Samstag, 28. August 2010

Wo sind meine Wunderkerzen?

Weihnachten ist nun wirklich jedes Jahr. Es ist also kein Wunder, dass heute ein Tag ist, der besser ist als Weihnachten: heute ist ein Tag, an dem ich ein neues Kochbuch von Nigella Lawson mit vor Gier zitternden Händen aus seiner Amazon-Verpackung reißen durfte, und das kommt höchstens alle zwei Jahre vor. Das Buch ist 500 Seiten dick, sieht unter dem abnehmbaren Papierumschlag aus wie ein sehr, sehr altes und heißgeliebtes Küchenbrett, und ja, meine Bettwäsche ist jetzt durch und durch vollgesabbert und hängt zum Trocknen auf dem Balkon. Eigentlich kam das Buch schon gestern, aber da war ich mit Lili im Moor, und statt des Buches hatte ich einen Zettel im Briefkasten, dass ich heute ab neun das Buch auf der Post abholen kann. Um zehn vor neun habe ich mit einem hörbaren "BING!!!" die Augen aufgeschlagen, und um fünf vor neun war ich in Gummistiefeln und mit Hund im Schlepptau unterwegs zur Post. Dann kam ich nach Hause, bin zur Feier des Tages in ein frisch gebügeltes Nachthemd gestiegen und habe alles für die heiligen Handlungen präpariert: neuen Tee gekocht, Toast getoastet, mir Blumen ins Haar gesteckt. Und die nächsten Stunden saß ich gurrend und schnurrend im Bett und habe, wie gesagt, gesabbert. Ach, wenn das Wochenende doch nicht schon so voll wäre. Ich könnte jetzt auch 48 Stunden lang nur dieses Kochbuch lesen, zur wachsenden Panik von L., der doch immer gerade irgend eine Diät macht oder machen will oder nach eigener, von niemandem sonst geteilter Ansicht machen sollte und genau weiß, dass er nicht dagegen an kann, wenn es bei uns zuhause ständig nach knuspriger Hähnchenhaut oder gebratenen Zwiebeln riecht.
Aber statt zu lesen muss ich L. helfen, sich ein Logo auszudenken, ich muss das Haus in Schuss bringen, ich muss mit Lili zum Unterwerfungstraining der Polizeihundeschule (und nein, ich sympathisiere nicht plötzlich mit dem Schäferhundeclub, ich will nur in Zukunft in unangenagten Schuhen durchs Leben gehen und mit dem Hund seelenruhig durch Parks flanieren, in denen es jemand wagt, eine Frisbee zu werfen). Wir wollen zum Flohmarkt, vielleicht sogar zu diesem England-Glorifizierungs-Fest, ich muss bügeln und waschen und im Garten schwitzen, ich muss meine Füße in Ordnung bringen, mich durch die verbliebenen Kisten auf dem Dachboden und im Keller wühlen und einkaufen gehen. Und das muss alles in den nächsten zwei Tagen passieren, weil ich mich wieder mal habe breitschlagen lassen. Ab Montag habe ich bis zum 16. (also harter Anschlag an den OP-Termin) neue Hausaufgaben. Ich werde in einer Firma arbeiten, in der sie immer mich anrufen, wenn Not am Mann ist. Das ist zwar einerseits sehr schmeichelhaft, und ich bin dankbar für diese verlässliche Einnahmequelle, aber es wird immer dann zum Problem, wenn ich eigentlich - also ganz eigentlich - keine Zeit habe und dann der Dackelblick-Alarm ausbricht. Ich habe denen gesagt, dass ich am 16. um 18 Uhr den Laden verlassen und dann erst mal nicht wiederkommen werde, und dass ich auf Anrufe und Emails, in denen jemand nur mal kurz eine winzige Bitte äußert, ab diesem Moment wenn überhaupt mit Schulterzucken reagieren werde. Ich habe denen auch gesagt, dass das bedeutet, dass ich ab und zu den Hund mitbringen und mich dann auch zumindest teilweise nach seinen Bedürfnissen richten muss. Ich habe denen außerdem mehrfach gesagt, dass ich eigentlich schon einen Auftrag habe, bei dem ich mir die Zeit zwar relativ frei einteilen kann, aber eben nur relativ, das heißt, es kann immer mal wieder passieren, dass ich mich für einen halben oder sogar ganzen Tag um anderer Leute Hausaufgaben kümmern muss. Bei jedem dieser Einwände habe ich gehofft, dass es das nun war und ich sie abschütteln kann. Aber zu jedem Einwand gab es nur leuchtende Dackelaugen und eifriges Nicken. "Kein Problem! Ja klar! Mach nur!" Und einen wochenlangen Auftrag ganz abzulehnen, das kann ich noch nicht, weil ich erstens das Geld brauche für irgendwelchen Handwerkerquatsch am Haus und ich zweitens das Gefühl hätte, das Unglück der ersten, vollkommen auftragsfreien Monate meiner Selbständigkeit wieder herauszufordern.

Gut. Mehr und mehr fange ich an, diese OP mit anschließender Bettruhe als eine Art Wellness-Urlaub zu betrachten. All meine neuen Bücher, all die Gedanken, die ich mir machen wollte, all die Briefe, die noch zu schreiben sind, all das Nichtstun und an-die-Decke-starren, nach dem ich Sehnsucht habe, werden hiermit auf diese zehn Tage verlagert. Ich werde mit einem Schrankkoffer im Krankenhaus anreisen, der bis obenhin mit Büchern, meiner DS, Zeitschriften, Kladden, Rechner und dem neuen Kochbuch vollgestopft sein wird. Wehe, an meinem Bett sind nicht genug Steckdosen für all meine Netzteile.

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