Dienstag, 3. November 2009

Wie Torsten aus meinem Vater einen Adoptionsgegner machte

In meinem Kindergarten gab es einen Jungen namens Torsten. Mit Torsten war ich weder befreundet noch verfeindet, wir hatten nichts miteinander zu tun. (Spricht man auch bei Kindergartenkindern schon von Cliquen, Possen usw.? Eher nicht, oder?) Nach dem Kindergarten gingen wir auf unterschiedliche Schulen. In der Großstadt hätten wir uns nie wiedergesehen. Aber weil ich aus einer kleinen Stadt komme, ist meine Mutter seiner Mutter öfter mal an der Käsetheke über den Weg gelaufen, und ein-zwei mal im Jahr habe ich ihn von Weitem auf dem Dorffest gesehen. Deshalb weiß ich, dass aus einem freundlich aussehenden Jungen mit braunen Kulleraugen im Lauf der Jahre ein Klops von einem Schläger geworden ist. Er wurde immer dicker und kräftiger, sah immer schlimmer aus mit seiner blöden Bomberjacke, und ich war ziemlich froh, dass er sich offensichtlich nicht so gut an mich erinnern konnte wie ich mich an ihn. Torsten hatte irgendwann auch Ärger mit der Polizei, alles war ein ziemliches Unglück, und was er heute macht, weiß ich nicht. Was auch immer es ist, ich hoffe, dass niemand dabei zu Schaden kommt.

Irgendwann hat meine Mutter mir erzählt, dass Torsten ein Adoptivkind war. Ich war in den ganz offensichtlichen Dingen immer schon ein ziemlicher Depp, sonst hätte mir vielleicht früher auffallen müssen, dass es doch komisch ist, wenn zwei so dermaßen durchschnittlich-mitteleuropäisch aussehende Eltern ein so braunes Kind haben.
Nachdem mir neulich mein Vater erklärt hatte, wieso er dagegen wäre, wenn wir ein Kind adoptieren würden, ist mir Torsten wieder eingefallen. Vermutlich denkt mein Vater daran, wenn er über Adoption spricht. In seinem Kopf holt man sich vermutlich "ein faules Ei ins Nest" oder so, man zieht ein Kind mit viel Liebe auf, und was bekommt man zum Dank? Nächtliche Anrufe, auf welchem Revier man den kleinen Schatz abholen kann.

Ach, Eltern. Ihr habt Sorgen.
Ich habe meine Eltern sehr, sehr gern. Und ab und zu merke ich schon, wie viel von ihnen in mir steckt. Auch, wenn es oft nur solche blöden Kleinigkeiten sind wie z.B., dass ich keinen Kuchen essen kann, ohne sofort etwas sehr salziges hinterherzuschieben. Das tut mein Vater auch. Oder bestimmte Wörter, die vermutlich nicht im Lexikon stehen, die ich aber von zuhause so kenne und die inzwischen mein halber Freundeskreis übernommen hat. Oder, wenn ich mich wie besengt über den ersten Schnee freue (wie mein Vater) oder wenn ich mich vier Stunden lang in ein Kochbuch vertiefen kann und ganz bestimmte Dinge niemals wegwerfen würde, egal wie alt und kaputt (wie meine Mutter). (Gerade merke ich, dass das nicht besonders trennscharfe Eigenschaften sind. Na gut.)
Aber obwohl ich sie so gern habe und auch eindeutig ihre Tochter bin, in jeder Hinsicht, in der man das sein kann, weiß ich trotzdem noch genau, dass ich immer schon ein sehr eigenes Leben geführt habe. Das heißt nicht, dass ich ein besonders unabhängiger Geist gewesen wäre oder irgend so etwas, sondern nur, dass meine Welt immer schon eine andere war als die meiner Eltern. Auch aus mir hätten eine ganze Menge Sachen werden können, die meinen Eltern nicht gepasst hätten. Obwohl mir ihre Meinung von mir immer schon wichtiger war, als mir lieb ist, hatten sie doch viel weniger Kontrolle über mich, als sie gehofft haben, weil ich immer ich war und sie immer sie. Was leibliche Verwandtschaft dazutut, kann ich nicht sagen, und sie vermutlich auch nicht. Eine Menge Leute, die sich viel eingehender damit beschäftigen, können das trotz aller Mühen auch nicht so richtig. (Vermutlich sind sie auch jetzt mit vielem nicht einverstanden, auch wenn ich euch zum Glück versichern kann, ein sauberes Vorstrafenregister zu haben.) Und ob sie mir die Torsten-Laufbahn leichter verziehen hätten, weil ich ja schließlich ihre eigene Tochter bin, das kann ich mir kaum vorstellen.
Ein großer Unterschied zwischen ihrer und meiner Welt ist aber vor allem, dass ich von alleine nie auf die Idee gekommen wäre, bei einem Adoptivkind als Erstes an den Ärger zu denken, den ich damit hätte. Ich denke auch nicht bei einer IVF als erstes an eine Fehlgeburt, Achtlinge oder irgendwelche Krankheiten von Mutter und Kind. Vor zehn Tagen, zurück vom Ausflug in den Süden, saß ich am Küchentisch einer Freundin (genau, das war der Plöpp-Plöpp-Plöpp-Abend, allerdings hatte zu diesem Zeitpunkt erst ein Plöpp gegeben), und wir haben auch über das Adoptionsthema gesprochen. Und nennt uns blauäugig, doof, unreflektiert oder sonst etwas - aber in diesem Moment fanden wir alle, dass es eine fröhliche, schlaue und für alle Beteiligten gute Idee wäre, wenn wir - falls es anders nicht klappt - einfach so ein fremdes, elternloses Baby aufnehmen und großziehen könnten. Das wäre doch toll! Und daran gibt es überhaupt keinen Zweifel! Menschen sind sogar dazu imstande, irgend einen Hund von heute auf morgen zu lieben und als Teil ihrer Familie zu sehen - wieso soll man das nicht mit einem Kind schaffen?

