, dass ich diesmal nicht drei Ampullen am Tag bekomme, sondern eine. Gaaaanz langsam alles diesmal, nur nicht aufregen die nervösen Eierstöcke.

Damit schließe ich für heute das Hormonstudio (vermutlich, es sei denn, mich packt gleich noch mal ein Rappel) und bereite mir eine Abschiedsportion Miesmuscheln zu. Es sind wieder los wochos: diese ganz besonderen Tage im Jahr, in denen jede Mahlzeit zur Henkersmahlzeit umgewidmet wird für alles, was ich vielleicht zehn Monate lang nicht mehr essen darf, während ihr und ich in Wahrheit genau wisst, dass es höchstens zwei Wochen sein werden, so dass das Ganze klar als billiger Marketingtrick meines Gehirns zu erkennen ist, das meine armen Hüften nur reinlegen will. Wobei, Miesmuscheln machen Hirn und Hüften glücklich. Und zu den Miesmuscheln gucke ich die ersten Folge meiner gestern bestellten 1. Staffel Downton Abbey. Ach, Januar: Miesmuscheln, großartige Fernsehereignisse, positive Schwangerschaftstests. Eigentlich hast du es verdient, gemocht zu werden, trotz Matsch und Grippe.

Tag 4

war ja eigentlich gestern, aber gestern war ich platt. Nach Spätschicht in der Agentur habe ich mich noch in ein Taxi geworfen, um meiner Schwiegermutter zum Geburtstag zu gratulieren, hab den Bachelor Bachelor sein lassen und noch eine Weile plauschend auf ihrem Sofa gesessen, und als ich dann nach Hause kam, war nicht mehr viel mehr drin, als den Kopf auf den Hund zu betten und es einfach sein zu lassen. Alles.

Und dann kam die Nacht, präsentiert von David Lynch. Ich träume wirklich oft sehr seltsam und dabei extrem realistisch, aber so eine Bombenshow war lange nicht mehr. Ich bin nur froh, dass ich nie empfänglich war für solche Ansätze wie "Träume - Botschaften aus der Zukunft?" denn wenn das so wäre, würden nicht nur mir, sondern uns allen düstere Zeiten ins Haus stehen. Stellt es euch vor als eine Mischung aus Clockwork Orange, Charlie und die Schokoladenfabrik und Melancholia. Jetzt frage ich mich: Menogon, Clomifen, wart ihr das? Ich bin gespannt auf die Vorstellung nächste Nacht.

Eine genaue Schilderung des Gespritzes versuche ich heute Abend mal hinzukriegen, gestern wäre es mir auf dem Agenturklo doch ein bisschen viel gewesen, mit Spritzapparatur, Desinfektionsspray und Kamera gleichzeitig zu hantieren. Aber weil heute mein langes freies Wochenende beginnt, kann ich mich schön im Badezimmer ausbreiten.

Gestern also erste Rutsche Hormone, bisher kein Ausschlag am Bauch, kein Zwicken an den üblichen verdächtigen Stellen, und außer Gehirndisco heute Nacht auch sonst keine sensationellen Nebenwirkungen. Der Plan ab hier:

Jeden Abend eine Ampulle Menogon und zwei Clomifen.
Montag morgen vor der Arbeit zum Ultraschall.
Im November dann Zwillinge.
Und weiter weiß ich noch nicht.

Übrigens will ich euch nicht nerven, aber muss schon wieder das Loblied meiner Osteopathin singen. Gestern früh war ich bei ihr aus nicht-Kinderwunsch-relevanten Gründen, ich hab mir letzte Woche auf dem orkangebeutelten Flug nach Wien am Rücken wehgetan, und das wurde von Tag zu Tag schlimmer, ich wusste schon nicht mehr, wie ich schlafen, mir die Zähne putzen oder headbangen soll. Und weil eine nette Dame aus der Agentur - mit acht Wochen altem Baby - gerade durch die beherzte Grifftechnik ihres Orthopäden zu einem Bandscheibenvorfall und dann auch gleich auf den OP-Tisch kam, dachte ich, vielleicht kann sie mir ja helfen. Konnte sie: nach einer gemütlichen Stunde in ihrem wohlriechenden Behandlungszimmer bin ich heute Morgen aufgestanden und war so dermaßen in Ordnung, dass ich mich kaum erinnern kann, welches noch mal die böse Schulter war.

