Montag, 17. August 2009

Cheerio, Würmchen

Wenn ich so an die letzten sieben Wochen denke, die Zeit seit dem Schwangerschaftstest, dann kann ich gar nicht mehr so genau sagen, wie es mir ging. Ich war froh, dass du da warst, aber gleichzeitig hatte ich fürchterliche Angst, mich zu früh zu freuen und hinterher um so trauriger zu sein. Zwischendurch wurde mir dann klar, dass das nichts nützt und dass es absolut keinen Weg gibt, sich auf so ein Abenteuer einzulassen und nicht traurig zu sein, wenn es nicht klappt. (Vielleicht gibt es ja irgendwo ein Shaolin-Kloster, in dem man lernt, wie das geht, aber selbst, wenn das so wäre, dann vermute ich, in ein Shaolin-Kloster könnte ich weder L. noch die Mädchen mitnehmen, auch nicht meine Lieblingslippenstifte, meine Musik, meinen Rechner und mein Internet, und ein Ort, an dem das nicht geht, ist kein Ort, der für mich gut ist.)

In den letzten Wochen ist viel schief gegangen. Ich habe in dieser Zeit abends mehr Unterhosen mit Blutflecken als ohne in den Wäschekorb geworfen. Und obwohl da der Wunder-Ultraschall war, der mit dem Herzschlag, war da doch der vorher und der davor, und ich weiß noch genau, wie besorgt und nüchtern die Ärzte dabei ausgesehen haben. Da waren die vielen vielen Schwangerschaftszeichen, die ausgeblieben sind, obwohl doch die Hormone immer voll da waren. Eigentlich kann ich also nicht sagen, ich wäre nicht gewarnt gewesen, als heute die Ärztin das Ding in mich reingesteckt hat, auf dem Schirm nur so etwas wie eine Haselnuss in einer großen dunklen Höhle erschien und sie sagte: „Das sieht nicht gut aus. Das sieht gar nicht gut aus.“ Die Haselnuss warst du.

Das kleine Ultraschall-Foto von dir hat viel zu schnell seine schöne Bedeutung verloren. Am Anfang musste ich es noch ständig angucken, weil du das warst, zum ersten mal kein Prilblümchen mehr! Aber schon nach ein paar Tagen musste ich es nur noch ständig angucken wie eine Beschwörung, dass du doch bitte noch da sein sollst, als könnte ich das selbst nicht so richtig glauben. Ich hätte es nur so gerne geglaubt. Vielleicht war es ja auch ein Zeichen, dass meine Phantasie nie so mit mir durchgegangen ist, wenn es um dich ging, wie sie sonst bei jedem kleinen Fitzelchen mit mir durchgeht. Zeig mir ein Gummiband oder ein angebissenes Würstchencroissant, und ich mache im Kopf einen Film draus und die Fortsetzung gleich dazu, aber zeig mir ein Ultraschall-Bild meines Kindes, und ich habe keine Ahnung, was dahinter für Geschichten stecken könnten. Natürlich glaube ich, zu wissen, was Kinder bedeuten, schließlich war ich selbst mal eins und davor genau so ein Würmchen wie du, wenn auch etwas, wie soll ich sagen, lebendiger. Aber so richtig, richtig vorstellen, mit allen Gerüchen und Farben und verschiedenen Schichten konnte ich mir nie, wie das mit uns werden soll. Und so richtig wollte ich das auch nicht, weil da ja immer noch die Angst war, dass vielleicht am Ende nicht nur ein kleiner weißer Fleck auf dem Ultraschall weg ist, sondern eine ganze Geschichte mit Geburtstagen und Weihnachten und Gute Nacht-Geschichten und Klebenbleiben in der Schule und Zahnspangen und Tinti, dem Badespaß.

(Verdammt. Briefe an ungeborene Kinder, die auch noch zu allem Überfluss niemals geboren werden, sind so eine scheußliche, kitschige Nebenwirkung dieser ganzen Sache. Ich wäre so gerne so ein lässiger Hund, der gegen solchen Zauber immun ist und damit umgeht wie ein Kerl.)

Jetzt bist du schon seit Wochen tot, aber erst morgen wirst du wirklich weg sein. Und es tut mir leid, dir das sagen zu müssen, ich will nicht, dass du das falsch verstehst und traurig bist, aber nun wird es auch Zeit, dass du gehst. Niemand bahrt einen Toten drei Wochen lang zuhause auf. Und niemand hat gerne drei Wochen lang ein totes Kind im Bauch.

Wer hätte das gedacht? Nun wird Flora doch noch zu einer Abtreibung kommen.

Würmchen, es war nicht immer leicht mit dir und nicht immer fröhlich. Aber schön war es doch.
Mach es gut, kleine Granate. Ich bin froh, dass du da warst. Dieses Glas wirklich ausgezeichneten Plus-Prosecco trinke ich auf dich.

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