Ach, wenn es so einfach wäre.
Aber, liebe Eltern, so schwer, wie ihr denkt, ist es vermutlich längst nicht. Nur eben anders schwer.

Als ich vor vielen Jahren in meine zweite Hamburger Wohnung gezogen bin, in einen vollkommen verratzten Altbau in Eimsbüttel, und eine rauschende Einweihungsparty gefeiert habe, hat mein Vater mir am Telefon gesagt, ich sollte aber aufpassen, dass der Balkon nicht abbricht. Wie, um Himmels willen, passt man als Partygastgeber auf, dass der Balkon nicht abbricht? Seile? Tesa? Amulette? Es war ein gut gemeinter Rat, daran gibt es keinen Zweifel, genau wie diese kleine Ansprache zur Adoption. Ich weiß das. Aber der Ratschlag, zusammen mit all der geballten Gutgemeintheit und der Vorstellung, mein Vater könnte sich über ein adoptiertes Enkelkind nicht so recht freuen, lässt mich völlig ratlos zurück. Was kann man danach anderes denken als "Ach, Papa"?

Als ob man nicht genug Probleme hätte.

1 Kommentar:

  1. Ich bin adoptiert – ungewollt. Für mich stellt diese Adoption einen Akt der Grausamkeit dar, und zeigt auf wie wenig selbstbestimmt ich sein darf, ich muss es ertragen das eine Fremde Person mich zu ihrem Kind erklären lässt, das sie mich schlägt und misshandelt, von mir verlangt das ich sie Mama nenne, und der Staat hat Gesetze geschaffen die es mir, und allen anderen Adoptierten, verbieten diesen Gewaltakt rückgängig zu machen. Von Seiten des Staates bekomme ich in unmenschlicher Weise auch noch zu hören dass ich meiner Adoptivmutter dankbar sein solle, denn schließlich habe sie mich ja groß gezogen. Das ich mit dieser Person jedoch nichts zu tun haben wollte und will, ist den Gesetzgebern völlig unverständlich. Den schließlich sind bei Sklaven… Entschuldigung… bei Adoptierten die Besitzansprüche… Entschuldigung… die Familienverhältnisse doch so schön geregelt. Der Gesetzgeber möchte natürlich, an diesem „Sklaventum gegen das Wohl des Kindes“ …Entschuldigung …für das Kindeswohl eine stabile Situation schaffen.
    Ich habe wirklich größtmöglichen Respekt vor Menschen die so entwürdigende Gesetze geschaffen haben. Man sollte sie alle zur Rechenschaft ziehen für den entstandenen psychischen Schaden aller, die wie ich ihre Adoption als Einbahnstraße Richtung Menschenhandel, Sklaverei, Familienklau, und Gewalt erleben mussten….
    All den anderen die keine Gewalt erleben mussten und Adoptiert wurden wünsche ich dass sie Verständnis entwickeln können für Menschen wie mich. Und allen nichtadoptierten aus intakten Familien wünsche ich das sie weiterhin glücklich bleiben, ohne meinen Wunsch nach Freiheit von Adoption negativ zu beeinflussen.
    Diejenigen die Gewalt in der biologischen Familie miterleben mussten und denen es ähnlich oder schlimmer ging als mir …stellt Euch vor es hätte euch ein Fremder dieses Leid zugefügt und ihr müsst diesen fortan in Dankbarkeit zu eurer Familie zählen. – das ist es was der Staat von mir Verlangt!

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