Dienstag, 4. Januar 2011

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Mir fehlt die Stadt. Und zwar genau an den Stellen, vor denen ich Angst hatte. Mir fehlt das, an einem Mittwochabend um acht zu beschließen, ins Kino zu wollen, und dann einfach zu gehen, ist ja um die Ecke. Mir fehlen die spontanen Barbesuche, dass die Schanze nur vier Busstationen weit entfernt war, und mir fehlt es, zu Fuß zur Arbeit zu gehen. Radfahren fehlt mir (auch, wenn das im Moment ein bisschen unfair von mir ist, denn gerade sind die Radwege sowieso eine Todesfalle).
Je mehr mir das alles fehlt, desto mehr suche ich nach Sachen, die hier draußen schöner sind. Und die gibt es, ganz bestimmt sogar. Zum Beispiel sind aus irgend einem Grund die Hundebesitzer in der Vorstadt netter als die Hundebesitzer in der Innenstadt. Ich bin noch nicht so richtig dahintergekommen, wieso. Vielleicht muss man einfach merkwürdig druff sein, um sich mitten in der Stadt einen Hund anzuschaffen, während er draußen im Grünen ja irgendwie dazugehört. Wie auch immer. Hundespaziergänge bringen Hundebesitzerunterhaltungen mit sich, egal ob in der Stadt oder am Arsch der Welt. Früher drehten diese Unterhaltungen sich um... ach, man kann gar nicht so richtig sagen, dass die sich um irgendwas drehten, meistens kriegte ich irgendwelchen Schmuh zu hören über böse Ausländer, giftiges Hundefutter, die einzig richtige Methode, „Sitz“ und „Platz“ zu lernen, oder dass Frau Söderbier von nebenan ihren Müll nicht fachgerecht entsorgt. Ich sagte dazu gar nichts oder höchstens „Hrmpf“ oder „Lili, komm weiter“. Inzwischen drehen sich diese Unterhaltungen um eine ganze Menge: zum Beispiel um Gartenbau und englische Parks, um die perfekte Erbsensuppe, um Familiengeschichten, oder (endlich kommt sie zum Punkt) um Kinderwunsch.

Das war nämlich so. In unserem Viertel wohnen nicht nur nette Hundebesitzer, sondern auch nette Hunde. Mit einigen davon versteht Lili sich so gut, dass der Spaziergang praktisch im Stehen erledigt werden kann, denn dann müssen wir Hundebesitzer nur am Rand des hübschen Parks stehen, während die beiden überglücklichen Tiere eine Stunde lang wie besengt umeinander herumrasen. Begreiflicherweise freue ich mich immer, wenn wir so einen Hund treffen. Ein besonders netter Hund hat auch noch ein besonders nettes Frauchen, ein Frauchen aus unserer Nachbarschaft, die immer mit Hund und Kinderwagen unterwegs ist. Wir haben uns schon so weit beschnuppert, dass wir jetzt wissen, was wir arbeiten und wo, wo wir wohnen, wo vorher (immer ein Thema bei Vorstadtunterhaltungen, niemand soll denken, wir wären hier etwa schon immer! Nein, wir können auch anders!), wie unsere Männer heißen, und wie wir diese ganze Sache mit der Hundeerziehung usw. sehen. Vor ein paar Tagen war ich mit Lili unterwegs, eigentlich wollten wir nur strammen Schritts durch den Park zur Ubahn, denn Lili sollte mit ins Büro kommen, und Frauchen war spät dran. Da kam die nette Nachbarin mit noch einer Bekannten daher. Also sind wir zu dritt gegangen. Und es zeigte sich, dass die beiden gerade über unser aller Lieblingsthema sprachen: Kinderwunschbehandlungen und Fehlgeburten. Eine Bekannte von ihnen hatte gerade im letzten Schwangerschaftsdrittel ihr IVFchen verloren. Ich trapste schweigend nebenher. Und sagte auch nichts, als die beiden der Meinung waren: das ist doch kein Grund zum Aufgeben. Immerhin kannten sie beide die Geschichte von einer, die erst nach dem sechsten Versuch mit Ende 40 ihr Baby bekommen hatte. Sie waren sich sicher, dass sie nicht so schnell hinschmeißen würden. Wieso auch? Immer weitermachen! Denn man könnte es sich sein Leben lang niemals verzeihen, wenn man irgendwann aufgegeben hätte und so seine Chance auf ein Kind einfach weggeworfen. Ich schwieg und trapste weiter.

Solche Momente sind komisch. Das waren zwei wirklich nette Frauen, nur eben beide mit Kind. Ich fand das immer doof und kleinlich, zu glauben, man müsste alles selbst erlebt haben, um zu wissen, wie das ist. Wozu haben wir schließlich Phantasie? Wir hätten alle einen extrem begrenzten Horizont, wenn wir das so halten würden. Aber beim Thema Kinderwunsch denke ich in solchen Momenten, vielleicht ja doch.

Nein, ich bin nicht kurz vorm Aufgeben. Auch nicht demnächst kurz davor. Aber auch von weitem kann ich mir vorstellen, dass man zu diesem Punkt ohne weiteres auch ohne sehr späte Fehlgeburt kommen kann. Genau so, wie ich mir vorstellen kann, ein zufriedenes Leben ohne Kind zu führen. Davon abgesehen, dass von „einfach weggeworfen“ vermutlich bei keiner von uns jemals die Rede sein könnte. (Sollte ich vielleicht zum nächsten Hundespaziergang ein paar von den übrigen Beleg-Exemplaren dabei haben? Die ich dann aus der Tasche zaubern kann wie früher die Damen in der Waschmittel- oder Entbläh-Joghurt-Werbung?)

2 Kommentare:

  1. Guck mal hier: http://www.wunschkinder.net/aktuell/neuigkeiten-und-termine/buchtipps/die-beliebtesten-kinderwunsch-buecher-2010-4470/

    Ihr werdet noch zu Pulitzer-Kandidaten, wenn ihr so weiter macht!

    Glückwunsch!!!

    LG,
    Schoko

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  2. Ich merke gerade am eigenen Körper, wie schnell man plötzlich kurz davor ist aufzuhören. Ich hab einfach keine Kraft mehr. Und ich bin noch nicht mal 30... Konnte mir das auch nie vorstellen, aber plötzlich war es da, das Gefühl, dass die Entscheidung aufzuhören auch eine Befreiung sein könnte.
    Und langsam glaube ich auch, dass man nur verstehen kann, was eine Kiwu-Behandlung bedeutet, wenn man das erlebt hat...

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