Mittwoch, 11. Januar 2012

Tag 3 4/5: Kinderwunsch-Folklore

"Wisst ihr noch, damals, als wir so viel schuften mussten, dass wir erst das komplette Agenturklo desinfiziert und uns dann da die Menogon-Spritze zwischen zwei Abstimmungen gegeben haben?"

Jaja. Ächz.

Tag 3 1/2

Clomifen schreibt man ohne H. Soll keiner sagen, man könnte nicht bei jedem Zyklus was dazulernen. Außerdem bin ich wieder mal dankbar, einen so dermaßen menschlichen Auftraggeber zu haben: zwei Stunden Rennerei in der Mittagspause für Überweisung, Rezepte und die richtige Apotheke, die den Kram auch vorrätig hat, und als ich schweißtriefend zurück in die Agentur galoppiert komme, mein kostbares Hormonpäckchen diskret in der Riesenhandtasche verstaut, begrüßt man mich noch nicht mal mit hochgezogener Augenbraue.

Heute Abend also schon! Jetzt muss ich meine vereierte Mittagspause aufholen, aber ich werde berichten.

Dienstag, 10. Januar 2012

Tag 3

Ich hatte mal Besuch von einer Bekannten und ihrer Mutter, einem reinrassigen Althippie. Sie reisten im VW-Bus an, und als Bettwäsche (meine nach Ariel duftende, frische lehnten sie ab) hatten sie ausgediente Demo-Laken mit Parolen wie „Nato zerschlagen“ und „Kein Blut für Öl“ dabei. Wirklich! Ich denk mir das doch nicht aus! Auch wenn ich damals wirklich gestaunt habe. Die Mutter wollte auch kein Handtuch von mir, „Leb doch mal, Kindchen, statt hier die perfekte Hausfrau zu spielen“, und als ich nach ihr aus der Dusche kam, war mein eigenes schneeweißes Handtuch nicht nur nass, sondern auch voller langer grauer Haare. Meine feine selbstgekochte Esskastaniensuppe schlangen sie wortlos und bis zum letzten Löffel hinunter, meine Ranunkeln fanden sie „teuer und nicht haltbar genug“, und als ich sagte, sie sollte mir aus der Bäckerei einfach was Leckeres zum Frühstück mitbringen, brachte sie mir einfach gar nichts mit, um mir beizubringen, dass wir Frauen in dieser Welt nicht weiter kommen, wenn wir nicht wissen und pausenlos sagen, was wir wollen. Eine Stunde später fiel die Tür hinter den beiden ins Schloss, und dann wurden Handtücher gewaschen und das Adressbuch ausgemistet.

Ich hatte auch mal Besuch von einem Exfreund, der mich erst eine Stunde im Restaurant auf sich warten ließ, um mir dann zu erzählen, mein Leben wäre kleinbürgerlich, ich würde mir mit „meiner Bionade und meinem Milchkaffee“ eine Identität vorlügen, und überhaupt hätte er Verständnis dafür, dass ich nach all den Jahren immer noch ihm hinterhertrauern würde. Dann gingen wir ins Kino, und er fand den ausgezeichneten Film Scheiße und "zu kommerziell", wollte kein Popcorn und hat dann den ganzen Film über in meiner Tüte rumgeraschelt und alles weggefressen.

Dagegen ist der Besuch von Tante Rosa wirklich gut auszuhalten bisher. Trotzdem finde ich, für die nächsten zehn Monate muss sie nicht unbedingt wiederkommen.

Montag, 9. Januar 2012

Tag 2

Ist Tante Rosa zu Besuch? Sind die days of wine and roses im Land? Haben wir Erdbeerwochen? Nicht dass ich wüsste, ich jedenfalls habe keine Tante Rosa, und wer Erdbeeren im Januar will, ist selbst dran Schuld.

Aaaaaah, so meint ihr das! Nein, bisher rührt sich noch nichts, und ich bin um jeden Tag Aufschub dankbar. (Habe ich gerade tatsächlich so getan, als wollte hier jemand wissen, ob ich meine Tage habe? Tja, hab ich wohl.)

