Freitag, 17. Juli 2009

Normal

Laute Kinder. Kinder, die sich mit drei die Nägel lackieren. Kinder mit Engelsflügeln auf dem Rücken. Kinder, die schon Fahrradfahren dürfen, obwohl sie es noch nicht können. Kinder, die im Bus sitzen, in ihrem Was-macht-der-Bauer-jetzt-Bilderbuch lesen und dabei die anderen, lauten Kindern so genervt mustern, als würden sie hier versuchen, die Börsenberichte zu studieren. Kinder mit Eis überall. Kinder mit Schuhen, die aussehen wie Mäuse. Kinder, die halb im Traum ein Michael Jackson-Lied auf Phantasie-Englisch singen. Kinder, die mit einem Hund unterwegs sind, der fast doppelt so groß ist wie sie. Kinder mit Zahnspangen und Apfeldöschen um den Hals. Kinder, die sich im Kindergarten ein Fernglas aus einem Stück Wolle und zwei alten Klorollen gebastelt haben. Kinder mit einem zugeklebten Brillenglas, Kinder mit Zöpfen, Kinder mit Gummistiefeln, Kinder, die anfangen zu heulen, weil der Hund da vorne graue Haare hat und bald stirbt. Wie meine wohl werden?

Gestern Mittagessen mit zwei alten Kollegen. („Alt“. Als wäre das alles drei Jahre her und nicht sieben Wochen.) Und ich wäre fast geplatzt, um es zu erzählen, vor allem, als irgendwann der Anruf aus der Klinik kam, dass die Blutprobe von gestern früh ganz toll war, die Hormone sich prächtig entwickeln und wir am Mittwoch früh den ersten Ultraschall machen können. Die zwei sind eigentlich mehr Freunde als Kollegen, einer kommt sogar zu meiner Hochzeit, und ich war kurz davor, den anderen auch einzuladen, wenn das nicht bedeutet hätte, dass ich auch noch den, den und die hätte einladen müssen... egal, führt zu weit. Ich würde es so gerne jedem erzählen. Inzwischen suche ich schon fast einen Vorwand, wie in „Haben Sie die Schuhe auch in schwarz? A propos SCHWArz, ich bin übrigens SCHWAnger.“ Der Ausnahmezustand in mir will sich unbedingt Bahn brechen nach außen.
Aber ich darf, darf, darf nicht! Ich musste die ganze Mittagspause durch die Zähne zusammenbeißen und fein die Klappe halten. Denn die Jobjungs sind die einzigen, denen ich es auf gar keinen Fall erzählen darf, Freundschaft hin oder her. Denn vielleicht geht alles noch schief, und mit meiner Selbständigkeit klappt es nicht so richtig, und ich will wieder in einen festen Job, und dann hat sich rumgesprochen, dass ich schwanger war – was bedeutet, ich könnte es wieder sein und vor allem wieder sein wollen. Nein nein nein. Und wenn es klappt, erfahren sie es alle sowieso, sobald ich den Bauch nicht mehr auf die vielen Cheeseburger schieben kann.
Jedenfalls saß ich da mit meinem Thai-Salat und hatte eine Menge zu bedenken, während die zwei von Präsentationen, Kunden, Hektik und noch viel mehr erzählt haben. Ich dachte einerseits „Ich will auch mal wieder, verdammt!“ aber andererseits weiß ich genau, dass mich vermutlich niemand jemals wieder richtig ran lassen wird. Zumindest in meinem alten Job. Aber niemals wird mir das irgend jemand genau so ins Gesicht sagen. Oder bin ich jetzt paranoid? Genau, bist du, würden sie sagen.
Tja. Und nun sitze ich hier und muss mir überlegen, wie das alles weiter gehen soll. Wie Millionen andere schwangere Frauen auch. Gut, oder? Wie ich es mir dachte. Auf einmal ist es völlig normal, schwanger zu sein.

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