Sonst merke ich gerade, dass ich wohl doch einen Vorsatz hatte, ohne es zu wissen. Anders lässt sich die Selbstzufriedenheit nicht erklären, mit der ich heute festgestellt habe: 2012 scheine ich mein Leben zumindest ein bisschen besser im Griff zu haben als 2011. Ein Beispiel: seit über einer Woche habe ich nichts gehört wegen meiner Über-die-Feiertage-Zeitschriftenjobs. Und wie das bei mir leider ist, egal ob 2000sonstwas, hatte ich sofort den vollen Wahn im Kopf. "Das war so beschissen, Fräuleinchen, dass die seit einer Woche vor Wut kochen bzw. hohnkichernd an der giftigsten Rausschmeißmail aller Zeiten feilen, in der sie dir erklären, du solltest das mit dem Schreiben ein für allemal lassen, sonst setzt es was." Anrufen war selbstverständlich nicht drin. Vielleicht 2013. Aber heute habe ich an beide Zeitungsdamen eine Email geschrieben und nachgefragt. Und bei beiden kam postwendend zur Antwort, dass das alles dufte war. So geht Erwachsensein! Außerdem habe ich mir klammheimlich ein paar klitzekleine Neurosen abgewöhnt, z.B. die, ans Regal zu gehen und mir ein Buch zu nehmen, das ich schon beim ersten bis zehnten Mal langweilig fand, wenn ich eigentlich fernsehen will. Oder, eine Maschine Wäsche anzuwerfen, wenn ich das Gefühl habe, mein Leben geht wieder mal an den Kanten aus dem Leim. Gerade habe ich die Heizung entlüftet. Sie hat gegluckert, da bin ich in den Keller gegangen, habe die Rohrzange geholt und habe sie entlüftet. So macht man das in 2012! Man lässt sich nicht vier Wochen lang vom Geglucker nerven und fühlt sich schlunzig und unzureichend! Und als ich vorhin nach Hause kam und Lili mir zurück aus der Hundepension entgegenkam, habe ich den Mantel erst gar nicht ausgezogen, sondern bin mit ihr eine Runde durch die dunklen, matschigen Parks gelaufen, ohne mich innerlich zu beklagen, dass ich nicht vor dem Fernseher liegen darf/ein Buch lesen darf, dass ich schon die ersten zehn Male langweilig fand.

Ich mag 2012.

Sonntag, 8. Januar 2012

Tag 1.

Gestern Abend, als wir um halb zwölf aus dem Beisl gekommen sind, die Bäuche voller Schinkenfleckerl, Kürbis und Frittatensuppe, waren wir zwar totmüde und hatten gerade mal fünf Stunden Schlaf vor uns, aber trotzdem musste das Ritual noch sein: L. hatte ein mieses Piccolöchen besorgt, und mit einem schwefligen Schluck davon habe ich feierlich meine letzte Valette geschluckt. Und jetzt geht es los. Irgendwann morgen oder übermorgen bekomme ich vermutlich meine Tage. Und drei Tage später starten wir mit Chlomifen. Nach so langer Zeit geht es endlich wieder los.

Und obwohl das jetzt übern Daumen meine zwölfte letzte Pille vor meinem Kind ist, wirkt der alte Zauber immer noch. Gerade habe ich den Baum abgeschmückt und die Figürchen in ihre Kiste versenkt und dabei gedacht, nächstes Jahr, wer weiß, wie viele wir dann unterm Baum sind. Ich bräuchte dringend einen Kaffee (um kurz vor fünf hat der Wecker geklingelt, böser, böser Flugplan), aber trinke Ingwertee, demnächst bin ich schließlich schwanger. Und gerade, als ich beim Wegräumen meines Waschbeutels auf meinen Badeanzug gestoßen bin, dachte ich, diesen Sommer brauche ich einen Bikini, da wird mein Bauch niemals reinpassen. (Noch so ein Schnitzelurlaub, und das tut er so oder so nicht.)

Und ich weiß nicht, gerade habe ich nicht die geringste Lust, das blöde Hoffnungsviech zurückzupfeifen. Tut gut nach dem Hänger gestern.

Samstag, 7. Januar 2012

Die Glückwunschfalte

Ihr seid Zeugen: ich habe immer redlich versucht, mich für alle zu freuen. Wirklich! Und es war noch nicht mal gelogen, wenn ich der anderen Dame ins Gesicht gestrahlt habe und gesagt habe, was man halt so sagt. Ich saß auf dem Sofa, während L. Telefonierend neben mir stand, ubd wurde hellhörig, wenn er während dieses Telefonats Sachen sagte wie "Ich freu mich für EUCH ('euch' ist in dem Fall immer eindeutig) oder auch "wisst ihr schon, was es wird?", dann blätterte ich zwar weiter in meiner Zeitung, aber was da drin stand, war dann auch egal. Und wenn L. dann auflegte und mir erzählte, welcher seiner Freunde jetzt schon wieder ein Kind kriegt, dann habe ich mich nicht nur gefreut, sondern es war auch klar, beim geringsten Anzeichen, dass ich es nicht tue, wird es schwierig. Denn dann kommen die Ermahnungen ("stress dich doch nicht so, denk dran, wie gut es uns geht"), die Vorwürfe ("Na toll, jetzt mach nicht so ein Gesicht") und die Sorgen ("ist das denn so schlimm?") und das schon, wenn mein Lächeln nicht die volle Garnitur Zähne zeigte (was bei jemanden, der so viel Knoblauch isst wie ich, mannigfaltige und nicht immer kinderkummerbedingte Gründe haben kann). Einerseits habe ich mich wirklich gefeeut. Wirklich! Bleibt einem ja auch nichts anderes übrig, außerdem ist es Fruchtbarkeitsvoodoo: Fremdfreuen bringt Glück. Andererseits kann man die Formulierung "wirklich freuen" manchmal getrost ersetzen durch die Formulierung "gefälligst freuen". Anders als bei Schwangerscgaftstests können hier zwei Wahrheiten ganz bequem nebeneinander herexistieren.

So weit. Und jetzt liege ich in meinem Wiener Hotelbett, überlege, welche Mehlspeisen ich heute in welcher Reihenfolge und in welchem Kaffeehaus essen werde, und lese dazu passend den neuen Blogeintrag des wednesday chefs. Und sie ist schwanger. Ja sowas! Ein Junge, er kommt im Juni, mit kräftigem Herzschlag! Und einen Moment will ich diesen Fress- und Kochblog, den ich jetzt schon so lange so gerne lese, aus meiner Blogroll werfen. Auf einmal merke ich, wie dünn bespannt ich plötzlich bin, und wie mich das alles nervt. Dieses Gerede beim ersten mal gleich zack, glücklich schwangerer Paare darüber, wie sie das selbst gar nicht glauben können, und ich versteh meinen Zorn überhaupt nicht. Was können die denn dafür, dass ich vermutlich auch im vierten Monat niemals davon ausgehen werde, im Sommer ein Kind zu kriegen? Hab ich mich die ganze Zeit angeligen? Warum ist diese iphone-Tastatur nicht ein bisschen grôßer? Hört das bitte schnell wieder auf, bevor mir noch meine erste Ranzfalte wächst deswegen?

Außerdem Telefonat mit Klinik, kurzes Protokoll, heute schlucke ich mein letztes Pillchen.
Ich würde so gerne ruhig, bester Dinge und hoffnungsvoll starten. Verdammt, was ist bloß los mit mir? Warum kriege ich es gerade nicht hin, während ich in dieser wunderschönen Stadt sitze und ganz dummelig bin vor lauter Essen und Theater und L., und sonst schaffe ich es an jedem stinknormalen verregneten, stressigen Dienstag?

Sonntag, 1. Januar 2012

2012 hab ich mal gar nichts vor

Nach reiflicher Überlegung, viel Getippe und Gelösche und einer Kiefersperre vom Gähnen angesichts solcher Vorsätze wie "ich will an meinem Selbstbewusstsein arbeiten", "mehr Ordnung halten", "mich nicht mehr anziehen wie ein Wichtelmännchen" und "viiiiel gesünder essen" habe ich beschlossen, dass 2012 ein rundum vorsatzfreies Jahr wird. Ein Blick in die Liste vom letzten Jahr sah gar nicht so schlecht aus, das meiste hab ich geschafft, ein Jahr ohne inneres Peitschchen habe ich mir also wirklich mal verdient. Bin ein bisschen aufgeregt, das war jetzt bestimmt schon 20 Jahre nicht mehr. Aber ich bin gespannt zu hören, was ihr euch vorgenommen habt!